Es gibt keinen 80-jährigen Schiller

Satzung zum Thema Lebensweg

von  Terminator

Der Spruch "So einer lebt, und Schiller musste sterben!" ist Quatsch. Ein vollendetes Leben bedeutet nicht, dass man als Greis stirbt. Für Goethe war es richtig, alt zu werden, für Schiller wäre es womöglich falsch gewesen, erst recht für Georg Büchner oder Otto Weininger. Für Kleist hätte das Greisenalter keinen Sinn gemacht, ebenso für Byron und Puschkin, Jesus und Alexander. Es gibt keine zu absolvierende Pflichtzahl an Lebensjahren. Ein vollendetes Leben ist wie ein Kunstwerk, dem nichts mehr hinzugefügt werden kann. Jeder Mensch ahnt intuitiv, wie alt er wird, wenn er sein eigenes Leben lebt, und nicht das eines anderen. Es ist eine Torheit, seine Lebensjahre gewaltsam zu verkürzen oder zu verlängern.

Möchtest Du einen Kommentar abgeben?
Diesen Text kommentieren

Kommentare zu diesem Text


 FrankReich (04.08.21)
Wann ist für Dich denn ein Leben vollendet? Klar, es gibt Menschen, die erreichen ihre Vorgaben in relativ kurzer Zeit, das bedeutet allerdings längst noch nicht, dass sie sich anschließend keinen Herausforderungen mehr stellen mögen und wieso war es für Goethe richtig, alt zu werden, vielleicht, weil er kein Tor war? Denn wenn es eine Torheit darstellt, seine Lebensjahre gewaltsam zu verkürzen, wäre Kleist ein Narr gewesen und für einen Narren macht das Greisenalter keinen Sinn, oder wie habe ich das zu verstehen?
Auf intuitives Ahnen (😂) fahre ich ja ziemlich ab, allerdings befürchte ich, dass es mir bei der Einschätzung der mir noch verbleibenden Zeit recht wenig hilft und wie bitte kann ich meine Lebensjahre gewaltsam verlängern? Ich glaube zwar nicht, dass ich Deinen Tipp beherzigen würde, aber das kann ich ja immer noch beurteilen, sobald ich ihn habe. 😄

Ciao, Frank

 Terminator meinte dazu am 04.08.21:
Wenn der Freitod nicht dein Schicksal ist, ist es eine Torheit, dein Leben gewaltsam zu verkürzen. Wenn du spürst, dass der Zeitpunkt deines Todes gekommen ist, ist es eine Torheit, dein Leben gewaltsam zu verlängern (dies gilt insbesondere für Lebensverlängerung durch Geräte und Medikamente, kann von feineren Geistern aber auch subtiler verstanden werden).

Theoretisch kann man auch nach 1000 Lebensjahren noch "Herausforderungen" finden, das darf also nicht das Kriterium der Lebenszeitbemessung sein.

 Augustus (04.08.21)
Schiller war mE am Höhepunkt seines Schaffens als er abging. Sein Werk Demetrius konnte er nicht vollenden. Wäre er älter geworden, hätte er sicherlich das eine oder andere weitere große Werk hervorgebracht.

Übrigens stünde Hölderlin ein Tod in jungen Jahren besser als das Greisenalter. Aufgrunddessen, dass ihn die Welt in jungen Jahren abgewiesen hat, konnte seine Poesie später nicht mehr gedeihen.

Apropos Mozart, er ging auch früh von der Welt ab, wie denn so viele andere. Es ist offensichtlich, dass geniale Menschen frühzeitig ausbrennen. Diese sind gleich eine süßen Kirsche, die der Tod wohl pflückt. Kant und Goethe, die ziemlich alt wurden zu jener Zeit, vollendet ihr größtes Werk im hohen Alter. Manche Frucht oder Pflanze braucht lange bis zu ihrer Vollendung.

Die „Hapaxanthe Pflanze“ blüht beispielsweise nur 1 mal im ganzen Leben und danach stirbt sie ab. Eine andere wie etwa der „titanenwurz“ blüht alle 10 Jahre. Wann und wie oft ein Künstler in seinem Leben aufblüht, wissen wir nicht.

Salve

 Terminator antwortete darauf am 04.08.21:
Meine These ist ja, dass das Leben eines großen Menschen wie ein vollendetes Kunstwerk ist, weil es zur Größe gehört, intuitiv zu wissen, wann man noch nicht genug, und wann man genug gelebt hat. Aber es gibt Ausnahmen. Das Absurde ist im realen Leben stets ein Faktor. Und manchmal fehlt es bei Talent oder sogar Genie an Charakter. Heidegger war ein großer Philosoph, aber kein großer Mann, sein Verhalten in der Nazi-Diktatur war eines Mannes unwürdig.

Was früher reift, stirbt auch früher. Anders versündigt es sich an der Natur. Die Frau blüht im Lebensmai (14 bis 18 Jahre) und -Juni (18 bis 22 Jahre), der Mann ist erst im Herbst (ab den 30-ern) ernstzunehmen. Zu Beginn des 21. Jahrhunderts ist zwar bei beiden Geschlechtern die Lebenserwartung grotesk hoch, aber dass Frauen nochmal 5 Jahre länger leben, ist eine ästhetische und auch ökonomische Fehlentwicklung.

 harzgebirgler (04.08.21)
...und hölderlin wurde, so hat es heidegger einmal genannt, von seinen göttern in den wahnsinn hinweggerettet.

 Macbeth (05.08.21)
Mich irritiert Dein Text. Was bedeutet gewaltsam verlängern? Welche Art Medizin ist in diesem Sinn denn überhaupt erlaubt?
Darf man mit 5 Dioptrin noch eine Brille tragen oder sollte man der "Wahrheit" ins blinde Auge sehen und sich an der nächsten Straßenecke überfahren lassen?

Der Text liest sich vor allem wie ein Hohn für alle, deren Kinder und Freunde überraschend und gewaltsam aus dem Leben gerissen wurden, wenn du vom vollendeten Leben als Kunstwerk sprichst. Oder willst du sagen, dass der plötzliche Kindstod für irgendwen "genau der richtige" ist? Oder Windpocken genau die Vollendung des Lebens sind, die sich irgendjemand "verdient" hat?

Irritierte Grüße
Merz

 Terminator schrieb daraufhin am 05.08.21:
Das ist eine streng lebensphilosophische Betrachtung, sozialpolitische Interpretationen haben hier nichts zu suchen. Auch zu einer Bewertung eines anderen Lebens von außen wird hier nicht aufgerufen, sondern das eigene Leben soll anhand von Beispielen als ein schicksalsbestimmtes verstanden werden, um Anspruchshaltungen wie "Ich will mindestens 80 Jahre leben!", "Ich will dies und das erleben/erreichen!" abzuwehren.
Möchtest Du einen Kommentar abgeben?
Diesen Text kommentieren
Zur Zeit online:
keinVerlag.de auf Facebook keinVerlag.de auf Twitter keinVerlag.de auf Instagram