Trübsal blasen? Marcus Sitticus (Erzbischof - tot - lustig) gibt was zu lesen..
Text
von Willibald
Also.
Wasserspiele Hellbrunn. Der Sitz des Erzbischofs ist ohne Fontäne.
(1) Der Erzbischof
Als kleiner Junge besuchte ich mit meinen Eltern das Wasserschloss Hellbrunn nahe Salzburg. Meine Mutter hatte mir erzählt, wie sie als junges Mädchen mit ihrem Bruder Otto auf seiner Jawa von Prag nach Österreich gefahren waren. Zum Schloss des barocken Fürstbischofs. Und was das für eine Riesenfreude war. Keine Kulturlangweile, keine Erhabenheit. Kein Highbrow. Otto, der Automechaniker, war entzückt. Meine Mutter war entzückt.
Mutter wusste noch, wo ungefähr der Bischof Marcus Sitticus, ein „komischer Vogel“, die Besucher mit Wasserfallen überraschen würde. Steinsitze mit Wasserventilen, Wasserfontänen im Spalier, sich neigend nach vorne und nach hinten. Jetzt sah ich es alles vor mir. Ringsum jauchzender Schrecken und Getöse. Und mein Vater murmelte mehrfach mit geschlossenen Augen, dass er den Erzbischof gerade habe lachen hören. Ich glaubte es ihm gerne. Ein Kirchenmann und dieser Jux, das war einfach zu schön und zu selten. Das musste wahr sein.
Marcus Sitticus vor dem Plan von Hellbrunn (Hintergrund).
In der linken Hand der Domneubau Salzburg
im Zustand von 1618.
Älter geworden begegnete mir der Bischof wieder, im Salzburger Dom - Sitticus hatte den Bau begonnen, war aber vor der Fertigstellung gestorben. Auf einer Grabplatte im Boden konnte man lesen, was er dem Wanderer sagen wollte. Es wäre schade, die Rede des Toten nicht zu übersetzen.
Des Erzbischofs lateinische Botschaft für den Wanderer.
Mit wenigem halte ich Dich auf.
Lies es durch, o Wanderer.
Auf einer kurzen Grabplatte darf man nicht langatmig sein.
Hierher runter habe ich
Marcus Sitticus
Graf von Hohenems, Erzbischof und
Fürst zu Salzburg
meine Knochen und meine Haut verbringen lassen.
Mein Herz ist bei dem Heiligen Carl Borromäus, meinem Onkel.
Diesen Dom, den ich nun bewohne,
habe ich für die Schutzheiligen
der Heimat, für Rupert und Virgilius zu bauen begonnen.
Kaum komme ich zu den Dächern, schon bin ich gezwungen,
in den Boden zurückzukehren.
Der Tod befiehlt es.
Was wundert´s? Die Patroni des Vaterlandes
erwarteten im neuen Gotteshaus
des Apostolischen Stuhls Gesandten.
Nun geh. Und lerne zu sterben.
Das war ein Erzbischof katholischer Provenienz und in seinem Leben alles andere als tolerant, diese Grabplatte hatte Format. Und bewies Humor. Und lässt den Besucher lächeln.
(2) Der Plavius
Als Lehrer bringt man – wenn es klappt – seinen Schülern nahe, wie sie Gedichte analysieren, Hintergrundwissen einbringen und überzeugend schreiben können.. Im Barock gibt es die bekannt-berühmten Reaktionen auf die moribunde Welt der Konfessionskriege, der Pest, der Nichtigkeit der Welt: Askese und Weltverzicht. Oder Weltgenuss und fröhliche Skepsis. Oft ein bisschen holzschnittartig diese Sonette.
Dieser Text von Plavius aber hat uns besonders Spaß gemacht.
Johannes PLAVIUS:
Hüte dich vor unnötiger traurigkeit (1639):
O weh dem/ welcher ist mit traurigkeit geplaget!
Er schläfet ohne schlaf/ er ruhet ohne ruh/
Er wachet mit verdruß/ und eilt dem grabe zu/
Er frisst sich selbst/ und weiss doch oft nicht/ was jhn naget.
O wol dem/ der in Gott nach freud' und wonne jaget!
Er lebt in höchster lust/ jhm ist vor gar nichts bang'/
Im spinnet Lachesis (1) den Faden noch so lang.
Er ist an Gott vergnügt/ auf den er alles waget.
Drumb fass' ein frölich hertz'/ vnnd sey gar frischen muthes/
Treib' angst und trauren auß/ und thu dir selber gutes/
Freud' ist des hertzens hertz' und bringet es zur ruh.
Was ist Melancholey? Ein brunnenquell des zweifels
An Gottes gütigkeit: ein bett' und bad des teufels.
Sie stürtzt viel leut' in's grab und dient doch nirgends zu.
(1) Schicksalsgöttin, spinnt den
Lebensfaden und schneidet ihn ab.
(3) Der Gernhardt
Robert Gernhardt! Ja.
Kein Schenkelklopfen.
Sondern Entlastung.
Deutung eines allegorischen Gemäldes
Fünf Männer seh ich
inhaltsschwer –
wer sind die fünf?
Wofür steht wer?
Des ersten Wams
strahlt blutigrot –
das ist der Tod
das ist der Tod
Der zweite hält die
Geißel fest –
das ist die Pest
das ist die Pest
Der dritte sitzt
in grauem Kleid - das
ist das Leid das ist
das Leid
Des vierten Schild
trieft giftignaß –
das ist der Haß
das ist der Haß
Der fünfte bringt stumm
Wein herein –
das wird der
Weinreinbringer sein.
Gernhardt, Robert (2006):
Gesammelte Gedichte: 1954 – 2006. Frankfurt: Fischer, S.111-112. FISCHER
The End. Bonustrack
Und zum Abschluss der Reise - nach Zürich.
Züricher Sterbeannonce
Nunc abi, viator et vale.
Wasserspiele Hellbrunn. Der Sitz des Erzbischofs ist ohne Fontäne.
(1) Der Erzbischof
Als kleiner Junge besuchte ich mit meinen Eltern das Wasserschloss Hellbrunn nahe Salzburg. Meine Mutter hatte mir erzählt, wie sie als junges Mädchen mit ihrem Bruder Otto auf seiner Jawa von Prag nach Österreich gefahren waren. Zum Schloss des barocken Fürstbischofs. Und was das für eine Riesenfreude war. Keine Kulturlangweile, keine Erhabenheit. Kein Highbrow. Otto, der Automechaniker, war entzückt. Meine Mutter war entzückt.
Mutter wusste noch, wo ungefähr der Bischof Marcus Sitticus, ein „komischer Vogel“, die Besucher mit Wasserfallen überraschen würde. Steinsitze mit Wasserventilen, Wasserfontänen im Spalier, sich neigend nach vorne und nach hinten. Jetzt sah ich es alles vor mir. Ringsum jauchzender Schrecken und Getöse. Und mein Vater murmelte mehrfach mit geschlossenen Augen, dass er den Erzbischof gerade habe lachen hören. Ich glaubte es ihm gerne. Ein Kirchenmann und dieser Jux, das war einfach zu schön und zu selten. Das musste wahr sein.
Marcus Sitticus vor dem Plan von Hellbrunn (Hintergrund).
In der linken Hand der Domneubau Salzburg
im Zustand von 1618.
Älter geworden begegnete mir der Bischof wieder, im Salzburger Dom - Sitticus hatte den Bau begonnen, war aber vor der Fertigstellung gestorben. Auf einer Grabplatte im Boden konnte man lesen, was er dem Wanderer sagen wollte. Es wäre schade, die Rede des Toten nicht zu übersetzen.
Des Erzbischofs lateinische Botschaft für den Wanderer.
Mit wenigem halte ich Dich auf.
Lies es durch, o Wanderer.
Auf einer kurzen Grabplatte darf man nicht langatmig sein.
Hierher runter habe ich
Marcus Sitticus
Graf von Hohenems, Erzbischof und
Fürst zu Salzburg
meine Knochen und meine Haut verbringen lassen.
Mein Herz ist bei dem Heiligen Carl Borromäus, meinem Onkel.
Diesen Dom, den ich nun bewohne,
habe ich für die Schutzheiligen
der Heimat, für Rupert und Virgilius zu bauen begonnen.
Kaum komme ich zu den Dächern, schon bin ich gezwungen,
in den Boden zurückzukehren.
Der Tod befiehlt es.
Was wundert´s? Die Patroni des Vaterlandes
erwarteten im neuen Gotteshaus
des Apostolischen Stuhls Gesandten.
Nun geh. Und lerne zu sterben.
Das war ein Erzbischof katholischer Provenienz und in seinem Leben alles andere als tolerant, diese Grabplatte hatte Format. Und bewies Humor. Und lässt den Besucher lächeln.
(2) Der Plavius
Als Lehrer bringt man – wenn es klappt – seinen Schülern nahe, wie sie Gedichte analysieren, Hintergrundwissen einbringen und überzeugend schreiben können.. Im Barock gibt es die bekannt-berühmten Reaktionen auf die moribunde Welt der Konfessionskriege, der Pest, der Nichtigkeit der Welt: Askese und Weltverzicht. Oder Weltgenuss und fröhliche Skepsis. Oft ein bisschen holzschnittartig diese Sonette.
Dieser Text von Plavius aber hat uns besonders Spaß gemacht.
Johannes PLAVIUS:
Hüte dich vor unnötiger traurigkeit (1639):
O weh dem/ welcher ist mit traurigkeit geplaget!
Er schläfet ohne schlaf/ er ruhet ohne ruh/
Er wachet mit verdruß/ und eilt dem grabe zu/
Er frisst sich selbst/ und weiss doch oft nicht/ was jhn naget.
O wol dem/ der in Gott nach freud' und wonne jaget!
Er lebt in höchster lust/ jhm ist vor gar nichts bang'/
Im spinnet Lachesis (1) den Faden noch so lang.
Er ist an Gott vergnügt/ auf den er alles waget.
Drumb fass' ein frölich hertz'/ vnnd sey gar frischen muthes/
Treib' angst und trauren auß/ und thu dir selber gutes/
Freud' ist des hertzens hertz' und bringet es zur ruh.
Was ist Melancholey? Ein brunnenquell des zweifels
An Gottes gütigkeit: ein bett' und bad des teufels.
Sie stürtzt viel leut' in's grab und dient doch nirgends zu.
(1) Schicksalsgöttin, spinnt den
Lebensfaden und schneidet ihn ab.
(3) Der Gernhardt
Robert Gernhardt! Ja.
Kein Schenkelklopfen.
Sondern Entlastung.
Deutung eines allegorischen Gemäldes
Fünf Männer seh ich
inhaltsschwer –
wer sind die fünf?
Wofür steht wer?
Des ersten Wams
strahlt blutigrot –
das ist der Tod
das ist der Tod
Der zweite hält die
Geißel fest –
das ist die Pest
das ist die Pest
Der dritte sitzt
in grauem Kleid - das
ist das Leid das ist
das Leid
Des vierten Schild
trieft giftignaß –
das ist der Haß
das ist der Haß
Der fünfte bringt stumm
Wein herein –
das wird der
Weinreinbringer sein.
Gernhardt, Robert (2006):
Gesammelte Gedichte: 1954 – 2006. Frankfurt: Fischer, S.111-112. FISCHER
The End. Bonustrack
Und zum Abschluss der Reise - nach Zürich.
Züricher Sterbeannonce
Nunc abi, viator et vale.