Zögerlich

Innerer Monolog zum Thema Beziehung

von  RobertBrand

Zögerlich

Statistisch gesehen bewege ich mich auf die Mitte meines Lebensalters zu und sollte daher in meinem singulärem Zustand, in dem ich mich befinde, eigentlich mit einem Motorrad oder einem knallroten Cabriolet mit schwarzem Verdeck junge Mädels in den Anfängen ihrer Zwanziger aufreißen, sie versuchen zu beeindrucken mit den wilden Errungenschaften meiner längst verblassten Jugend um sie anschließend flachzulegen, nein, sie zu beglücken mit meinem reichen Erfahrungsschatz und sie teilhaben lassen an meinen vielfältigen Phantasien, die ihnen gleichaltrige junge Burschen nicht erfüllen können.
Statt dessen hänge ich in Erinnerungen an längst Vergangenes fest, quäle mich in Gedanken, was ich wann wie anders hätte gestalten oder machen müssen oder sagen hätte müssen, um einen anderen Fortgang meines Dasein hätte herbeiführen können, stecke fest in ewigen Was-Wäre-Anders-Geworden-Hätte-Ich-Nur-Dieses-Und-Jenes-Anders-Gemacht …
Und so hindere ich mich selbst daran, neue Chancen wahrzunehmen, neuen Gelegenheiten zu erkennen und wirklich neues Gutes in meinem Leben zu erreichen, zu gestalten und neues positives zu erleben.
Jeder Therapeut hätte seine Freude an mir, da er auf Jahre hinaus ausgebucht wäre mit meinen Stunden und Erzählungen und dem ewigem Wiederkäuen meiner Vergangenheit.
Und während ich zurückblicke auf ein Liebesleben voller Enttäuschungen, falscher Entscheidungen, Zurückweisungen, Körben, zögerlichen Annäherungsversuchen, schmerzhaften Trennungen nach hin und wieder doch erfolgreicher Paarbildung - ziehe ich mich immer weiter in mich selbst zurück und verliere mehr und mehr die Fähigkeit auf andere Menschen zuzugehen und ihre Reaktionen und Verhalten richtig zu deuten und zu verstehen.
Mehrmals gab es durchaus Bekanntschaften, die großes Potential auf längere, erfüllende oder die eine große endgültige Beziehung zu sein, hatten, doch wurde auch dies oft durch mein Zögern zunichte gemacht.
Mit der Last an Enttäuschungen ewig im Hinterkopf lauernd, wurde oft an dem alles entscheidenden dritten oder vierten Rendezvous, an dem sich mein weibliches Gegenüber einen Schritt, eine Geste, eine Handlung erwartet hätten, durch mein Zögern und Zaudern alles zunichte gemacht.
Ein Zaudern und Zögern, dass oft der Kontakt danach beendet wurde - da sehr oft das weibliche Pendant dann für sich verständlicherweise entschlossen hat - kein Potential in mir zu sehen, da ich nicht in der Lage war, über meinen Schatten zu springen, um eine Geste meiner Zuneigung zu zeigen, auf die sie gewartet hätte.
Und diese Momente richtig zu deuten, zu verstehen, fällt es mit der Last an Fehlern immer schwerer und anstatt draufgängerischer zu werden, wird man zögerlicher, was noch viel weniger anziehend wirkt. Denn einen unerwarteten Kuss kann eine Dame mit einer schallenden Ohrfeige abstrafen - auch das ist mir schon passiert, wenn auch nur einmal - aber einen zum richtigen Zeitpunkt versäumten Kuss, eine Umarmung, oder auch nur ein Händchenhalten - durch Zögern im falschen Moment kann man all dies nie wieder nachholen.
Aber eine Ohrfeige wäre hier dennoch angebracht.

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Kommentare zu diesem Text

Sin (56)
(20.04.21)
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 EkkehartMittelberg (20.04.21)
Hallo Robert, diese Hamlets der Liebe gibt es ja tatsächlich und du hast sie sehr gut beschrieben.
LG
Ekki

 Graeculus (20.04.21)
Der Grat zwischen falscher Aufdringlichkeit und falscher Zurückhaltung ist sehr schmal, obendrein in der Zeit auch veränderlich. Gleichsam der Kamm einer Wanderdüne.

Kommentar geändert am 20.04.2021 um 13:21 Uhr

 BerndtB (20.04.21)
Hallo Robert,
im Zeitalter des Internets kann auch der Zurückhaltendste schon vor dem ersten Treffen alles weitestgehend klarmachen. Der Rest ist nur ein ganz klein wenig Einfühlungsvermögen: Wann soll ich zuhören? Wann sollte ich etwas sagen? Ein bisschen Augenkontakt, vielleicht etwas Alkohol. Das war's. Wenn nicht, dann bei der nächsten...Du hast nichts zu verlieren. Höchstens deine Einsamkeit und vielleicht später dein Geld.

LG Berndt

Kommentar geändert am 20.04.2021 um 20:38 Uhr

 Regina (21.04.21)
Zögern ist nicht falsch, sollte aber kommuniziert werden, damit es nicht als Ablehnung rüberkommt. Es prüfe, wer sich ewig bindet, ob sich die Wurst zum Soja findet. Lg Gina

 Mondscheinsonate (21.04.21)
Der erste Schritt zur Besserung ist das Problem erkannt zu haben, danach dauert es noch ein bisserl. Geduld. Und ja, kauf dir einen Porsche, wird echt Zeit! :)

 Pearl (21.04.21)
Hallo,

dein innerer Monolog lässt mich an eine Frage denken, die eine gute, ehemalige Freundin meiner Schwester ihr und mir stellte. Ob ein jüngerer Mann in Beziehungen zerbrechlich- und sensibler sei, oder ein erfahrener. Damals war ich noch ziemlich jung und hatte von Männern und dem Leben keine Ahnung. Ich glaubte, es wären die jüngeren Männer.

Aber manchmal denke ich an die Frage. Schon lange weiß ich, dass die Freundin meiner Schwester recht hatte: ältere Männer, sofern sie sich auf Erfahrungen eingelassen haben, sind meist viel vorsichtiger in der Liebe. Was ja auch Sinn macht.

Dein Text spiegelt das wider. Und vielleicht ist deine Zögerlichkeit gleichsam Schwäche wie Stärke.

Viel Glück!

Pearl
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