Wie ich im Kontakt mit Elektrizität unerkannte Begabungen entwickelte

Text

von  unangepasste

Ich habe ein Talent dafür, Dinge zur Explosion zu bringen. Das mag vielleicht merkwürdig klingen, aber in der Tat war bei mir diese Fähigkeit schon früh ausgereift. Leider hat sie einen Haken: Ich kann sie nicht bewusst einsetzen. Wäre es nicht manchmal praktisch, mit dem Drucker einen kleinen Knall zu verursachen, um die Aufmerksamkeit des Chefs solch banalen, einfachen Dingen zuzuwenden? Natürlich völlig unschuldig. Insbesondere vor dem jährlichen Bewertungsgespräch.
Nun aber zurück zu den Anfängen meiner Begabung. Eines Tages brachte meine Mutter zwei alte Nähmaschinen mit nach Hause. Sie liefen bereits mit Strom – kein Hinderungsgrund, ein Mädchen von acht Jahren daran zu setzen. Tag für Tag vertiefte ich mich in die Aufgabe, für meine Puppen neue Kleider anzufertigen. Das kam meiner Mutter gewiss gelegen. So erwarb ich nicht nur früh die wesentlichen Fertigkeiten einer Hausfrau, die ich übrigens später wieder bis zur völligen Vergessenheit verlernte, sondern quengelte und störte auch nicht. Ich war ja beschäftigt. Und zwar mit wichtigen Dingen: der Garderobe meiner Schützlinge, die ich zum Leidwesen der Erwachsenen „Kinder“ nannte. Einige Wochen ging das gut. Ich saß am Esstisch, schnitt Stoffreste zu und ließ sie durch die Maschine rattern. Abends brachte ich die „Kinder“ in einem neuen Nachthemd ins Bett, und morgens steckte ich sie in ein Blümchenkleid, das mit den Mädchen auf den Schwarzweißbildern meiner Vorfahren fraglos Konkurrenz aufnehmen konnte.
Dann, an einem Nachmittag, geschah etwas Unerwartetes. Es gab einen Knall. Das Fußpedal brannte. Meine Mutter rannte aus der Küche. Mir war nichts geschehen, aber die Nähmaschine blieb fortan kaputt.
Ob mein Talent erblich bedingt war? Bestimmt. Ich stand im Türrahmen der Küche und sprach mit meiner Mutter, während sie herumhantierte. Mit geübtem Handgriff zog sie den Stecker des Wasserkochers heraus. Er hatte keine Taste, die als Aus-Knopf diente, daher war dies nötig, um den Vorgang des Erhitzens anzuhalten. Aus der Dose kam eine Stichflamme. Meine Mutter sprang mit erstarrtem Gesicht zurück. Aus ihrem Mund fielen Worte, die um ein Haar nicht mit ihrem Konzept der schimpfwortfreien Erziehung vereinbar gewesen wären.
All diese kindlichen Prägungen nahm ich mit, als ich Jahre später die erste eigene Wohnung bezog. Anders als manch frühe Fähigkeit wie das Nähen verwuchs sich mein einst erkanntes Talent nicht; im Gegenteil, konnte ich es auch im Alter der Volljährigkeit noch mehrfach unter Beweis stellen. Bei der Wohnung handelte es sich um ein Kellerzimmer in einem Reihenendhaus. Winters wie sommers hatte es eine Eigenschaft: Es war kalt. Ich hatte einen alten Heizlüfter von meinen Eltern bekommen, ein orangefarbenes, kleines Gerät, das fortan in der Mitte des Raumes stand und mich von hinten anblies, während ich am Schreibtisch saß und an Hausarbeiten über Charles Dickens oder Derek Walcott schrieb. Zwei Jahre verrichtete es zuverlässig seinen Dienst. Dann wurde es seiner Aufgabe überdrüssig. Ich hatte ihm in meiner Anwesenheit kaum eine Pause gegönnt. Wer sollte es ihm also verübeln? Ein bisschen konnte ich die Rebellion gegen einen solch hartnäckigen Arbeitgeber wie eine stets unterkühlte Studentin verstehen. Doch musste sie gleich in einer Selbstzerstörung enden? Auch der Heizlüfter starb mit einer Stichflamme, die zu meinem Glück nur auf den Steinfußboden fiel. Der blieb fortan kalt. Draußen machte sich zwar Frühling bemerkbar. Doch bis in den Keller kam er nicht. Oben durchs Wohnzimmerfenster schien die Sonne. Dem Vermieter wurde es warm. Die Ölheizung wurde also noch tiefer gestellt, während bei mir unten nach wie vor nichts vom Wetterumschwung zu spüren war – jedenfalls nicht im frühlingshaften Sinn.
Die Wohnung war mit einer Küchenzeile ausgestattet, die aus alten, ausgemisteten Geräten bestand, für ein Studentenleben ausreichend, jedoch nicht ohne Makel. Eines Tages beschloss ich, den Herd etwas gründlicher als sonst zu reinigen. Ich goss eine ordentliche Schicht Wasser auf die Platten und schrubbte mit Schwamm und Scheuerpulver darüber. Was ich nicht wusste: Durch feine undichte Stellen konnte das Wasser ins Innenleben des Gerätes dringen. Es gab einen Knall, wenig später einen zweiten. Die Hälfte der Herdplatten war damit außer Gefecht gesetzt. Erst nach Wochen, als die Reste offenbar verdampft waren, ließ sich den Platten wieder eine Reaktion abringen – dieses Mal keine laute, sondern die übliche Reaktion eines Herdes.
Trotz all der Vorfälle betrete ich bis heute die Wohnungen von Bekannten, ohne dass rot-weiß gestreiftes Absperrband um Elektrogeräte gehängt wird. Jedenfalls ist mir noch keins aufgefallen. Manchmal darf ich sogar eine Herdplatte oder einen Wasserkocher bedienen. Dann staune ich vor so viel Vertrauen.

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Kommentare zu diesem Text


 Mondgold (15.04.21)
Dann bin ich bei Dir ja richtig. Ich hatte gestern eine HEUREKA
Erlebnis, in einen mir bis dahin nicht ganz nachzuvollziehenden Vorgang, in dessen Prozess ich aber irgendwie verwickelt zu sein schien. Gleichzeitig nahm ich meinen Backofen, den ich schon vorgeheizt hatte, in Betrieb und das Backpapier fing lichterloh zu brennen an.
Tja, so ist es mit dem Feuer.
Schöner Text!
LG MO

 unangepasste meinte dazu am 15.04.21:
Oh, ja, das habe ich auch schon geschafft, da habe ich beste Erfahrung. LG

 LottaManguetti (15.04.21)
Sehr unterhaltsam.
Außer im Kamin lodert bei mir kein Feuer, aber das muss ja nichts heißen. Ich hoffe aber, dass die Entdeckung derartiger Talente mittlerweile gegen Null geht und keine Überraschungen mehr kommen.

Das mit dem Strom, der sich nach mehreren suchenden Streicheleinheiten hinter der überklebten Tapete meldet, habe ich auch in 50 Jahren nicht vergessen. Ich habe das aber nicht weiter verfolgt.

Lotta

 unangepasste antwortete darauf am 15.04.21:
Der Kamin ist doch schon mal ein guter Anfang :)
So ein Strom-Tapeten-Erlebnis hatte ich noch nicht, allerdings aus dem einzigen Grund, dass ich das Bohren in Wände grundsätzlich den Männern überlasse.

 Soshura (15.04.21)
Ich las Deinen Text leider nicht ohne Vorurteile. Und so bleibt mir nur zu schreiben, dass es Dir in meinen Augen wunderbar gelungen ist, mich beim Lesen des Textes an ein paar Substantive denken zu lassen: Erziehung, Kinderrechte, Rollenbilder, Gleichberechtigung, Schutzbedürftigkeit Achtsam- und Aufmerksamkeit, Kommunikation ... und ich finde es bemerkenswert, dass das Staunen und das Vertrauen letztendlich den Stil des Textes unterstreichen.

Danke!

(Wortsalat entfernt)

Kommentar geändert am 15.04.2021 um 13:52 Uhr

 unangepasste schrieb daraufhin am 15.04.21:
Das freut mich!
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