Die Bergretter .. oder viel Trost nach dem Absturz der Fußballer

Rezension zum Thema Verarbeitung/ Verdrängung

von  eiskimo

Donnerstagsabends laufen die Bergretter. Auch heute, wo es mit Fußball erst einmal aus ist. Und da wird meine Frau wieder leichtes Spiel haben, mich in diese wildromantischen Berge zu locken, wo dann regelmäßig der Rettungs-Heli spektakulär hinein schneidet – der Heli in knatschgelb und die coolen Bergretter in feschem Rot.  Das hat etwas Beruhigendes. Auch nach dem Absturz lässt man dich nicht liegen....
Wir streiten bei den Bergrettern immer, meine Frau und ich, ob das derselbe Heli ist wie beim Bergdoktor, ob  sie bei beiden Serien dieselben Berge benutzen und vor allem: Fliegt der  Michael Dörfler den gelben  Hubschrauber selber oder schafft das ZDF es, den so perfekt zu doublen?
Ich sage ja, der fliegt selber, schon, weil er auch bei der Tierärztin Dr. Mertens in Borneo im Einsatz war, und da im Dschungel, da muss man den Heli-Schein haben.
Letzten Donnerstag, da  wurde bei meinen Bergrettern deutsch-deutscher Geschichtsunterricht erteilt, denn der Wanderer, der die Bergbauernfrau geschwängert hat, als ihr armer Mann, der Steyer,  im Krankenhaus lag, dieser Robert, der  war aus der DDR. Und der hatte tatsächlich noch eine Kamera aus DDR-Produktion dabei, eine Praktica  – es war aber im ersten Jahr nach der Wende, wie der Oberbergretter  Markus herauskriegte – der Robert war also nicht in die Alpen geflohen, sondern schon als freier Bundesbürger dort. Naja, und diese Freiheit hat er dann ja auch genutzt.
Dass die Frau von dem armen Bergbauern mit Vornamen Lotta hieß, passte natürlich. Und diese lottrige Ehebrecherin hat dann auch prompt heimlich die kleine Mona bekommen,  die nun dreißig Jahre nach der Wende - sprich  nach dem Seitensprung -  ihrem Vater, der ja  gar nicht ihr Vater ist, beim Heu machen hilft.
Den Seitensprung hat der Robert aber nicht überlebt, denn der Steyer hatte auch einen echten Sohn, den Max, der war bei dem Seitensprung schon neun oder zehn, und der ist tatsächlich seiner Mutter bei dem Seitensprung hinterher gestiegen, bis zu der Almhütte, wo die beiden es getrieben haben, die Lottrige und der DDR-Mann. Und dann hat er den Typen gestellt, dieser Max, und dass er die dreckigen Finger von seiner Mutter lassen sollte – jedenfalls hat er den Robert dann in den Abgrund gestürzt, und im Fallen – deswegen erzähle ich das mit dieser Praktica – hat der DDR-Wanderer es noch geschafft, mit seiner super Kamera ein knackscharfes Bild zu schießen von diesem neunjährigen Racheengel, dem Max, der da doch nur die Familienehre retten wollte.
Aber nicht nur diese DDR-Kamera war beeindruckend. Auch das verwendete DDR- Filmmaterial dadrin hat die dreißig Jahre perfekt überstanden.  Wie gesagt: Knackscharfe Bilder!
Der Robert dagegen war nach dem Sturz und den dreißig Jahren im Geröll schon ziemlich verwest, und auch sein DDR-Pass war völlig unleserlich geworden – also die Bergretter hatten es  letzten Donnerstag Abend, als auch kein Fußball war, schon mit der allerhöchsten Schwierigkeitsstufe zu tun.
          Dramaturgisch genial natürlich die Parallele zwischen dem Seitensprung der Steyer-Lotta von vor dreißig Jahren und dem aktuellen Seitensprung der Katharina. Die Kathi ist ja auch Bergretterin und gleichzeitig die unglückliche Ex von dem Markus, der aber jetzt mit der Polizistin Jessika zusammen ist.
Ich fand diesen parallel gezeigten Seitensprung  von heute nicht so zwingend. Dass der Kathi-Lover im Gegensatz zu dem armen DDR-Wanderer im fetten Porsche Cayenne vorfuhr, war einfach unsensibel. Typisch West-Fernsehen.  Folgerichtig  machte die  Kathi mit dem Kindsvater auf der Almhütte  auch Schluss. Geschah ihm recht, diesem Cayenne-Fahrer: Der hatte beim Wandern doch tatsächlich ein Edelweiss zertreten… was den sensiblen  Zuschauer schon ahnen ließ, dass damit dessen Ende längst besiegelt war.
Aber war der DDR-Lover noch umweltschonend ins Geröll  gestürzt, musste der reiche Kathi-Lover natürlich den ganz großen Abgang  machen: Im Porsche den Hang hinunter krachen und dort unter Entwicklung dicker schwarzer CO2-Wolken verbrennen.
Ja, Seitensprünge lohnen sich nicht, das habe ich gelernt. Denn die fehlgeleitete Kathi stürzte dann auch prompt ab, verlor zur Strafe noch ihr Kind und weinte bitterlich.
Aber wenigstens kam bei ihrer Rettung dann noch einmal der  knatschgelbe Heli zum Einsatz. Dieser Heli, der  zieht einen ja aus diesem Sumpf der falschen Emotionen Gott sei Dank immer wieder heraus.
PS:
Meine Tochter, die gerade als Studentin die marxistisch-leninistische  Rezeptionsästhetik lernen muss, hat meinen Text gelesen. Prompt nimmt sie den als Übungsmaterial.  Und:
Sie vermisst  darin  die klassenkämpferische Aufarbeitung. Dass es den Robert, der ja noch  in den Segnungen  des Arbeiter- und Bauernstaates groß gewordenen ist, ausgerechnet in die Arme einer Bäuerin treibt, das hätte ich als Beweis  seiner anti-bourgeoisen Grundeinstellung  deutlich herausstellen müssen – schließlich hat er ja extra aus der  kapitalistischen BRD rübergemacht in das ideologiefreie Ramsau . Und dass dort prompt eine Bäuerin mit ihm schwanger wird, zeigt doch die Lebendigkeit und Fortpflanzungskraft des Sozialismus – so hätte ich das Ganze  nach Ansicht  meiner schlauen Tochter  jedenfalls den Werktätigen dialektisch vermitteln müssen. 
Sorry, sag ich ihr hier an dieser Stelle selbstkritisch: Ich habe mich am Ende einfach zu sehr von Kathis dekadentem Wessi-Lover mit seinem Porsche Cayenne blenden lassen…

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Kommentare zu diesem Text


 Graeculus (01.07.21)
Hat es diesen Text nicht kürzlich schon einmal gegeben, ohne das Postscriptum?
Ich meine, ich hätte ihn sogar kommentiert. Das wiederhole ich jetzt aber nicht.

 eiskimo meinte dazu am 01.07.21:
Ja, das ist ein zweiter, leicht veränderter Versuch, dieser tollen Serie zu mehr Resonanz zu verhelfen.
Dein Kommentar war sehr freundlich - Danke!

 Dieter_Rotmund antwortete darauf am 01.07.21:
Geht mir ähnlich.. Das PS gefällt mir allerdings. Wobei ich die "Bergretter" nicht vom "Bergdoktor" unterscheiden kann..., Beides kitschige Serien, unerträglich.

 eiskimo schrieb daraufhin am 01.07.21:
Tja, ich mach es wie zur Zeit die TV-Anstalten: Wiederholungen....
Bitte um Nachsicht

 TassoTuwas äußerte darauf am 01.07.21:
Was soll ich sagen, so DDRmäßig?
"Genosse übe Selbstkritik!"
Agnete (66)
(01.07.21)
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 eiskimo ergänzte dazu am 01.07.21:
Danke, liebe Agnete. Kitsch as kitsch can, würde der Ami sagen. Spätestens die Nachrichten holen einen dann ja in die Realität zurück
LG
Eiskimo

 AchterZwerg (02.07.21)
Lieber Eiskimo,

ihr seid keineswegs allein (bestell das auch bitte deiner Frau).
Selbst in meinem neuen Domizil gibt es einige, deren Alltagsabfolge gänzlich durch ihre Lieblingsfernsehserien bestimmt ist. Oft sind das nicht wenige.
Auf 48 qm beherbergen sie zwei TV-Geräte, weil sie ohne den Bergdoktor (u. a. ) nicht einschlafen mögen oder können.
Auch wollen sie zu bestimmten Zeiten nicht gestört werden, weil gerade "Sturm der Liebe" läuft. Oder so.
Aus der DDR sind die aber nicht.
Werktätig ebenfalls nicht.

Ein kurzer Blick in die Blauen Bände zeigt auf, dass ein solches faules Leben für die "Erniedrigten und Beleidigten" nicht vorgesehen war.

Zustände sind däs

 eiskimo meinte dazu am 02.07.21:
Mit "Fernsehen" kann man 48qm ja auch enorm vervielfachen sprich überlebbar machen .... wenn man sonst kein "Programm" hat.
Ich bräuchte dazu mindestens noch einen Keller fürs Schrauben!
Andere müssen da die Berge retten.
lG
Eiskimo
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