Verlaufen

Anekdote zum Thema Betrachtung

von  EkkehartMittelberg

Wer viel in seinem Leben gereist ist, kann selbstverständlich nicht nur von positiven Erinnerungen berichten.
Vor 15 Jahren war ich mit meinem Kegelclub in Spanien. Wir bewohnten zwei Appartementhäuser in einer Siedlung, die architektonisch nicht reizlos waren, sich aber nur wenig voneinander unterschieden. Die Urlaubssiedlung war etwa eine Stunde Fußweg von Denias Altstadt entfernt, die wir an einem Abend zu einem Kneipenbesuch aufsuchten.
Auf der Fußwanderung dorthin war ich in ein so spannendes Gespräch vertieft, dass ich einen alten Grundsatz vernachlässigte, den ich auf Reisen immer befolgte, mir markante Punkte am Wege einzuprägen. Aber warum sollte ich es diesmal auch tun, schließlich waren wir eine große Gruppe, in der bestimmt einige den Weg zurück fanden.
Das von meinen Kegelbrüdern ausgewählte Weinlokal war insofern typisch spanisch, als der Architekt überhaupt nicht auf Lärmdämmung geachtet hatte. Außerdem liefen auf zwei Fernsehgeräten unterschiedliche Programme, sodass man kaum sein eigenes Wort verstehen konnte.
Den anderen, die jünger waren als ich, machte das weniger aus, aber ich wollte dem Lärm entfliehen und in die Feriensiedlung zurück. Ich hatte noch einen Genossen im Unglück, der genau wie ich unter dem lauten Geräuschpegel litt. Er versicherte mir, dass er sich den Weg gemerkt habe und wir machten uns vertrauensvoll auf den Heimweg. Meine Zuversicht war deshalb groß, weil mein Begleiter Förster war und in meinen Augen ein versierter Pfadfinder.
Auf der ersten Wegstrecke kam uns alles wohl vertraut vor, bis ich auf einmal die Sicherheit verlor.
Meinem Gefährten ging es genau so, er hatte es nur nicht gewagt, seine Unsicherheit einzugestehen.
Wir beschlossen zurückzugehen, bis wir an einen Punkt kämen, von dem wir ganz sicher wüssten, ihn auf dem Hinweg passiert zu haben. Als wir glaubten, dieses Gebäude gefunden zu haben, entschieden wir uns für einen anderen Weg, diesmal zuversichtlich, uns nicht zu irren. Aber die Zuversicht dauerte nicht lange und wir liefen wieder zurück. Sie können sich schon denken, was jetzt passierte, unsere Konfusion wurde immer größer und bald irrten wir mit abenteuerlichen Vermutungen im Kreise umher.
Jetzt werden Sie sicher denken, warum wir nicht Passanten nach dem Weg gefragt hätten. Doch es war schon so spät geworden, dass niemand mehr unterwegs war, den wir hätten fragen können.
Wir versuchten einzelne Autos anzuhalten, die aber auf unser wildes Winken nicht reagierten. Bis dahin mussten wir noch über unsere eigene Dummheit lachen, aber dann wich die Selbstironie leichter Verzweiflung und wir befassten uns schon in Gedanken damit, die Nacht im Chausseegraben zu verbringen.
Doch plötzlich war den Fährtensuchern das Glück hold. Wir sahen Licht in der Dunkelheit und hörten Stimmen, die deutsch sprachen. Jetzt nur die Chance nicht verpassen. Die zwei alten Herren rannten flink wie Hasen auf den erleuchteten Hauseingang zu. Von dort konnten wir den Kegelbruder anrufen, der in Denia wohnte und uns die Appartements vermittelt hatte. Gott sei Dank, wir hätten große Schwierigkeiten gehabt, die Siedlung und die Lage unserer Appartements zu beschreiben.
Aber wir konnten noch nicht aufatmen, denn wir hatten die Schlüssel zu den zwei Wohnungen in der Tasche und unsere Clubkollegen, die inzwischen bestimmt dort angekommen waren, konnten nicht hinein. So wurden wir mit spöttischem Gelächter empfangen, das der erste Witz auf unsere Kosten ausgelöst hatte.
Aber dann gelang es mir doch, der Ironie Einhalt zu gebieten, indem ich den Mitreisenden erklärte, dass wir für unsere Nachlässigkeit genug bestraft seien und dass sie es sich mit uns verscherzen würden, weil uns momentan jeder Sinn für Humor fehle.
Naja, für diese Nacht hatten wir Ruhe, aber am anderen Tage fand die Belustigung kaum ein Ende, für die wir herhalten mussten.
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Kommentare zu diesem Text


 Moja (18.05.21)
Ist es nicht erstaunlich, lieber Ekki, dass irgendwie am Ende einer "verfahrenen" Situation immer eine Lösung auftaucht, wie auch in Deiner Geschichte, na ja, Humor ist, wenn man trotzdem lacht.

Lieben Gruß,
Moja

 EkkehartMittelberg meinte dazu am 18.05.21:
Merci, Moja, für mich gilt dein Kommentar, denn wenn ich Pech habe (was selten ist),dann habe ich Glück im Pech.

Liebe Grüße
Ekki

 AZU20 (18.05.21)
Deine Reisegeschichten gefallen mir, zumal ich häufig an eigenen Erlebnissse erinnert werde. Mich haben in einigen Ländern auch schon fremde Menschen nach Hause bringen müssen. Schlimm war es, wenn sie weder deutsch, noch englisch, noch französisch sprachen.

 indikatrix (18.05.21)
Dass ich über mich selbst lachen muss
kommt häufig vor - doch
wenn jemand anderes dann
auch noch über mich lacht,
wird es komischerweise
schlagartig unlustig...seltsam.
Liebe Grüße von
Indikatrix

 EkkehartMittelberg antwortete darauf am 18.05.21:
Grazie, Indi, das stimmt, Deshalb sind mir Menschen, die sich an Selbstironie weiden, suspekt.

Liebe Grüße
Ekki
Sin (56)
(18.05.21)
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 EkkehartMittelberg schrieb daraufhin am 18.05.21:
Merci, Sin ,solange wir den einzig richtigen Weg suchen, verlaufen wir uns immer wieder.

LG
Ekki

 Graeculus (18.05.21)
Wie wenige Dinge doch genügen, um eine komplizierte Situation zu erzeugen! Hier etwas Lärm und zwei Schlüssel.

 EkkehartMittelberg äußerte darauf am 18.05.21:
Merci, Graeculus, dieses Beispiel zeigt, wie schwierig es oft ist, aus der Komplikation herauszufinden..

 TrekanBelluvitsh (18.05.21)
Wenn ich das - was von dir wahrscheinlich nicht beabsichtigt war - als Parabel lese, bestätigt das Verhalten der anderen Kegelbrüder meine Sicht auf die Menschen. Aber ich bin halt ein misanthropischer Pessimist.

 EkkehartMittelberg ergänzte dazu am 18.05.21:
Gracias, Trekan, man kann diese Anekdote durchaus als Parabel lesen nach dem Motto "Wer den Schaden hat, braucht für den Spott nicht zu sorgen".

 GastIltis (18.05.21)
Lieber Ekki,

das Verlaufen unter (leichtem) Alkoholeinfluss ist ja keine Kunst. Es so darzustellen, dass man „nur“ fröhlich gewesen sei, schon. Ein Weinlokal, aha. Wahrscheinlich ein schwerer Wein, muss man vermuten. Von Mengen ist aus Gründen der Verschleierung natürlich keine Rede. Sie lassen sich jedoch aus den mehrfach zurück gelegten Strecken leicht rekonstruieren. Erhebliche also. Es soll schon ganze Wandergruppen gegeben haben, die auf wesentlich kürzeren Strecken verschollen sind und wo alle Vermisstenmeldungen bis heute nicht abschließend bearbeitet werden konnten, weil sich selbst die Zurückgebliebenen nicht mehr genau erinnern konnten. Ganze Kegelvereine sollen bei Bergbesteigungen nie wieder zurückgekehrt oder von Landgängen bei Schiffsreisen nicht wieder aufgetaucht sein. Aber ich kann das aus dem Stegreif leider nicht mit Fakten belegen, vermute nur, dass dein wunderbarer Bericht die Bestätigung dessen ist, was ich bisher darüber gehört hatte.

Aber erfreulich ist wenigstens der Ausgang. Herzlich grüßt dich Gil.

 EkkehartMittelberg meinte dazu am 18.05.21:
Lieber Gil,
gracias, ich bin immer wieder aufs Neue verblüfft, welche launige Kommentare dir auch zu meinen Banalen Erzählungen einfallen.
Herzliche Grüße
Ekki
Marie (63)
(18.05.21)
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 EkkehartMittelberg meinte dazu am 18.05.21:
Merci Marie, heute kann ich auch herzlich darüber lachen. Doch im Chausseegraben wäre es sehr kalt gewesen.
Herzliche Grüße
Ekki
Marie (63) meinte dazu am 18.05.21:
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 TassoTuwas (19.05.21)
Hallo Ekki,
unter Freunden ist die Witzelei über ein Malheur ein unterhaltsamer Teil des Urlaubsspaßes, schließlich wird sich irgendwann die Gelegenheit bieten, es ihnen "heimzuzahlen"!
Herzliche Grüße
TT

 EkkehartMittelberg meinte dazu am 19.05.21:
Merci, Tasso, die Witzelei trägt auf jeden Fall dazu bei, dass man das Malheur nie vergisst. :)
Herzliche Grüße
Ekki
Agnete (66)
(19.05.21)
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 EkkehartMittelberg meinte dazu am 19.05.21:
Merci, Agnete, das ist eines von den Sprichwörtern, die meistens und auch in diesem Falle zutreffen.
LG
Ekki

 harzgebirgler (21.05.21)
ja, ein ariadnefaden
kann in solchem fall kaum schaden
denn spott findet stets gerne statt
wenn einer mal den schaden hat.

lg
henning

 EkkehartMittelberg meinte dazu am 21.05.21:
Merci, Henning,
als gebranntes Kind
geh ich nicht noch mal ins Labyrinth
oder bewahre mich vor Schaden
mit dem Ariadnefaden.

LG
Ekki
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