Kaffee und Kuchen

Erzählung

von  minze

Es ist anders, wenn ich jetzt nach Hause komme und von den Mädchen erzähle, was sie über mich gesagt haben, dass ich nicht wusste, wo ich mich im Bus hinstellen sollte, weil sie meine rosa Socken von überall sehen konnten. Wie ich trotzig bin oder ignoriere, wie ich es auch mache, sie lassen‘s nicht, mich fette Kuh zu nennen. Und jetzt, wenn ich dir das erzähle, hörst du zu und ich kann mir sicher sein, dass du da bist. Du bist stärker geworden und gehst wieder arbeiten. Ich koche mittags und darf dann Talkshows anschauen. Manchmal bügelst du oder du musst noch was im Büro machen. Wir trinken jetzt zusammen Kaffee und du sagst mir, dass ich gut bin, wie ich bin und für dich bin ich nicht dick, aber du bist auch noch dicker. Trotzdem tröstet es mich - was die Mädchen nicht wissen, ist, dass du jetzt meine Freundin sein kannst und ich nicht mehr auf dich aufpassen muss.
Du findest die Idee ganz gut, dass ich mich mit Coco und Nicole anfreunde, sie sind auch Außenseiter. Wir haben aber keine gemeinsamen Hobbies. Es ist gut, dass du nie die anderen anrufen möchtest. Aber dass der Klassenlehrer es einmal gesagt hat, war richtig. Ich weiß nicht, ob er es von mir oder von Eltern, doch von dir, gehört hat.

Eigentlich dachten alle, dass wir weiter mit Gedichtinterpretation machen. Er ist klein, aber sehr scharf und zäh. Er hat gerade, so nach hinten gekämmte Haare, eine helle, manchmal krächzende Stimme. Er sagt so Dinge, wenn man gähnt, wie mach deinen Mund zu, ich kann in deine schwarze Seele blicken!, grinst und außer mir finden es wenige lustig. Ich verstehe mich besser mit Lehrern, als dass man sich mit Lehrern sonst versteht.

Herr Härle kommt und haut seine Tasche auf das Pult. Setzt sich auf den Tisch und sammelt sich, schaut uns nur schweigsam an und in der Klasse ist auch keiner zu hören, er hält die Spannung, manche, vor allem die großen Starken und die Hübschen rücken sich zurecht, aber wissen nicht genau, wie sie sich hinsetzen sollen, weil er sie vielleicht schon im Blick hat oder sie ihn sowieso nur ätzend finden. Vor allem, wenn es nicht schnell zu einem Programm kommt. Und dann nimmt er einen Stift, sagt Maxi, er soll sein Pausenbrot rausholen, rammt ihn hinein, bohrt, schaut selbst angewidert und endlich lachen ein paar von den Mitläufern. Herr Härle sagt witzig, witzig, oder? und dann benennt er uns Opfer beim Namen, aber die Fiesen müssen aufstehen, und zählt auf, was alles gemacht wurde. Das mit den Scheren und Stiften im Leberwurstbrot passiert immer Timo mit den Jungs, bei mir und Coco sind es andere Sachen. Wie es Timo als Junge geht, weiß ich nicht. Aber so hitzig habe ich Herr Härle noch nicht gesehen. Er wird ganz rot und er schafft es scharf zu bleiben, so böse, dass die anderen weiter schweigen. Er schimpft und sie schweigen sicher eine halbe Stunde. Sie werden aufgerufen und müssen etwas sagen, aber sie sind blamiert und stocken so bescheuert herum, dass ich, weil ich nichts sagen muss, ganz warm anschwelle und wie ein Schaumbad aufgehe und blubbere, innerlich. Ich fühle mich gewürdigt. Es kann nicht schlimmer werden und ich schmelze auf seinem hitzigen Ausdruck, denke, er hat es verstanden, er kennt so etwas wie Würde und Menschenrechte und mir sind die ganzen dummen Mitschüler egal; auch, wenn sie es dann auf peinliche Art und Weisen versuchen können, mir und Timo heimzuzahlen.

Als die Luft raus ist, verlässt er vor Unterrichtsende den Raum und ich auch. Gut, dass keine Doppelstunde war. Er gibt mir in der Gedichtarbeit eine gute Note und muss ein fünftägiges Schullandheim mit unsrer Klasse durchziehen. Er schaut nicht oft nach mir, aber ich habe diese Stunde in der Hinterhand, das reicht. Nach dem Schullandheim werden bald die Klassen verändert. Meinen ersten Liebesbrief schreibe ich in dieser Woche. Er wird nicht erwidert, aber auch nicht den Mädchen zugespielt oder anderen Jungen. Nachdem ich mir der offenen Vorlage bewusstwerde, ist das beruhigend.


Ich bin immer dabei, wenn du Besuch zum Kaffee bekommst und rede immer mit. Wenn deine Freundinnen gehen, sagst du mir, warum du das oder jenes blöd findest, was deine Freundin sagt und ich sage, was deine Freundin so oder so gemeint haben könnte. Wir essen dann noch ein Stück Kuchen und du erzählst mir von den Problemen mit Papa, die deine Freundinnen nicht verstehen. Ich verstehe es, ich kenne dich auch besser. Ich weiß, was du meinst, wenn du dich abgrenzen und schützen musst. Wir gehen zusammen einkaufen und du bezahlst mir einen Wickelrock und Blusen für die Mittelstufenparty. Mir passen die normalen Frauengrößen und du sagst wieder, dass ich nicht zu dick bin. Für deine Blusen müssen wir in einen anderen Laden und ich muss dir mehr Mut zusprechen. Ich weiß, welche Farben ich dir nicht zeigen darf. Du weinst, wenn ich dir was in rot oder orange bringe. Das kannst du seit Felix Tod nicht tragen. Manchmal mache ich es mir zum Auftrag, dich dahin zu bringen. Ich will es hinkriegen wie eine Psychologin. Ich wünsche mir, wenn wir einkaufen einfach, dass du ein bisschen was mit Blumen, doch mal rot trägst. Aber oft nehme ich das Risiko nicht auf mich, dass du in der Kabine laut weinst und schluchzt. Ich weiß auch, dass du dich nicht von alleine beruhigst oder denkst, es wäre peinlich vor Anderen, also vor den Verkäuferinnen, die ich auch schon sowieso immer verscheuchen muss, weil es schon schwierig ist, wenn die dich beraten.
Die sagen dann manchmal schon im dritten Satz, dass dir diese Farben stehen und warum denn nicht, versuchen dann möglichst positiv über dein Figurthema und das kaschieren wir so und so zu reden. Also nehme ich am liebsten lila, dunkellila, denn ich brauche eine warme Farbe und ich finde auch, dass grün und blau dir nicht stehen. Wir finden jetzt immer etwas, was wir anziehen können. Einmal gehen wir danach in einen Bäcker, der jetzt ein Stehcafé hat und eine Cappuccino-Maschine. Es ist schönes Wetter. Wir hören noch immer kein Radio wieder.

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Kommentare zu diesem Text


 nautilus (01.04.21)
Der Text hat etwas Berührendes. Ich finde mich ein Stück weit in einer fremden Haut wieder. (Im letzten Drittel sind mir zwei winzige Flüchtigkeitsfehler aufgefallen.) Der Text nimmt einen
mit an einen Ort an dem man sich unwohl fühlt, wie man es eben kennt wenn man selbst ein Außenseiter ist/war.
Ich denke du arbeitest auf den letzten Satz hin, zielst da auf eine Pointe ab, aber ich krieg die Kurve zum Radio nicht.
Jedenfalls gern gelesen. LG

Kommentar geändert am 01.04.2021 um 20:53 Uhr

Kommentar geändert am 01.04.2021 um 20:54 Uhr

 minze meinte dazu am 01.04.21:
bin leider betriebsblind, bin immer wieder durch den Text und hab Kleinigkeiten verändert gestern, aber vielleicht sagst du mir direkt, welche Flüchtigkeitsfehler du siehst?

danke für deinen Leseeindruck, schön, dass der Text dich transportiert und dieses Unwohlsein spürbar ist.

habe versucht den Hintergrund der Mutter, die lädiert ist und nicht so superlebensfreudig aufgrund ihrer Trauer einzubinden in die Beziehung zur Tochter - vordergründig und nebenbei spielt diese Mobbinggeschichte weiter rein - und das Radio, das ausbleibt- es bleibt aus, weil es in der Traurigkeit (noch) keine Musik geben kann. wollte damit schließen, weil eigentlich das Thema der verqueren Dynamik der Mutter-Tochter-Beziehung mit dem starken Part der Mutter betont werden soll.

aber das ist wohl nicht so greifbar - vielleicht bräuchte es mehr Substanz in der Richutng.
so ganz zufrieden bin noch nicht.

LG

 nautilus antwortete darauf am 03.04.21:
Okay. Jetzt erschließt sich mir einiges.

1. Aber oft nehme ICH das Risiko....

2. Die Farben: Rot, Orange, usw. (glaub ich) schreibt man in dem Fall groß.

Versteh das bitte als gut gemeinten Hinweis. Ich finde der Text verdient es, dass diese Schönheitsfehler bereinigt werden.

LG

 minze schrieb daraufhin am 03.04.21:
Danke! Weiß nicht ob meine Ambition, vielschichtig zu schreiben aufgeht, wenn zu viele Aspekte Thema werden. Aber müssen ja nicht für jeden Leser Thema sein, man kann ja auch nur manches wahrnehmen bzw annehmen.

Du musst gar nicht so vorsichtig sein, wenn du einen Impuls oder eine Fehlerkorrektur hast, ich bin null empfindlich bzw sogar sehr froh drum und interessiert. Äh habe da ja auch selbst eher eine ruppigere und direktere Art Dinge anzumerken, wenn mir Sachen in den Sinn kommen (also als selbst Kommentierende.).
lG

Antwort geändert am 03.04.2021 um 18:53 Uhr
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