Warum ich Gedichte schreibe

Gedankengedicht zum Thema Betrachtung

von  EkkehartMittelberg

Es ist, als wenn ich Tagebuch schriebe,
aber mit höherem Anspruch.
Ich möchte Empfindungen und Gedanken
nicht nur festhalten, sondern ihnen Form geben.
Mit der Suche nach der Gestalt
wird der Ausdruck genauer.
Je genauer der Ausdruck wird,
desto mehr erfahre ich über mich selbst.

Die Zeit wirbelt uns umher wie ein Blatt im Herbstwind.
Dabei werden wir besinnungslos.
Das Schreiben kann uns Orientierung in Zeit und Raum geben.
Es schafft Momente, in denen wir zu wissen glauben,
wer und wo wir sind.


Gedichte stellen für mich die intensivste Form der Sprache dar,                                                                                                    weil sie die Konzentration auf das Wesentliche bedingen.
Bedachte Reaktionen auf meine Gedichte durchbrechen die Einsamkeit,
die jeder mehr oder weniger erfährt.
Diese Kommunikation schafft kleine Sinninseln im Meer des Lebens.

Wenn ich Gedichte über meine Empfindungen und Gedanken verfasse,
durchlebe ich sie noch einmal
und sie werden intensiver,
werden der Vergänglichkeit entrissen und geben meinem Leben Intensität.

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Kommentare zu diesem Text


 DanceWith1Life (14.07.21)
wie sagte das Rilke so drollig

ihm ist als ob es tausend Stäbe gäbe
und hinter tausend Stäben keine Welt

das Wort, Gedicht, Schreiben, Form für vorher Formloses
im Individuum vergrabenes Erleben.

es ist beides Käfig und Käfigtür
das Erlebte braucht beides nicht
ist Atem oder Licht dazwischen

es ist das eigene Empfinden, das zerstreut
vor lauter Gitterrätseln steht
nach Schlüsseln sucht
auch diesen Augenblick zu öffnen
wohl wissend, das tut gut.

 EkkehartMittelberg meinte dazu am 14.07.21:
Merci Dance, du hast ein sehr originelles Bild gefunden, mein Gedicht zu kommentieren.

LG
Ekki

 nadir (14.07.21)

Gedichte schreiben ist für mich die intensivste Kommunikation,
weil nichts zufällig dahin gesagt sein darf.


einzig das hier würde ich bezweifeln, es ist gut, dass die gedichte klüger sind als ihr autor und häufig mehr sagen und anschneiden, als der autor im sinn hatte.

Kommentar geändert am 14.07.2021 um 10:40 Uhr

 EkkehartMittelberg antwortete darauf am 14.07.21:
Gracias, Nadir, du hast zwar recht mit der vielfältigen Interpretierbarkeit von Gedichten, aber der Autor sollte sich gleichwohl bemühen, nichts zufällig dahin zu sagen.

 FrankReich schrieb daraufhin am 14.07.21:
Damit relativierst Du allerdings die Aussage im Text, auf die nadir sich bezieht, Ekki.
Gedichte und überhaupt Schreiben ist m. M. n. zunächst einmal eine Form des Selbstgespräches, die erst mit ihrer Lektorierung, bzw. Publikation eine objektive Sichtweise gewährleistet, insofern ist es nahezu unmöglich für einen Autoren, den "Zufall" immer auch auszuschließen, was nicht sein sollte, passiert halt oftmals, allerdings manchmal auch im Sinn des Autors, insofern ist nicht der Text klüger oder dümmer als sein Autor, sondern es ist der Leser.
Dennoch ist der von Nadir beanstandete Satz auch aus meiner Sicht überarbeitungsbedürftig, weil Behauptung und Begründung aneinander vorbeidriften, da das Gedicht ja eigentlich zunächst nur das komprimierte Ergebnis eines mehr oder minder intensiven Selbststudiums darstellt, aber als solches noch nichts über seine Wechselwirkung aussagt.

Ciao, Frank

P. S.: Vielleicht wird so ein Schuh daraus: Gedichte stellen für mich die intensivste Form der Sprache dar, weil sie die Konzentration auf das Wesentliche bedingen.

Antwort geändert am 14.07.2021 um 13:46 Uhr

 EkkehartMittelberg äußerte darauf am 14.07.21:
Vielen Dank, Frank, aber ich bleibe bei meiner Version. Sorgfältige lyrische Gestaltung versucht nichts dem Zufall zu überlassen. Selbstverständlich gelingt das nicht immer.
LG
Ekki
RUBY-TUESDAY (44) ergänzte dazu am 14.07.21:
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 EkkehartMittelberg meinte dazu am 15.07.21:
Merci Ruby-Tuesday. Jeder sollte nach seiner Facon selig werden. Ich will die Reflexion nicht ausschalten, weil diese Fähigkeit aus meiner Sicht den Menschen ausmacht.

 nadir meinte dazu am 15.07.21:
auch dem würde ich deutlich widersprechen, wir menschen sind gerade im zustand der reflexion am wenigsten wir selbst, das meiste dessen, was uns als person ausmacht, geschieht unterbewusst und nur teile dessen, können im zustand der reflexion aus dem nebel der bewusstseinslosigkeit herausgehoben werden. wer unbewusst schreibt, verrät meist mehr von sich, als derjenige der allzu sehr kalkuliert.

ob lyrik definierbar ist, weiß ich nicht, aber was frank und ihr anderen bisher zusammengetragen habt, scheint durchaus schlüssig zu sein. vielleicht kann man noch hinzufügen, dass der kern einer gelungenen zeile oft darin besteht, etwas in einem neuen licht zu zeigen und damit sogar schon bekanntes erneut durch und/oder erlebbar macht.
RUBY-TUESDAY (44) meinte dazu am 17.07.21:
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 harzgebirgler (14.07.21)
gedichte belichten
selbst tagesansichten
indem sie verdichten

 „Es gibt noch andere Verhältnisse als die gewöhnlichen. Goethe nennt diese anderen Verhältnisse: die tieferen. Und er sagt von der Sprache: Im gemeinen Leben kommen wir mit der Sprache notdürftig aus, weil wir nur oberflächliche Verhältnisse bezeichnen. Sobald von tieferen Verhältnissen die Rede ist, tritt sogleich eine andere Sprache ein – die poetische.“ (Martin Heidegger)

lg
henning

 EkkehartMittelberg meinte dazu am 14.07.21:
Vielen Dank für die klugen Gedanken Henning. Selbstverständlich gehen die Meinungen darüber auseinander, ob die Verdichtung gelungen ist. Das extremste Beispiel, das ich kenne, ist, dass die Gruppe 47 mit der Todesfuge von Celan nichts anzufangen wusste.

 EkkehartMittelberg meinte dazu am 14.07.21:
Hallo Frank, dein Veränderungsvorschlag im PS gefällt mir. Ich übernehme ihn gerne Merci.

 FrankReich meinte dazu am 16.07.21:
Super Ekki, das ist bspw. ein Punkt, der mich bei einigen Kommentatoren total nervt, die arbeiten mit Allgemeinplätzen und Totschlagargumenten, wenn es jedoch darum geht, das zu konkretisieren, ziehen sie den Schwanz mit bspw. der Begründung ein, dass sie kein Lektorat oder ein Verbesserungsbüro sind, ich hatte meinen Änderungsvorschlag zunächst nur vergessen, das ist eigentlich gar nicht meine Art, um so mehr freut es mich aber, dass er Dir gefällt. 👋😉👍

Ciao, Frank

 AZU20 (14.07.21)
Dem ist nichts hinzuzufügen. LG

 EkkehartMittelberg meinte dazu am 14.07.21:
Danke, das freut mich, Armin.
LG
Ekki

 Graeculus (14.07.21)
Du machst Deine Motivation gut verständlich - und als Prosaiker muß ich zugeben: auch dafür, Gedichte zu schreiben.

 EkkehartMittelberg meinte dazu am 14.07.21:
Gracias, Graeculus, in räume gerne ein, dass die Formulierung "intensivste Form der Sprache" subjektiv ist, denn Philosophen dürfen den Superlativ wegen der Klarheit ihrer Sprache auch in Anspruch nehmen.

 Graeculus meinte dazu am 14.07.21:
Selten gelingt ihnen das. Aber in manchen Passagen können auch sie 'die Einsamkeit durchbrechen'.
wa Bash (47)
(14.07.21)
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 EkkehartMittelberg meinte dazu am 14.07.21:
Merci, wa Bash, vielleicht gelingt es mir, das Poetische noch zu verstärken.

 Owald (15.07.21)
Gerne gelesen. Absolut nachvollziehbar, auch lehrreich. Gerade weil vieles davon bei mir ganz anders funktioniert.

Danke und beste Grüße

 EkkehartMittelberg meinte dazu am 15.07.21:
Owald, du bist ein charmanter Mann. Die gibt es nur selten. Es ist wohltuend, wenn sich jemand nicht zum Maßstab aller Dinge macht.
LG
Ekki

 AchterZwerg (15.07.21)
Hallo Ekki,
von mir gibt es diesmal vorwiegend Mäkeleien.
Es geht aus meiner Sicht doch nicht darum, einfach nur Gedichte zu verfassen, sondern möglichst gute. Also nicht darum, "Aphorismen" in eine wenig poetische Form zu gießen, sondern ein Sprachgebilde nach außen zu öffnen. Und zwar so, dass der Leserin hinreichend Deutungsmöglichkeiten blinken.
Du berichtest uns, wie du vorgehst. Ok.
(Was könnte ein Dichter daraus machen ...)
"Die Zeit wirbelt uns umher wie ein Blatt im Herbstwind" ist auch kein sonderlich origineller Gedanke.
"Mit der Suche nach der Gestalt
wird der Ausdruck genauer.
Je genauer der Ausdruck wird,
desto mehr erfahre ich über mich selbst."
wage ich zu bezweifeln. Die Form eines Gedichts dient hoffentlich n i c h t ausschließlich der Selbsterfahrung, sondern schmiegt sich wie eine zweite Haut an den Text. Oder gar: "Die Form ist das Gedicht" (Benn).
Vielleicht hättest du den Text nicht unter "Lyrik" posten sollen. ...
Unzufrieden, doch freundlich
Piccola

 EkkehartMittelberg meinte dazu am 15.07.21:
Hallo unzufriedene, aber liebenswerte Piccola. Heute ist mein erster Ferientag nach langer Zeit. Ich habe sehr gut gegessen und einen Schwips. Der rät mir, alles gut zu heißen, was du geschrieben hast. In der Hoffnung auf mildernde Umschläge und mit lieben Grüßen
Ekki
Nola (53)
(15.07.21)
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 AchterZwerg meinte dazu am 15.07.21:
Ich grenze niemanden aus, schreibe lediglich meine Meinung zu einem Text, nicht zur Person des Autors. Von meinen "Intentionen" ist im Kommentar übrigens an keiner Stelle die Rede, Lediglich darüber, was für mich u. a. (noch) in den Bereich der Lyrik fällt und was nicht. - Eine gültige Poetik gibt es bekanntlich derzeit nicht.

Das war und ist in diesem Forum hoffentlich auch weiterhin erlaubt. Falls nicht, bin ich gern bereit, dir meinen Platz zur Verfügung zu stellen, Nola.

Mit freundlichen Grüßen
der8.

 EkkehartMittelberg meinte dazu am 15.07.21:
Hallo Nola, hallo Piccola, hoffentlich bleiben wir drei uns gewogen.
Ich wollte nicht in einen Diskurs über die Gründe eintreten, weshalb ich Gedichte schreibe, sondern meine Motivation einfach mitteilen.
Vielleicht ist es gut, dass es derzeit keine gültige Poetik gibt. Das fördert die individuelle Mitteilungsbereitschaft. Legt es bitte nicht auf die Goldwaage. Wie gesagt, ich bin im Urlaub und die Schuld für meine leichtsinnigen Bemerkungen tragen die Grappata.
Nola (53) meinte dazu am 16.07.21:
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 TassoTuwas (18.07.21)
Lieber Freund,
es gibt möglicherweise so viele Gründe Gedichte zu schreiben, wie es Dichter gibt.
Deine sind überzeugend und aller Ehren wert!
Herzliche Grüße
TT

 EkkehartMittelberg meinte dazu am 18.07.21:
Vielen Dank, Tasso. Es strebt der Mensch, solange er lebt. Je älter er wird, desto schwieriger wird das Streben. Aber er versucht es, um sich zu beweisen, dass er lebt.
Herzliche Grüße
Ekki
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