Atheistischer Altruismus

Erörterung zum Thema Freizeit

von  Terminator

Der zeitgenössische Utilitarist Peter Singer hält den Menschen mit ungenierter Selbstverständlichkeit für ein bloßes Tier, fordert aber, dass jeder mindestens 10% seines Einkommens für Entwicklungshilfe spendet, und auch sonst seinen Mitmenschen hilft, wo er nur kann, und stellt dies sogar ethisch höher als individuelle Selbstverwirklichung (obwohl er solch radikaler Individualist ist, dass er nicht von Affen und Menschen, sondern von Individuen spricht: dieser Mensch, dieser Gorilla, und folglich Menschenrechte für Tiere fordert).

Vom Ergebnis her gesehen, ist Singers Einstellung lobenswert, was aber ihre logischen Voraussetzungen betrifft, erweist sie sich als beliebig, und darum ethisch unhaltbar. Der Selbstwiderspruch ist folgender: warum soll ich, einzigartiges Individuum, meine Selbstverwirklichung zurückstellen, damit andere Individuen, die nicht Ich sind, ein besseres Leben haben, - wenn der Individualismus so weit gehen soll, dass er zwischen Menschen und Tieren keinen Unterschied macht? Individualismus bedeutet: meine Bedürfnisse (z. B. in die Oper gehen zu können und einen großen Geländewagen zu fahren) sind wichtiger als Hunger und Krankheit der Menschen in armen Ländern. Altruismus bedeutet: es zählt nicht, wessen Bedürfnisse befriedigt werden, sondern welche. Somit wäre es wichtiger, arme Menschen zu heilen, als Steuergelder für luxuriöse Opernhäuser zu verschwenden.

Der offensichtliche Selbstwiderspruch wiegt hier jedoch nicht so schwer wie das Fehlen einer ideellen Basis für Altruismus und Utilitarismus im Allgemeinen: die meisten Menschen sind schlecht, einige böse, nur wenige gut. Warum soll ich mich um das Wohlergehen schlechter Menschen kümmern, oder gar meine Lebenszeit und mein Geld dafür opfern, um ihnen zu helfen? Was ist gut daran, dass es schlechten Menschen gut geht? Eine schwache Erwiderung wäre: aber hin und wieder trifft deine Hilfe auch einen guten Menschen! - Wenn wir nun den Unterschied zwischen guten und schlechten Menschen fallen lassen, müssen wir fragen: was geht es mich überhaupt an, wie es anderen Menschen geht?

Mit Kant ist die Sache klar: der kategorische Imperativ fordert in seinen logischen Ableitungen, sich selbst immer der Glückseligkeit würdig zu verhalten, und das Wohl seiner Mitmenschen zu befördern (denn ich bin machtlos, zu bewirken, dass sich andere Menschen moralisch verhalten). Wenn ich Gott als den transzendentalen Garanten für das höchste Gut (das Zusammenfallen von Würdigkeit und Glückseligkeit in einer anderen Welt) annehme, macht es Sinn, selbst schlechten Menschen zu helfen, weil es für diese einen Sinn hat, sich zu bessern.

Wenn anstelle Gottes das große Nichts auf alle wartet, habe ich keine Veranlassung zu glauben, dass ein egoistischer Mensch zu seinem eigenen Nachteil handeln und sich moralisch bessern wird; nicht dass ich aus moralischen Gründen bereits im Konkurrenzkampf mit ihm im Nachteil wäre (aus der moralisch gebotenen Rücksicht), nein, ich soll auch noch sein Wohl befördern!? Der Schlechte lebt nach seiner Lust, und der Gute soll seine Bedürfnisse zurückstellen und ihn dabei unterstützen?

Möchtest Du einen Kommentar abgeben?
Diesen Text kommentieren

Kommentare zu diesem Text


 EkkehartMittelberg (06.05.21)
Ja, atheistischer Altruismus ist rational nicht zu begründen. Selbst der "unverbesserliche" Idealist Platon lässt seinen berühmten Dialog "Gorgias" (ein Versuch, altruistisch gegen die Sophisten zu argumentieren) in der Aporie enden.
Aber das emotionale Gefühl der Beglückung, das altruistische Taten vermitteln können, teilt sich sicher Atheisten ebenso mit wie Gläubigen.

 Graeculus meinte dazu am 06.05.21:
warum soll ich, einzigartiges Individuum, meine Selbstverwirklichung zurückstellen, damit andere Individuen, die nicht Ich sind, ein besseres Leben haben [?]
Auf diese Frage gibt es bei Singer keine Antwort. Ich weiß nicht, ob das ein Selbstwiderspruch ist oder 'nur' eine unbewiesene und unbeweisbare Voraussetzung, ein ethisches Axiom sozusagen. Meines Wissens versteht er es so.

Kant ist in dieser Hinsicht besser ausgestattet.
Allerdings würde er zu Ekkehart sagen: Eine Tat, die um des emotionalen Gefühls der Beglückung willen begangen wird, ist keine altruistische und überhaupt keine moralische.
Altruistisch ist eine Tat, die unabhängig und, wenn die Pflicht es fordert, sogar gegen dieses Gefühl getan wird. (Es würde mich glücklich machen, X zugunsten von N.N. zu tun, aber die Pflicht fordert, nicht X, sondern Y zu tun. Z.B. einem Menschen, den ich liebe, zu helfen, obgleich die Pflicht eine solche Art von Hilfe verbietet.)
Hier eine Passage aus Kants "Bruchstück eines moralischen Katechismus" (Anhang zur "Metaphysik der Sitten"):
3. L.: Wenn du nun alle Glückseligkeit (die in der Welt möglich ist) in deiner Hand hättest, würdest du sie alle für dich behalten, oder sie auch deinen Nebenmenschen mitteilen?
S.: Ich würde sie mitteilen; andere auch glücklich und zufrieden machen.

4. L.: Das beweist nun wohl, daß du noch so ziemlich ein gutes Herz hast; laß aber sehen, ob du auch guten Verstand zeigest. - Würdest du wohl dem Faulenzer weiche Polster verschaffen, damit er im süßen Nichtstun sein Leben dahin bringe, oder dem Trunkenbolde es an Wein, und was sonst zur Berauschung gehört, nicht ermangeln lassen, dem Betrüger eine einnehmende Gestalt und Manieren geben, um andere zu überlisten, oder dem Gewalttätigen Kühnheit und starke Faust, um andere überwältigen zu können? Das sind ja so viel Mittel, die ein jeder sich wünscht, um nach seiner Art glücklich zu sein.
S.: Nein, das nicht.

5. L.: Du siehst also: daß, wenn du auch alle Glückseligkeit in deiner Hand und dazu den besten Willen hättest, du jene doch nicht ohne Bedenken jedem, der zugreift, Preis geben, sondern erst untersuchen würdest, wie fern ein jeder der Glückseligkeit würdig wäre. - [...]
L = Lehrer
S = Schüler

Antwort geändert am 06.05.2021 um 14:59 Uhr
Möchtest Du einen Kommentar abgeben?
Diesen Text kommentieren
Zur Zeit online:
keinVerlag.de auf Facebook keinVerlag.de auf Twitter keinVerlag.de auf Instagram