Aus dem Leben eines Obdachlosen - Am Lagerfeuer mit jemanden ins Gespräch kommen

Text

von  pentz

2. Mit jemanden ins Gespräch kommen

„Hör nicht auf den!“, flüstert mir eine Frau links ins Ohr.
Sie hat sich auf eine Tasche mit daran hängenden Taschen gestützt und da sie auf etwas Erhöhtem sitzt, umfasst sie sie mit den Armen, als wolle sie sie nicht loslassen.
„Der munkelt nur. Glaube denen nicht, die sagen, es gehe ihnen blendend, zumal wenn sie sagen, sie haben Unterschlupf, eine Übernachtungsmöglichkeit, Bekannte, wo sie unterkommen können. Meist sieht es bei allen nicht rosig aus, wie sie tun und sagen. Jeder schämt sich natürlich, daß er auf der Straße ist. Bis auf ein paar Ausnahmen. Die prahlen sogar damit. Aber, wie gesagt, bei den wenigsten sieht es ganz schön düster aus.“
Und dazu nickt sie vielsagend mit dem Kopf. Diesen hält sie aber ständig geradeaus, als wolle sie vertuschen und das niemand sehen kann, wie sie etwas spricht.
Es gibt mir zu denken, denn eins ist mir schon aufgefallen, daß in der Tat viele sagen, sie hätten schon ein Dach übern Kopf, aber nichtsdestotrotz ihre wenigen Habseligkeiten und Sachen nicht bei ihren Bleiben liegen lassen, stattdessen mit sich herumschleppen, was oftmals eine große logistische Herausforderung darstellt, zum Beispiel die Handrollatoren über Treppen, Stufen und Stegen zu schleppen oder eine Rolltasche, in dessen Behälter Plastiksäcke, - beutel und Papiertäschchen mit bescheidenem Hab und Gut stecken und hängen. Soweit man da immer tiefer hineinsehen kann in diesen Kuddelmuddel von Tüten, offenbaren sich selbst wieder Hunderte Tüten und Fächer, als könnten die Inhaber nichts loslassen und wegwerfen, gleich Messis alles aufbewahren müssen, womöglich mit dem Unterschied, daß sie bei ihren chaotisch wirkenden Säckchen, Beutelchen und Tütchen eine Ordnung, eine Systematik und Aufgeräumtheit haben, die ein wirklicher Chaot nicht hat.
Ja, was mir diese Obdachlose erzählt, flößt mir Vertrauen ein und ich kann es mit meinen Beobachtungen in Einklang bringen. Letzthin erst hat einer getönt: "Bei mir ist alles in  Butter, ich habe immer eine Möglichkeit, nachts unterzukriechen, darfst mir glauben, haha, mir wegen braucht sich keiner Sorgen zu machen. Es geht schon!“
Selten bin ich mit jemanden so im Einklang gewesen und nachdem ich ihre Aussagen, die so viel Vertrauensgefühl und Sicherheit vermittelt hat, bestätige, gebe ich auch dies und jenes frei von der Leber gesprochen zum Besten, aber vor allem über den schweren Verlust meines „Besitzes“, wie es hat dazu kommen können, was an mir noch immer am nachhaltigsten nagt.
Sie ist ganz anteilssam, wie nur Frauen das können, so mitleidig, emphatisch und hellhörig, daß es einem richtig Spaß macht, sich wie einen dicken Sack auszuleeren, sich seine Sorgen von der Seele zu reden und all seine Steine vom Herzen loszutreten.
„Leih mir mal 3 Euro!“, kommt es wie aus der Pistole geschoßen von ihr, die mir ein paar Minuten ihr Ohr geliehen hat und wohl jetzt glaubt, sie haben mir schon so viel Vertraulichkeit entgegengebraucht, daß die Voraussetzung eingesetzt ist, mich anzubetteln, zudem in einem Befehlston.
Ist dies das Ergebnis, die Belohnung für ihr Zuhören, der Sinn ihres Mitgefühls? Fasst sie dies so auf, daß ich ihr daraufhin mein so bitter benötigtes und erworbenes Geld geben würde, weil sie mir mal für ein paar Minuten ihr Ohr geliehen hat?
Ich komme mir betrogen, hintergangen, getäuscht vor.
Würde ich selbst dieses unangenehme Gefühl nicht haben, bisse sie dennoch auf Granit und Eisen.
Mag sie es noch so überzeugend herübergebracht haben, nachdem ich sofort gesagt habe: „Nein!“, und sie: „Du kriegst sie wieder“, welches durchaus im Klang beruhigend, vertrauensvoll, bestimmend und verlässlich angemutet hat, so habe ich's bislang niemals nicht anders gehandhabt oder wenn, nur schlechteste Erfahrungen gemacht. Heißt doch auch so ein strutzdummbanaler Spruch mit so viel bitterer Wahrheit: "Bei Geld hört die Freundschaft auf."
"Du, ich verleihe nichts und ich leihe mir selbst niemals etwas von jemanden“, so bestimmt gesagt, daß es verdeutlicht: dies ist ein ehernes, unverbrüchliches Gesetz, Prinzip, Regel bei mir, die ich niemals brechen und durchkreuzen würde. Punktum.
Es kommt auch keine Erwiderung. Wahrscheinlich aber nur, weil sie plötzlich von jemanden von der anderen Seite her angesprochen wird? Oder hat sie, um die Peinlichkeit zu überbrücken, sich selbst an diesen gewendet? Jedenfalls ignoriert sie mich eine ganz schön lange Zeit. So lange, daß ich denke: das ist’s wohl nun gewesen. Eine leidlich flüchtige Bekanntschaft, ein paar Worte, scheinbar solidarisches Mitgefühl, dann aber, weil nichts aus dem anderen herauszuholen ist, Ade und Tschüs!
Enttäuschung.
So läuft das also!
Du lernst.
Du begingst zu lernen.
Keiner ist sich näher als sich selbst, das Hemd näher als die Hose und jeder Narziß in Person. So geht’s zu, wenn man überleben muß. Was ist der andere Wert für mich - ist er eine Gefahr, dann meide ihn, ist er eine potentielle Melkkuh, dann zapfe ihn an, ein voller Brotkorb, dann öffne ihn geschickt.

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