die ersten graugänse erreichen bad doberan

Gedicht

von  W-M

auf den atem folgen die traurigen lieder
ich kannte meinen vater kaum


ein geschwungenes L lag
unter anderen zeichen
lagen sie alle verstreut im raum in der landschaft
wie die letzten überbleibsel
eines nachlasses vom herbst
zu erben gab es da nichts
mehr
nur ein paar lieder erinnerten noch an einen alten wandschrank
in ihm bewahrte mein vater seine gartengeräte auf
hacke spaten eine schere zum schneiden von ästen
und ein schuhkarton voll mit gedichten
die das licht für ihn gesammelt hatte
der schnee der regen das eis
ein ganzes leben lang
mutter kam darin nicht vor
auch ich nicht
über ein paar seiten strand
weißer sand vor einem leichten abhang
übersät mit blühendem ginster
sogar das schlagen der wellen war zu hören

von stadt zu stadt von arbeit zu arbeit
zogen die bienen die stare
das grau eines nebligen januartages
autos huschten vorbei an einem funkmast

die stationen der s-bahn die aus der stadt fuhr
lernte ich auswendig
manchmal sage ich sie auf
wenn dämmerung aufzieht
oder eine sirene aufheult
auf einem abgerissenen schulhaus
auf einem gesprengten bunker aus dem letzten krieg

es roch nach nacht
nach fisch
eine fliege verschluckte die farben


Anmerkung von W-M:

.

in der Online-Literaturzeitschrift  Litera[r]t, Mai 2021, AG-Literatur, St. Wolfgang

Hinweis: Du kannst diesen Text leider nicht kommentieren, da der Verfasser keine Kommentare von nicht angemeldeten Nutzern erlaubt.

Kommentare zu diesem Text


 nadir (29.05.21)
wunderschön!

 W-M meinte dazu am 29.05.21:
Danke sehr!

 juttavon (29.05.21)
Sehr vielschichtige Impressionen in spannungsvolle Bilder gesetzt...
Du hast wieder ein Kaleidoskop vom Innenleben geschaffen, und das in einer schlichten Sprache mit lyrischen Feinheiten wie:
"und ein schuhkarton voll mit gedichten
die das licht für ihn gesammelt hatte
der schnee der regen das eis"
oder:
"eine fliege verschluckte die farben".

Sehr schön.
HG Jutta

 W-M antwortete darauf am 29.05.21:
Danke. bei den stichworten Bad Doberan und Vater fiel es mir gleich schwier und leicht, dieses Gedicht in einem Tuch herunterzuspinnen ... in der tat ein auch sehr persönliches Kaleidoskop von Innenleben. Das hast du wunderschön gesagt. danke.
Jo-W. (83)
(30.05.21)
Dieser Kommentar ist nur für eingeloggte Benutzer lesbar.

 W-M schrieb daraufhin am 30.05.21:
Oh, vielen lieben Dank, das freut mich sehr! spätmorgengruß nach dem joggen, werner

 Dieter Wal (30.05.21)
Bitte ins nächste Buch.

 W-M äußerte darauf am 30.05.21:
in welches? zwei typoskripte sind fertig und warten auf ihre veröffentlichung (das eine wartet seit ca. zwei jahren für einen verlag in berlin, voraussichtlich wird es in ca. einem jahr endlich erscheinen, das andere wurde gerade im januar fertig und könnte evt. schon diesen herbst oder auch nächstes frühjahr erscheinen in einem verlag in dortmund), dieses gedicht hier ist noch in keinem drin, sondern bisher in der rohmaterialsammlung für den überübernächsten band, mal sehen, wann ich die sammlung abschließen will und einen strich ziehen, ausmisten, zusammenstellen und zu einem runden bündel schnüren, bei meinem derzeitigen tempo vermutlich im sommer/herbst für eine neue verlagssuche ... ?

 AlmaMarieSchneider (18.09.21)
Deine Bilder nehmen mich mit. Wunderbar.

Schöne Herbsttage
Alma Marie

 W-M ergänzte dazu am 18.09.21:
das freut mich, und herzlichen dank, alles gute dir! liebe grüße werner
Zur Zeit online:
keinVerlag.de auf Facebook keinVerlag.de auf Twitter keinVerlag.de auf Instagram