Pfingstgemeinde

Erzählung zum Thema Religion

von  Thomas-Wiefelhaus

Während jeder Andacht erhob sich unvermittelt eine ältere Frau, und alles war augenblicklich ruhig! Selbst der hochgewachsene Prediger auf der Kanzel hielt im halben Satz inne, wenn sie aufstand. Die Frau sollte die Geistesgabe der Weissagung besitzen, galt in ihrer Gemeinde als große Prophetin!
Seltsam abgehackt redete sie, bruchstückartig, wirr, manchmal zögernd. Als lausche und warte sie auf eine innere Stimme. Als müsse sie genau aufpassen, was Gott ihr gerade jetzt mitteilen möchte.
Komisch, es ist wirklich komisch!, dachte der kleine Junge. Es ist, als ob sie das nachredet, was ihr eben so in den Kopf kommt … Gewöhnlich konnte er in den gesagten Bruchstücken keinen anschaulichen Sinn erkennen.
Dann setzte sich die ältere Frau, ebenso plötzlich und unerwartet, wieder hin … Und stand, vielleicht nach 10 oder 20 Minuten, wieder auf, um aufs Neue zu reden …
Zwar war das Kind Tomas gläubig, aber es glaubte den vielen Erwachsenen nicht, am allerwenigsten der seltsamen Prophetin. Auch hörte das Kind einmal, wie sich die göttliche Prophetin und ein weiteres Gemeindemitglied hinter dem Haus ganz laut und unchristlich um Geld stritten.

Die Gründerin der Gemeinde war sehr betagt und freundlich. Sie saß in einem Rollstuhl. Dem kleinen Tomas war ihr Lächeln sehr sympathisch. Auch redete sie augen- und ohrenscheinlich nicht so viel von den alten Teufeln und bösen Geistern, wie ihre Gemeinde-Oberhäupter. Möglicherweise waren die bösen Geister ja auch erst viel später zu ihrer Gemeinde gekommen? Vielleicht gar erst in Gemeinschaft mit den neuen Oberhäuptern? Und erst Jahre oder Jahrzehnte nach ihrer ersten Gemeindegründung?
Sie war plötzlich sehr krank geworden, und konnte ihr Bett nicht mehr verlassen. Und die Prophetin hatte sich, wie üblich, während der Andacht erhoben und der Gemeinde geweissagt, dass ihre betagte Gründerin bald wieder gesunden und noch eine Weile unter ihnen leben würde. Doch drei Tage später war sie tot. Nun hieß es, sie sei erst jetzt wahrhaftig gesund geworden und wahrhaftig am Leben.
Ihre Leiche wurde im Bett zurechtgemacht, und wer wollte, konnte in ihr Schlafzimmer kommen, um Abschied zu nehmen. Der kleine Tomas sah zum ersten Mal im Leben einen toten Menschen.


Anmerkung von Thomas-Wiefelhaus:

Wieder ein Ausschnitt aus einem längeren Text, bei dem die schlimmsten Stellen fortgelassen wurden.
Allerdings soll das Thema Sekte erst in der Fortsetzung der Betheljugend veröffentlicht werden.
Trotzdem schon mal eine Leseprobe.

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Kommentare zu diesem Text


 Graeculus (30.03.21)
Eine lesenswerter Blick hinter die Fassade.

 Thomas-Wiefelhaus meinte dazu am 30.03.21:
Vor allem wurden auch unschuldige Kinder in dieses Tun und den Erwachsenen-Glaube an Dämonen und "Sünde" integriert.
nobbi (63)
(30.04.21)
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 Thomas-Wiefelhaus antwortete darauf am 02.05.21:
Ich weiß zwar nicht, ob einen Heiligen Geist gibt und bezweifel die angeblichen Dämonen, über die in dieser "Gemeinde" nach meiner Einschätzung mehr gesprochen wurde, als über den Heiligen Geist.

Jedenfalls habe ich schon als Kind bezweifelt, dass aus der Prophetin ein heiliger Geist spricht! Die Zweifel sind geblieben.

Interessanterweise gibt es bei KV einen Autoren, der wohl aufgrund seiner Erfahrungen mit einer Pfingstgemeinde, an beides glaubt.
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