Frühe Begegnung mit dem Tode. Fortsetzung

Erzählung zum Thema Sterben

von  EkkehartMittelberg

Ich war in den unteren Klassen des Gymnasiums ein sehr guter angepasster Schüler. Das brachte mir nicht nur Sympathien ein. Zwei schulleistungsschwache Schüler aus meinem Stadtteil verstanden sich damals schon auf das, was man heute Mobbing nennt. Wir fuhren gemeinsam mit dem Fahrrad zur Schule. Die beiden großen, kräftigeren Jungen nahmen mich in die Mitte zwischen ihre Räder und bedrängten mich von beiden Seiten. Mir ist heute noch ein Rätsel, warum es bei diesen Manövern nicht zu gefährlichen Stürzen kam.
Die nicht enden wollende Bedrängnis nahm aber doch ein Ende, weil die beiden die Schule verließen und ins Berufsleben gingen.
Ich war bereits Student, als ich einen von den beiden wieder traf. Er war inzwischen Automechaniker geworden und fuhr einen stattlichen Opel-Kapitän, wahrend ich noch immer „stolzer“ Besitzer eines Fahrrades war. Die Rangeleien aus der Schulzeit waren vergessen und wir wurden unzertrennliche Freunde. Ich interessierte mich für sein technisches Fachwissen und er sich für mein Studium der Literatur. Ich hatte damals eine Freundin und wir gingen zu dritt am Wochenende aus. Ich bedauerte, dass wir nicht mehr so oft zusammen sein konnten, weil auch er eine feste Freundin gewonnen hatte, die weit entfernt wohnte.
Als er nachts übermüdet mit seinem Auto nach Hause fuhr, passierte das Schreckliche. Es hatte stark geregnet und auf einer schadhaften Straße war eine große Wasserlache entstanden, in die er mit überhöhter Geschwindigkeit hineinfuhr. Durch den Druck des Aufpralls öffnete sich die Tür des Autos auf der Fahrerseite und er flog mit einer Stirnverletzung bewusstlos aus dem Auto in die Pfütze. Fragen Sie mich jetzt bitte nicht nach den genaueren Umständen, aber laut Zeitungsbericht ist er jämmerlich in der Pfütze ertrunken, der große starke Mann in der Blüte seines Lebens.
Damals zeigte sich für mich der Tod zum ersten Mal von seiner sinnlosen Seite und darüber konnte nicht hinwegtäuschen, dass der Pfarrer von Gottes unerforschlichem Ratschluss sprach. Ich war fassungslos und weinte bitterlich.

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Kommentare zu diesem Text


 TrekanBelluvitsh (11.04.21)
"Der Tod gehört zum Leben", sagt man. Dabei sollte es doch eigentlich anders herum heißen: "Das Leben gehört zum Tod." Und wenn das Leben unvollständig scheint, wird der Tod zu einer ungerechten Zwangsläufigkeit.

- Henry Franklin MacDillmore -

 EkkehartMittelberg meinte dazu am 11.04.21:
Danke für den klugen Kommentar.

 AchterZwerg (11.04.21)
Wenn Kinder vor ihren Eltern sterben oder der Starke vor dem Schwachen, bleibt "Gottes unerforschlicher Ratschluss" wohl im Reiche der unlösbaren Rätsel.
Mir fällt gerade auf, dass ich noch nie einen toten Menschen aus der Nähe gesehen habe. Eigenartig ...Hier scheint ebenfalls eine ausgeprägte Kontaktsperre vorzuliegen.
Umso sinnvoller finde ich es, wenn jenseits des Genres der Kriminalromane darüber geschrieben wird.

Herzliche Grüße
der8.

 EkkehartMittelberg antwortete darauf am 11.04.21:
Vielen Dank, Piccola, ich meine auch, dass bei diesem Thema Austausch besser als Aussperrung ist..
Herzliche Grüße
Ekki

 Annabell (11.04.21)
lieber Ekki, ein "e" bitte streichen (guter angepasster Schüler).
Der Text gefällt, dafür ein *chen..
Einen schönen Sonntag wünscht Dir
Annabell

 EkkehartMittelberg schrieb daraufhin am 11.04.21:
Danke für deine stete Aufmerksamkeit, Annabell, Auch dir einen angenehmen, Sonntag.
Liebe Grüße
Ekki

 Moja (11.04.21)
Lieber Ekki,
Deine Erzählungen vom Sterben berühren mich sehr, erschütternd das tragische Ende.
Meine eigenen Erfahrungen mit dem Sterben nahestehender Menschen werden in mir wach, im Rückblick begann ich darüber nachzudenken, wie vergeblich viele Anstrengungen und Kämpfe im Leben dieser Menschen waren, wenn es plötzlich mit einem Schlag beendet werden konnte - und auch was das für mich als noch Lebende bedeutet.
Danke für diese Erzählungen!

Herzliche Grüße,
Moja

 EkkehartMittelberg äußerte darauf am 11.04.21:
Grazie, Moja, das beschäftigt mich auch sehr, dass sich manche Menschen sehr bemühen, in ihrem Leben etwas Besonderes zu erreichen und dann schlägt der Tod manchmal gleichgültig, um nicht zu sagen "banal" zu.
Herzliche Grüße
Ekki

 DanceWith1Life (11.04.21)
es gibt wohl nur sehr wenige Dinge, die unseren Erfolg im Lebenskampf, auch der "ganz normale Wahnsinn" genannt, so relatvieren, auf deutsch, also nee, wie der Tod.
Die genaue Geschichte eines Todes, von uns aus betrachtet, naja, wenn er nicht bei Bewusstsein war, ist er einfach nur gestorben.
Das reichte ihm völlig, nehm ich mal an.

 EkkehartMittelberg ergänzte dazu am 11.04.21:
Gracias, Dance, ja, diese Relativierung unserer Bemühungen geht mir immer wieder im Kopf herum - und das Banale. Die Pfütze, in der der junge Mann ertrinkt, ist gleichsam ein Sinnbild für die Sinnlosigkeit.

 indikatrix (11.04.21)
Es ist und bleibt unbegreiflich, die Ohnmacht davor, die Hilflosigkeit,
vielen Dank,
Indikatrix

 EkkehartMittelberg meinte dazu am 11.04.21:
Grazie, Indikatrix, es ist besser, diese Ohnmacht und Hilflosigkeit zu ertragen, als sich mit phrasenhaften Erklärungen abspeisen zu lassen.
Liebe Grüße
Ekki

 Regina (11.04.21)
Die Pflanze meint nicht, dass es Tod ist, wenn sich zur Winterzet die Lebenssäfte zurückziehen und im Frühjahr zurückkommen. Aber sie kann sich nicht auf Beinen fortbewegen und diese Möglichkeit bezahlt der abgeschlossene, geborene Organismus mit dem Tod, von dem wir aber nicht wissen, wann er auftritt. Schmerzhaft für die Zurückbleibenden, was die toten erfahren, sehen wir ja nicht so richtig. LG Gina

 EkkehartMittelberg meinte dazu am 11.04.21:
Kompliment, Gina, du hast eine andere positivere Sicht, in der der Tod nur Durchgangsstadium ist, sehr feinfühlig ausgedrückt.
LG
Ekki

 GastIltis (11.04.21)
Hallo Ekki, wie immer so erzählt, als wäre man fast dabei gewesen. Das Bedauern sitzt unsagbar tief. Liebe Grüße von Gil.

 EkkehartMittelberg meinte dazu am 11.04.21:
Vielen Dank, Gil, das Bedauern sitzt immer noch sehr tief, obwohl viele Jahrzehnte darüber vergangen sind.
Liebe Grüße
Ekki

 TassoTuwas (11.04.21)
Hallo Ekki,
es öffnet sich eine Tür zum Leben, von der jeder weiß, irgendwann schließt sie sich. Wir wissen es und doch, wenn es in unserer Nähe geschieht, erschüttert es uns und wird uns unverständlich bleiben.
Herzliche Grüße
TT

 EkkehartMittelberg meinte dazu am 12.04.21:
Merci Tasso, mein Schwiegervater starb kurz vor seinem 1oosten Geburtstag. Er wollte sterben und empfand seinen Tod als Erlösung. Wir waren natürlich sehr traurig, empfanden sein Ableben aber als sinnvoll. Der frühe und banale Tod meines Jugendfreundes jedoch erscheint mir heute noch als sinnlos.
Herzliche Grüße
Ekki
Al-Badri_Sigrun (61)
(12.04.21)
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 EkkehartMittelberg meinte dazu am 12.04.21:
Vielen Dank, Sigi, dass du noch einmal zwischen nachvollziehbarem und sinnlosen Tod differenzierst. Ich sehe das ebenso wie du. Manchmal darf man sogar dankbar sein für Umstände und Zeitpunkt des Todes eines lieben Menschen und manchmal ist man fassungslos, weil er statt Freund Hein zu sein die Sense wie von Sinnen schwingt.
Herzlichst
Ekki
Sin (56)
(12.04.21)
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 EkkehartMittelberg meinte dazu am 12.04.21:
Vielen Dank, Sin, Ich freue mich, dass dir meine Erzählung gefallen hat.
herzlich
Ekki
Agnete (66)
(12.04.21)
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 EkkehartMittelberg meinte dazu am 12.04.21:
Merci, Agnete, Wusstest du, dass in den griechischen Mythen sogar die Götter dem Schicksal (der Moira) unterworfen sind?
Liebe Grüße
Ekki
Agnete (66) meinte dazu am 12.04.21:
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 harzgebirgler (12.04.21)
zu meiner grundschulzeit starb ein mitschüler an leukämie
und das gab uns lütten schon zu denken damals irgendwie.

beste grüße
henning

 EkkehartMittelberg meinte dazu am 12.04.21:
Danke, Henning, das kann ich gut nachvollziehen, weil gerade in diesem Alter der Tod noch so weit entrückt ist.
Herzliche Grüße
Ekki
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