Der nebulöse Film unserer Taten und Versäumnisse

Skizze zum Thema Chancen

von  DanceWith1Life

her name was Lucy


Ich war auf der Beerdigung des Exmannes der Sängerin.
Unglaublich viele, der über die Jahre immer wieder mal mitjammenden, waren auch da.
Ich weiß nicht, ob ich es schon erwähnt habe, die Teestube, in der alles begann.
Der Gründer, damals ein Initiator von Maharishi Mahesh Yogi, die Mitstreiter, die Schüler und engagierten Studenten unserer Stadt. Warum auch immer, ich weiß auch nicht mehr durch was der Streit begann, das Team spaltete sich in zwei Lager, eigentlich in drei., aber das dritte waren die, welche zu den Streitpunkten gar nichts zu sagen hatten, bzw, die gar nicht verstanden, warum das jetzt so wichtig sein soll. Es gab auch einen Verein. es gab wöchentliche Treffen all derer, die an der Teetheke ausschenkten, und halbjährliche Mitgliederversammlungen des Vereins, bei denen zum Glück nicht alle erschienen, denn das wäre platztechnisch nicht zu bewältigen gewesen.
Der Verein war gemeinnützig, das war damals noch ein bischen was anderes als heute.
Auf jeden Fall war es nicht unwichtig für die Gangart des Ganzen, wir verkauften die Tasse Tee für 50 Pfennig, und hatten gut 50 bis  hundert verschiedene Sorten anzubieten. Die Clique der Nicht-Meditationsfreaks übernahm die Teestube, der Tee wurde teurer, die Räume und Nachmittage leerer.
Der Verstorbene war absoluter Mateteefan.

Damals kannte er seine spätere Frau, die Sängerin noch gar nicht, und wenn dann nur flüchtig. Auf jeden Fall waren sie noch nicht zusammen.
Sie war noch mit dem Österreicher, der von Berlin hierher gezogen war, und immer über die Anfänge der Band Ideal erzählte.
Er war kurz vorm Abbi, ich grade mal das Gym angefangen.
Ihm war Maharishi suspekt, mir nicht. Ich verstand so die Beatlestexte besser.
Mich interessierte sowas.
Und was ich am Meisten hasste, waren Leute die alles immer sofort auf irgendetwas festlegen wollen.
Und das hatte einen Grund.
Den zu formulieren, das war damals überhaupt noch nicht mal in Sichtweite.
50 Jahre später, muss sagen, ach was solls, nach der Beerdigung, habe ich mich mit seinem älteren Bruder unterhalten, der damals auch dabei war und mich Jungspunt des öfteren seltsam amüsiert angesehen hatte.
Ich weiß nicht mehr, wie wir darauf kamen, ich sagte, wir können eh nur Nuancen an unseren Einstellungen ändern, aber das lohnt sich schon.
Ob ich das seinem Bruder auch erzählt hätte.
Ne, wir haben immmer nur...
Schade, das hätte ihm gefallen.
Echt jetzt?
Der Verstorbene hat mich immer nur Sachen gefragt, die ich versäumt hatte, mit meiner Schwester, meinen Beziehungen, meiner schulischen Laufbahn, meiner "künstlerischen Ambition"
Da war gar kein Platz über solche Dinge zu reden.
Und jetzt, schon seltsam.
Seine Exfrau hat auf der Trauerfeier seine Gedichte vorgelesen, ich wusste gar nicht, dass er Gedichte schreibt, dass er schrieb und malte und schreinerte und absoluter Kaktenzüchter war, wusste ich schon, aber Gedichte.
Dann sind wir raus aus der Kapelle, Kinder rannten durch die Gräber, Erwachsene riefen ihre Namen.
Und über all dem schwebte der Name, der jetzt nicht mehr antworten kann, und was ich alles von seinem Leben wusste.
Von seinem Versuch ein menschengerechtes Leben zu leben.
Aus irgendeinem seltsamen Grund ging ich den Kindern hinterher, als ich sah, die Eltern wollten sich nicht aus ihren Gesprächen lösen.
Ich fand sie vor dem Grab eines Mädchens, dessen Name Lucy war.
Jetzt hatten sich auch die Eltern in Bewegung gesetzt und ich überließ ihnen die Aufsichtspflicht.
Wir hatten eine Abschiedssession ausgemacht, gleich im Anschluss.
Dort führte ich das oben erwähnte Gespräch mit seinem Bruder.
Auch Kunst ist keine Garantie, dass Menschen einander wahrnehmen. Aber ohne Wahrnehmung von einander zu diskutieren, ich weiß nicht.
Natürlich gibt es Themen zu denen man eine Meinung hat, die man vertreten soll.
Aber ohne den Menschen, gibt es gar kein Thema, das war in diesem kurzen Gespräch mehr als deutlich.
Und natürlich weiß ich, warum das so war. Eifersüchteleien und ähnliches, nein unbegründet, besser gesagt, der Grund war, also wirklich absurd. Nur das wusste keiner von uns, weder er noch sie noch ich.
Aber die Eifersucht hatte ihr Antennen ausgefahren und folgte einer ubekannten Spur, wie so oft.
Aber das ist eine andere Geschichte und ob ich die erzählen will, glaub nicht.

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