Gegenüber von Garten Eben

Kurzprosa zum Thema Metaphysik

von  fritz

Heimlich – grad wie in einem Hobbykeller oder einer Garage – operierte er mit Kategorien der Metaphysik. Da hingen Subjekte an der Wand und Seinsgründe lagen auf dem Tisch, Werkzeug daneben. Der Anspruch an Wahrheit (nicht nur Objektivität) kam aus der Lampe, wenn man das Licht einschaltete. Es machte Geräusche und Fliegen verirrten sich darin, verbrannten und es gab den bekannten kurzen intensiven Gestank. Die Handschuhe, die er trug, waren löchrig und manchmal verirrten sich die Finger durch die Löcher in’s Freie, wenn er sie überzog. Sie schützten ohnehin nicht mehr, weil der Wirkstoff der Isolationsschicht sein Haltbarkeitsdatum überschritten hatte. Zu kaufen gab es sie nicht mehr, nur auf einem Trödel konnte man mit etwas Glück ein paar von ihnen ergattern, zwischen alten Handys und Modelleisenbahnersatzteilen. Es war kalt da drinnen und er wärmte sich, indem er kannenweise Tee zu sich nahm, den er auf einer alten, klebrigen Induktionsplatte erhitzte. Auch dahin hatten sich schon ein paar Fliegen verirrt, und nachts, so dachte er, kamen noch andere Insekten, die jene Mischung aus Zucker und Öl zu sich nahmen, die sich inzwischen zu einem natürlichen Saum der induktiven Umgebung zusammengebildet hatte. Durch ein winziges Fenster kam tags etwas Licht in den »Raum« und gelegentlich hörte er den Hund der Nachbarn an der Garagentür kratzen. Der wollte da rein, denn er roch ja alles, was es hier zu riechen gab. Und er konnte nicht wissen, dass es mit der Metaphysik vorbei war. So glaubten es zumindest die meisten. Mag sein, dass sie wieder einmal attraktiv werden würde so wie die Latzhosen inzwischen wieder »in« waren, gerade bei denen, die all die Taschen nicht brauchten, sondern sie trugen, weil sie irgendwie anders aussehen, ungewohnt und wie aus einer anderen Zeit eben. Die Metaphysik könnte irgendwann attraktiv werden wie es bei den Religionen ja auch der Fall war. Er aber, der Garagist, würde dann nur umso heftiger mit dem Kopf schütteln. Denn eine Metaphysik, die man zum lifestyle verkürzen würde, das wäre noch armseliger als der Verzicht auf sie. Schon bei den Religionen tat ihm Leid, wie sie verflacht wurden auf Dehnübungen und Kalendersprüche, und das, obwohl er bekennend ungläubig war und es ihm eigentlich egal sein konnte. Für die meisten anderen wäre das, was er da unten schraubte und klebte und baute und sägte, Kunst – wenn es hochkommt. Wohl eher Schrott. Ja, er baute Schrott inmitten einer abgeglätteten Welt. Er zimmerte öltriefende, fast hässliche Gestalten, die sich kein Mensch in seinen symmetrisch zurechtgestutzten Garten stellen würde. Es gab inzwischen sogar Gärten mit einem Alarmsystem, damit auch ja keiner – ob Katze, Hund oder Mensch – sie ohne Einverständnis betreten würde. Die neuen Gärten waren Ausstellungsräume und als gäbe es eine Glasscheibe, die die Artefakte einpfercht, blieben die Leute auch tatsächlich am Rande stehen und wagten nicht einmal, ihren Kopf nach vorne zu beugen, um an den Rosen zu riechen. Sie – die Leute, wie er sie gerne in seinen Bart hineinmurmelnd nannte – genügten sich völlig darin, unberührte Betrachter zu bleiben. Sie hatten keinerlei Erwartung mehr an ihr Leben und das hatte, so war seine tiefe Überzeugung, auch mit ihrer Ignoranz gegenüber jeder Metaphysik zu tun. Bei ihnen – so stellte er es sich vor, ja so musste es sein – erfüllten sich tatsächlich die Wünsche pur, also das, was ihnen überhaupt noch als Wünsche aufsteigen konnte. Sie führten ein in sich völlig stimmiges Leben, vom Tod war keine Spur zu sehen darin. Auch die Krankheit wurde noch in den »Kategorien« des Lebens einbegriffen und lediglich auf eine noch übrig gebliebene Unvollkommenheit zurückgeführt. Etwas war noch nicht optimal, etwas war noch nicht ganz glattgefegt. Für alles aber, das es noch zu tun gab, hielt das enge Leben dieser Leute die Kategorien schon bereit. Man verfiel nicht einmal zufällig auf irgendeinen abseitigen Gedanken, der einen dann fast zwingen müsste, die Enge der Wirklichkeit zu weiten, um überhaupt noch »klar zu kommen«. Diese Leute hatten die fatale Angewohnheit, immer klar zu kommen; sie hatten keine Geheimnisse, nicht einmal in ihren Hobbykellern oder den Schubladen ihrer Nachtschränke, von doppelten Böden ganz zu schweigen. Auch das Intimste war in das helle Licht des bürgerlichen Komforts im Privaten gerückt (alles Private war unlängst so öffentlich geworden, dass es nichts wirklich Öffentliches mehr gab). Die Nacktheit wurde geradezu operativ bei Lichte betrachtet und all die Akte, in denen sich Menschen würden gefährlich nah kommen können, waren pornographisiert und in das alltägliche Miteinander eingewoben. Alles wurde genossen, aber schlicht und wenig intensiv, und wenn intensiv, dann kurz, und wenn lang, dann so bewusst, dass es schon wieder egal war; noch die spontansten Erregungen, Erektionen, Wallungen wurden sozusagen reaktiv verarbeitet auf irgendeine der unzähligen Weisen, die die Registratur des glatten Lebens bereithielt. Es gab nicht mehr die Momente, in denen man die Erfahrung machen musste, dass man hasste, dass man verachtete, dass man nichts dringlicher wollte als etwas zerstören – und wenn solcherlei aufkam, dann cinematisiert. Die Realität war zu einem Film geworden, in dem selbst die Gewalt ihren dramaturgischen Sinn erfüllte. Es blieb zu träumen nichts mehr übrig, weil alle Träume sofort an die Oberfläche getragen wurden, gerade wie von emsigen Helfern. Man erzählte sich beim Frühstück, dass man im Traum sein Geschlecht verloren hätte und kommentierte es lässig mit einem Zitat aus einem Buch von einem gewissen Freud, auf den man sich bezog, als sei er gerade bei DSDS ausgetreten. Philosophen und Popstars waren im Empfinden der meisten nicht mehr zu unterscheiden. Wenn man von einem höheren Anspruch redete, in einer Bar zum Beispiel beim dritten Bier, so wie unser Garagist es manchmal versuchte, dann erntete man verdutzte Blicke. Als wäre man ein Archäologe, der schon sein Leben lang mit sogenannten Orchideenhobbys verbracht hätte, irgendwo am anderen Ende der Welt, in einem Land, von dem man nicht einmal wusste, dass es das gibt. Ein verquaster Freak war man dieser Tage nicht, wenn man Käfer sammelte und alle Städte der Welt auf einer stummen Karte identifizieren konnte. Ein Freak war man, wenn man davon sprach, dass es noch etwas geben musste, das über all dies hinausreichen würde. Den Liebeskummer kannte man noch und manchmal widerfuhr es den Leuten, dass sich ein Bedürfnis einschlich, das nicht direkt identifiziert werden konnte. Dafür gab es aber Prüfsysteme und also blieb es bei kurzen Momenten der Irritation (wenn dies nicht schon zu viel gesagt wäre). Was eine Sehnsucht war, das wussten nur noch wenige und die »kannten« es meist nur aus Büchern und Filmen. Die Filme waren aber immer mehr geworden und Bücher tendierten schon dazu, als Absonderlichkeiten zu gelten. Zunehmend verschwand die Idee des Unsichtbaren aus den Köpfen und Herzen der meisten. Was eine Oberfläche war, wusste man gerade noch, weil es so etwas wie Gesteinsschichten gab, die auch noch eine gewisse gesellschaftliche Relevanz hatten. Wichtiger aber war das Glatte, das eben nicht nur Oberfläche war, sondern allem und jedem wesentlich. Totalimmanent und auf nichts sonst mehr bezogen – das Allglatte. Die Welt war eine Skipiste geworden ohne alle Gefahr und man glitt genügsam hinab und ließ sich, unten angenommen, wieder hochgondeln. Das war alles so schön und jeder, der ausscherte, musste als Spaßverderber gelten. Deswegen war unser Gestriger zurückhaltend geworden und zeigte sein Zeug nur noch selten; in seiner Garage stand es sicher und auch er konnte so noch ein wenig weiterleben. Ohne all dies Gerümpel, allein auf der Skipiste unter der buttercremeweich blendenden Sonne, zwischen all den lächelnden, durch Strohhalme schlürfenden Gestalten (man konnte bei ihnen nicht mehr unterscheiden, ob sie betrunken waren oder nicht) wäre er sich wie tot vorgekommen. Es gab auch die Kaminzimmer nicht mehr, wo man nach einem solchen ekelerregenden Skiausflug am Abend wenigstens hätte erzählen können von jener Zeit der großen Gedanken und hohen Erwartungen. Holz wurde nicht mehr verfeuert; es gab jetzt »bessere« Simulationen. Digitale Flammen … und war das nicht großartig, weil so nichts mehr schmutzig werden musste (er würde eher sagen: konnte, nach dem dritten Wein sogar: durfte)? Und keine Fliege könnte sich in irgendeins der Stübchen verirren. Manchmal glaubte er im Scherz, es würde Fliegen überhaupt nur noch geben, weil und solange er in seiner Garage Tee mit Zucker (der inzwischen als der weiße Teufel galt) trank und Öl brauchte, um ein Scharnier wieder funktionstüchtig zu machen, wenn es den Geist aufgegeben hatte. Die Scharniere kaufte er auf Flohmärken, von denen aber auch immer weniger gab. Ein paar von den besonders seltenen flexiblen Winkelscharnieren hatte er noch. Er brauchte sie dringend, damit all das, was er baute, am Ende zusammengefasst werden, dabei aber doch so beweglich wie »möglich« bleiben konnte. Das war wichtig, denn manchmal, besonders wenn ihm auffiel, wie allein er mit all dem war, sehnte er sich danach, glauben zu können, all die Skifahrer und Gartentouristen hätten vielleicht doch Recht mit ihrer Flucht vor jeglicher Tiefe. Dann brauchte er das Wissen um die bereitliegenden Scharniere, die immerhin das Glatte mit dem Glatten verbinden und so ein Winkliges würden erzeugen können. Dann brauchte er den Dreck unter seinen Nägeln und das trockene Blut und bei allem Ekel sogar die toten Fliegen.

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