Statt Bretagne- mal ein Burgundkrimi?

Roman zum Thema Landschaft

von  eiskimo

Bretagne-Krimis sind ja langsam durch. Deshalb spielt meine Mördergeschichte zwar auch in Frankreich, aber geographisch viel näher an der deutschen Leserschaft, nämlich im geschichtsträchtigen Burgund. Und schon seid Ihr mitten drin in meiner Leseprobe. …

Nach Burgund – Hauptstadt Dijon - hat sich der vorzeitig aus dem Dienst geschiedene Mathe- und Physiklehrer Desmoulins zurückgezogen, nachdem er bis zuletzt seine sehr kranke Mutter in Lyon gepflegt hatte.
Ja, Jean-Marie Desmoulins ist ein Guter. Nur manchmal neigt er zum Überreagieren. Das war schon so, als er im Dienst einen renitenten Schüler grob ohrfeigte – was schlagartig seine ansonsten völlig untadelige Lehrerkarriere beendete. Das war auch jetzt wieder so in Bonnard, dem burgundischen Dorf, wo es ihn als Single und Frühpensionär hin verschlagen hatte. Denn da musste er sich prompt  mit den einheimischen Motocross-Rabauken anlegen.
Bonnard ist ein 700-Seelen-Dorf im Morvan, das sehr schön liegt auf 550 Meter Höhe zwischen Viehweiden und immergrünen Tannenbaum-Plantagen. Aber: Landflucht, strukturschwache Region, keine Polizei im Umkreis von dreißig Kilometern – das hatte sich Jean-Marie Desmoulins geruhsamer vorgestellt. Sein Pech: Er hat ein kleines, sehr preiswertes Haus im Ortskern erworben, sogar mit Garten nach hinten heraus, aber dicht an der Pizzeria gelegen, sehr dicht. Und diese Fladen-Bäckerei ist sozusagen der Herzschrittmacher des Dorfes. Immer offen, immer gut frequentiert, vor allem von den in Leder verpackten Jungens mit den hoch gejazzten Cross-Maschinen. Es sind lauter Einheimische, aber lauter geht es kaum.  Denn ihre Treffs – gerne auch noch spät abends – pflegen sie mit heftigem Motorengeheul zu zelebrieren, der Auspuff als Verstärker.
Ihre Trial-Piste haben sie im nahgelegenen Wald, der leider fortswirtschaftlich so zerrupft wurde, dass er den Lärm der Moto-Akrobaten auch nicht mehr schlucken mag.
Ja, Jean-Marie Desmoulins ist ein Guter. Aber mit der Brutal-Beschallung kann er nicht so recht umgehen. Es braut sich da was zusammen, ähnlich wie damals bei dem nervigen Flegel im Physikunterricht, der ihn mit seinen Spielchen am Bunsenbrenner bis zur Weißglut getrieben hatte..
Nein, Jean-Marie wollte sich zu keiner weiteren Ohrfeige hinreißen lassen. Ha, eine lächerliche Ohrfeige. Die würde hier in Bonnard  nicht reichen. Denn  er war immer noch genug Physiklehrer, um zu wissen, dass der sich aufstauende Druck irgendwann ein Ventil brauchen würde. Ein Ventil, dass mit einem Knall die Dezibel der Debil-Szene wegpusten würde.
Noch hatte sein innerer Manometer aber den Grenzwert nicht erreicht. Noch hatte Jean-Marie Desmoulins sein Handeln im Griff. Aber in ihm kochten schon üble Gelüste hoch, die mit jedem Motorrad-Rodeo vor seiner Tür höher quollen.
Die Bambus-Fallen nach Vorbild der Vietcong, die hatte er schon wieder verworfen. Zu viel Ausschacht-Arbeit.  Fangdrähte zwischen den Bäumen, auch daran hatte er kurz gedacht. Oder Panzerkrallen im Boden versenkt?
Nein, Jean-Marie Desmoulins ist wirklich ein Guter. Und als Diener a.D.eines geordneten Rechtsstaates hat er jegliche Maßnahmen der Selbstjustiz dann doch verworfen und …..ist den Beschwerdeweg gegangen.
„Sehr geehrter Herr Bürgermeister Beaumec, liebe Mitglieder des Gemeinderates!“ so hatte die auf seiner alten Schreibmaschine getippte Eingabe begonnen... Und dem Brief angefügt war eine Liste mit den genauen Daten der Ruhestörungen, dazu die chronologisch passenden Beweisfotos, verknüpft mit der wirklich unerhörten Forderung
1.nach Einhaltung der Lärmschutzverordnung, 2. nach lesbaren Nummernschildern und 3. dem Versicherungsnachweis einer jeden Trial-Maschine.
Jetzt ist Jean-Marie Desmoulins, der Gute, tot.  Der Briefträger hat seine Leiche hinter dem neu erworbenen Haus gefunden, zu Füßen einer ans Dach angelegten Leiter, der Kopf unnatürlich verrenkt.
Nun gibt es ja handwerklich ungeschickte Lehrer zu Hauf. Nicht wenige erleiden kurz nach Ferienende fatale Dienstunfälle, fallen nicht nur Treppen herunter, sondern gleich für Monate aus. Insofern wäre der Fall Desmoulins ja gar kein Fall, sondern ein Unfall.  Hier genau beginnt nun der Krimi!
Desmoulins war nämlich schon vom Dienst freigestellt. Vor allem aber besaß er gar keine eigene Leiter, dafür hatte er, kaum in Bonnard einquartiert, schon das halbe Dorf zum Feind. Und welche Art Post sollte der Briefträger diesem hier jäh aus dem Leben Gerissenen noch zustellen? Natürlich einen Drohbrief....
Schlechte Nachricht also auch für die Inspektoren Ducas und Delgado von der Police Judiciaire  in Dijon, die nun allein Hundert Kilometer Anfahrt hatten, um in diesem verschlafenem Nest namens  Bonnard die Wahrheit über den Tod eines Lehrers herauszufinden.
Verschlafen? Die beiden wurden schon bei ihren ersten Nachfragen hellwach: Cathy Aron, die Inhaberin der Pizzeria, ist nicht nur selber eine ganz heiße Motorrad-Braut, sondern schläft seit Jahr und Tag mit Bürgermeister Beaumec. Ein offenes Geheimnis im Ort. Na und? Nebenbei ist Cathy schließlich  die Tochter von „petit Napoléon“ Potain, dem Hotelier, der in Bonnard das eigentliche Sagen hat. Schneller hätte sich der lärmesensible Lehrer also gar nicht in die Nesseln setzen können als mit seiner so fein angelegten Eingabe über den Beaumec-Amtsweg.
Und der Drohbrief? Ein weiteres Verdachtsmoment gegen die Motorrad-Szene?  Nix da. Den hatte tatsächlich jemand in Lyon aufgegeben. Darin  wurde Desmoulins auf ungeniert-mafiöse Art an ausstehende Zahlungen erinnert, Stichwort „ die nicht von der Sécurité Sociale übernommenen Zusatzleistungen für Maman“. Schluss-Wort: „Wir kriegen dich!“
Ducas und Delgado mussten also mit weiteren Dienstfahrten rechnen. Von Bonnard nach Lyon sind es noch einmal gut Zweihundert Kilometer.
Viel Raum also für tiefer gehende Recherchen. Und jede Menge Platz für weitere Überraschungen.


Anmerkung von eiskimo:

Der Text ist natürlich autobiographisch. Zwar heiße ich nicht Beaumec, aber um die Aufklärung dieses Falles mitten in meinem Dorf würde ich mich schon bemühen...

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Kommentare zu diesem Text


 AchterZwerg (17.07.21)
Zur Anmerkung: "Der schöne Mac" passt schoo.

Textuell gern gelacht
der8.

 eiskimo meinte dazu am 17.07.21:
Danke! Du hast einen Sinn für das Schöne!! Da gibt es hier nicht viele....
Burgundische Grüße
Eiskimo
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