Der Vergleich

Absurdes Theaterstück zum Thema Gegensätze

von  Terminator

Es gibt prinzipiell unerfüllbare Träume, die jedoch so logisch und legitim sind, dass jeder sie als Kind und Jugendlicher hatte. Die vollkommene Glückseligkeit lässt sich in diesem Leben ohnehin nicht erreichen. Das ist so klar, dass es einem Wunder der Idiotie gleichkommt, wenn jemand das Gegenteil behauptet. Und dennoch behaupten viele Leute das Gegenteil, und sind dabei keine Idioten. Wie ist das möglich?

Der Mensch ist ein soziales Tier; alle Tierarten bis auf homo sapiens sapiens sind in ihren Verhaltensweisen biologisch determiniert, unsere Tierart ist hingegen sozial determiniert. Wir können sogar Gesellschaften aufbauen, die sich mit unserer biologischen Natur nicht vertragen; wir können viel leichter gegen alle biologische Vernunft verstoßen, als gegen unsere sozialen Determinanten.

Die Grundlage des sozialen Lebens ist der Vergleich. Das geht so weit, dass die meisten Menschen gar nicht darüber nachdenken, was es für sie selbst bedeutet glücklich zu sein, - vielmehr schauen sie bei anderen ab, was diese für Glücklichsein halten, und versuchen, sie darin zu übertreffen. Es ist absurd, doch die meisten Leute definieren ihr Glück nicht über ihr persönliches Glücksempfinden, sondern allein darüber, was in der Gesellschaft gerade als Glück gilt, - um dann nach etwas zu streben, was sie eigentlich niemals wollten.

Es ist schwer zuzugeben, dass man unglücklich ist. Lieber spielt man den anderen Glücklichsein vor, denn soziale Ächtung, die den Unglücklichen, den "Gescheiterten" zuteil wird, scheint das größte denkbare Unglück zu sein. Tatsächlich? Stell dir vor, du sitzt angekettet in einem ekelhaften Kerker, Tage, Monate, Jahre, dein Körper verfault, du wirst jeden Tag gequält und gefoltert, und die Erlösung durch den Tod bleibt dir versagt. Wie lange dauert es, bis der Vergleich mit anderen für dein Glücksempfinden keine Rolle mehr spielt? Was spielt es für eine Rolle, wenn du dabei (woher auch immer) die Gewissheit hast, dass es allen, die du kennst, gerade noch schrecklicher ergeht?

Du bist unsterblich in ein Mädchen verliebt, und das Mädchen deiner Träume will dich. Sie ist so wunderschön, wie du sie dir in den schönsten Träumen ausgemalt hast, und nun steht sie vor dir, und will dich so wie du bist. Du suchst paranoiderweise nach einem Haken, aber es gibt keinen. Wohin sind auf einmal die anderen verschwunden, warum ist es dir plötzlich in astronomischen Größenordnungen egal, ob jemand anders verliebter, geliebter oder glücklicher ist als du? Du bist einfach nur glücklich und siehst ein, dass Glücklichsein eine unmittelbare Empfindung ist, die keinen Vergleich braucht.

Der Mensch hat durch seine Kultur einen großen Schritt gemacht, sich vom biologischen Determinismus zu emanzipieren. Der Mensch kann stolz von sich behaupten, kein bloßes Tier mehr zu sein, weil sein Verhalten nicht mehr biologisch determiniert ist. Der Mensch ist aber immer noch ein Herdentier, und hat sich vom sozialen Determinismus mitnichten emanzipiert. Zu diesem Schritt ist Persönlichkeit erforderlich, und diese entsteht, wenn der Einzelne begreift, dass die einzige Menschheit, auf die es ankommt, nicht die Menschenmenge da draußen ist, sondern die Menschheit in der eigenen Person.

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