Schwäne

Tagebuch

von  Pearl

Wir waren jung. Du schenktest mir Unbeschwertheit. Jeder Moment war besonders, ein Märchen. Ich litt schon seit ein paar Jahren unter Zwangsgedanken. Darum war die Angst größer. Doch du machtest sie mich vergessen. Du warst zärtlich, ich zerbrechlich. Wir waren zart. Du hieltst meine Hand. Du zeigtest mir die Sterne, erzähltest von Literatur. Denn du warst intelligenter als ich, und gebildeter. Und du warst schön. Wenn ich Diskussionen beginnen, dir mein Wissen zeigen wollte, lächeltest du nur sanft. Deine Seele war weiter als die meine. Nie hat mich ein Mann, nein Junge, so viel lernen lassen. Ich habe für dich meine Parmiggiana gekocht. Du hast gegessen. Ich war zu aufgeregt dafür. Wir tranken Wein auf dem Balkon meines Mädchenstudentinnenheims. Die anderen ließen uns allein. Nur A. kam irgendwann in die Küche. Sie sagte mir, das kann nicht Liebe sein. Denn ich verlor mein Gleichgewicht. Dann habe ich mit dir in meinem winzigen Zimmer geschlafen, auf meinem winzigen Bett. Danach habe ich geweint. Und du hast dich nicht ausgekannt und doch eine kleine Ewigkeit lang meinen Kopf gestreichelt. Ohne es zu wissen, hast du über seine offenen Wunden gestreichelt, denn ich habe ihn mir damals noch aufgekratzt. Ein paar Tage später gingen wir auf eine Party. Unsere Körper harmonierten nicht beim Tanzen. Etwas war anders. Dann brachtest du mich zum Bus. Wir küssten uns nicht. Erst zuhause weinte ich. Da war eine Vorahnung. L. sagte mir, eine Ex hat wieder Gefühle in dir ausgelöst. Außerdem gingst du ja nach England. Wir trafen uns, um es zu beenden. Zwei Stunden lang lachten und scherzten wir im Prater. Ich erzählte dir von meinem kleinen Fastbruder, wie er beim Schlittschuhlaufen immer hinfiel. Als du es mir erklären wolltest, wechselte ich das Thema. Wir liefen über die Schnellstraße zur U - Bahn. Du erzähltest noch, wie deine Eltern deine Oma aus Kanada in die USA entführt hatten, um sich um sie zu kümmern. Wir hatten uns noch so viel zu erzählen, als die Station kam, an der ich aussteigen musste. Du sagtest, das sei die erste deiner Beziehungen, die gut endete. Wir umarmten uns innig wie zwei Schwäne, die ein letztes Mal ihre Hälse ineinanderschlingen. Die Frau neben uns musste lächeln. Dann stieg ich aus, in eine andere U - Bahn ein und begann zu schluchzen. Verhaltenes Schweigen der anderen, nur eine Frau sagte mir ein leises, I`m so sorry for you. Es war der schönste Abschied meines Lebens. Ich habe wohl gewusst, dass ich dich niemals wiedersehe. Dass alles, was bleibt, meine Erinnerung sein wird. Du wie du lächelst.

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