Goldenes Licht

Innerer Monolog zum Thema Erinnerung

von  Lluviagata

Ich sehe, die Stare versammeln sich, Fischschwärmen gleich schwelgen sie im Südwestwind, gleiten über abgeerntete Felder, um Abschied zu nehmen. Die Erdbeerpflanze, die ich den ganzen Sommer in einer Ampel gezogen habe, blüht zum dritten Mal über und über, und doch sind die vielen kommenden Früchte mehltaubepudert. Das ganze Leben besteht aus Abschieden, Abschied von der Schule, von den Eltern, vom Partner, vom Leben. Was bleibt, sind Erinnerungen, die man geteilt hat, die man selbst hat oder nicht. Erinnert sich jemand nach langer Zeit an eine Erinnerung, dann bricht sie auf wie Springkraut. Erinnerungen bleiben verwahrt in einem Kästchen. Oder verschwinden im Nebel. Dann schleichen sie sich allmählich davon, was bleibt, ist eine weiche Hülle, die mit nichts weiter gefüllt ist als mit dem jeweiligen Tag am Kalender. Geburtstage, Weihnachten oder einfach Tage, die wunderschön waren, die man auf ewig in Erinnerung behalten möchte, verblassen unter der Last des Vergessens. Aber auch das elende Dasein, das gestern war und heute, ist auf ewig vergessen. Was zählt, ist der Moment - ein Lächeln, eine zärtliche Geste, eine Hand auf einer anderen, Waldluft und Sonne auf der Haut. Stirbt die Erinnerung mit uns? Ja. So lange wir uns erinnern, leben wir.

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Kommentare zu diesem Text


 Iktomi (07.09.21)
Wunderschön, das Bild mit dem Springkraut!
Gruß von Iktomi

 Quoth (07.09.21)
Gefällt mir auch sehr gut - Beschreibung eines der wichtigsten Motoren der Literatur. Übrigens: Auch Ankünfte können in Erinnerung bleiben!

 AchterZwerg (08.09.21)
Eine schöne, zarte Vorbereitung auf einen endgültigen Abschied.
"So lange wir uns erinnern, leben wir."

Wenn die Gegenwart entfällt, sind wir bereits verstorben, ohne tot zu sein.

Liebe Grüße
der8.

 EkkehartMittelberg (08.09.21)
Hallo Llu,

die Kunst besteht darin, Momente so zu gestalten, dass man sich ihrer erinnert. Dann reißt die Kette nicht ab.
Ein erinnerungswürdiger Text.

LG
Ekki
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