Verbrecher, Meuchelmörder, Leut´schinder

Groteske zum Thema Erinnerung

von  RobertBrand

Verbrecher, Meuchelmörder, Leutschinder …

Es ist Sommer, August, Hundstage.
Ich wohne in der Nähe der Hernalser Hauptstraße.
Des Nachts wird versucht, sich der unter Tags aufgestauten Hitze bei offenen Fenstern zu entledigen.
Meist wird sie nur durch die vom heißen Asphalt gespeicherte Hitze, die wieder abgegeben wird und mit dementsprechendem Odeur versorgt ist, ausgetauscht.
Man schläft schlecht unter solchen Konditionen.
Zu dieser Zeit - anfangs des jungen Milleniums - bewohne ich eine kleine Garconniere - Zimmer Küche Bad, Klo am Gang, geteilt mit der Nachbarwohnung.
Da meine Nachbarn die Hausmeister sind - und unverständlicherweise neben mir im dritten Stock wohnen, weil Hausmeisterwohnung is normal im Erdgeschoss - ist mein Klo auch ohne meine aktive Hilfe beim Reinigungsvorgang immer blitzblank.
Unabhängig davon - ich schlafe bei der Hitze immer noch schlecht.
Spätabends - oder Frühmorgens - ich glaube, dass ist letztlich Betrachtungssache - also so gegen halb vier Uhr in der Nacht - beginnt einer der letzten Gäste aus einer der Bauchstichhütten in der Gegend seinen Heimweg.
Ich nehme an, er befindet sich am Heimweg, weil sonst hat nix mehr auf um die Zeit und die ersten Café und Beiseln machen erst wieder um 6 auf.
Er lässt uns also teilhaben an seinen Gedanken zu dieser Stunde.

„Verbrecher, Meuchelmörder, Leut´schinder, g´hert´s olle in Häf´n …“

Irgendwie neugierig auf seine Schimpftirade andererseits auch angewidert von der frühmorgendlichen Störung höre ich mit einem Ohr hin.
Es wird unverständlicher und leiser - bis es plötzlich verstummt.
Ich gleite wieder in den Schlaf hinüber.
Plötzlich läutet es an der Gegensprechanlage.
Mehrmals.
Es dauert eine Weile, bis ich meine Augen aufbringe und zum Wecker schiele.
04:15.
Ich krieche aus dem Bett, schaue bei meinem straßenseitigen Fenster hinaus und versuche zu sehen, ob der Saufkopf unten an unserer Tür steht.
Es läutet wieder.
Ich gehe zu meiner Sprechanlage.
Und höre den Nachbarn zu, die in ihre Apparate schreien, keiffen, brüllen, drohen - ich nehme an, es sind Drohungen - die Uhrzeit bedenkend - weil ich verstehe viele der im Haus gesprochenen Sprachen nicht.
Wir erinnern uns - nähe Hernalser Hauptstraße.
Plötzlich sehe ich Licht am Gang angehen.
Geht jetzt wer runter zum Saufkopf und gibt im persönlich Beton?
Nein - besser. Irgendein Gehirnamputierter hat ihn ins Haus gelassen.
Ich höre ihn im Stiegenhaus gröhlen.

„Verbrecher, Meuchelmörder, Leut´schinder …“

Ich kontrolliere, ob meine Tür auf beiden Schlössern versperrt ist, lege noch die Vorhängekette an, ziehe den Vorhang komplett zu, ich habe Glaseinlagen in der Eingangstür - drehe mein Licht in der Wohnung ab - warte.
Ich setze mich in der Küche auf den Fussboden direkt vor meine Eingangstür - und befürchte schlimmstes.
Das ist Premiere - noch nie war um 04:15 ein unbekannter schwer Betrunkener auf Tour durch mein Haus.
Ich hoffe, dass er es nicht bis in den dritten Stock schafft - weil unter uns gesagt, ist ja schon weit, so knapp 100 Stiegen in so einem alten Zinshaus bis in den dritten Stock mit gefühlten 8 Promille, oder?
Es klopft an Türen, es werden in verschiedenen Sprachen Höflichkeiten ausgetauscht und ich nehme an, ganz freundlich Watschen angeboten.
Das Licht am Gang geht aus.
Das Licht am Gang geht wieder an.
Ich höre Füße am Gang schlurfen.
Scheiße.
Doch geschafft.
Es poltert an meiner Tür.

„Moch auf, i waas, dass du daham bist, los mi eine“

Ich verharre sitzend in meiner Küche.
Es wird an der Türschnalle gerüttelt - aber die Tür geht natürlich nicht auf.
Dann höre ich, wie es an der Nachbar Tür poltert.
Mein Nachbar, der Hausmeister, kommt aus Serbien. Netter Mann, kann sehr gut deutsch, lebt mit seiner Frau seit 20 Jahren in Wien, tauscht sich mit dem Besucher durch die geschlossene Tür hindurch aus.

„Was willst, du b´soffene Sau?“

„Verbrecher, los mi in mein Wohnung eine …“

„Alter, is halb fünf in der Früh, weißt du überhaupt wo du bist?“

„Mei Wohnung in der HütteldorferStraßen, los mi eine“

„Alter, ist falsches Haus, ist falsche Straße - Alter - ist falsches Bezirk! Schleich dich!“

Müde Füße schlurfen davon - jemand stolpert die Stiegen hinunter.

„Verbrecher, Meuchelmörder, Leut´schinder, g´hert´s olle in Häf´n …“

Ich gehe zum Fenster und warte, bis ich aus unserer Haustür wen raustorkeln sehe.

Langsam, aber stetig entfernt sich der frühmorgendliche Monolog von meiner Haustür.

„Verbrecher, Meuchelmörder, Leut´schinder …“

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Kommentare zu diesem Text


 Graeculus (07.04.21)
Die Hernalser Hauptstraße kenne ich. Soso, alles Verbrecher, Meuchelmörder, Leutschinder … dort, das ist mir nicht aufgefallen.
Aber viel gesoffen wird da, das kann ich bestätigen.

Unterhaltsam geschrieben, und für mich auch eine Erinnerung an die Sprache. Sagt man so jemandem nicht auch "Geh scheißen, Alter"?

 Mondscheinsonate meinte dazu am 08.04.21:
Oida, Geaeculus, in Wien sagt man Oida, nicht Alter. Außerdem, das wahre Wienerische setzt sich aus einem Satz Wienerisch zusammen und einem hochdeutschen Satz. Beispiel: Oida, was is mit dir? - Möchtest du nicht endlich gehen?
So funktioniert das.

 Graeculus antwortete darauf am 08.04.21:
Das "Alter" habe ich in diesem Falle aus dem Text einfach übernommen:
„Alter, ist falsches Haus, ist falsche Straße - Alter - ist falsches Bezirk! Schleich dich!“
Vielleicht ist das 'Wienerisch mit Migrationshintergrund'?

 Mondscheinsonate schrieb daraufhin am 08.04.21:
Haha, vielleicht.

 Dieter_Rotmund (02.05.21)
meine Klo -> mein Klo

Gerne gelesen.
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