Noah für Arme

Kurzgeschichte zum Thema Gesellschaft/ Soziales

von  RainerMScholz

Wie soll man das beschreiben, wenn alles um einen herum einstürzt, wenn das Knistern im linken Ohr nicht aufhört, obschon man alles versucht hat, Wattestäbchen, heißes Olivenöl, wobei die Hälfte daneben gegangen ist und mir das Hemd versaut hat, warme Ohrduschen, kalte Ohrduschen, und man am liebsten eine Betonfüllung einführen möchte, damit das aufhört, etwas mit so einem winzigen Betonmischer, dessen graue Masse ins Ohrinnere zu laufen käme und dann wäre endlich Schluss.
Oben ist der Vermieter weg, aber ich soll mich um seinen Kram kümmern. Ist zur Tochter gefahren. Nach Bielefeld. Den Ort gibt es ja gar nicht. Nicht wirklich. Da fährt man dran vorbei. In Ordnung, der Witz ist alt. Mein Vermieter ist es auch. Er und seine Frau kommen kaum vorwärts in ihrem Alter mit dem Wasser in den Beinen und so schwer an Körpermasse wie sie sind, so ungelenk und schwer, so fett, außen wie innen; die können kaum krauchen und schnaufen; unten vor meiner Türe stehen die Rollatoren, die sie von ihrer Tochter in Bielefeld haben, brandneu, die aus lauter Stolz und Eitelkeit nicht benutzt werden; aber ich soll mich um ihre kümmerlichen Gurken und Tomaten auf dem Balkon kümmern und draußen sind es 36°C. Die Gurken und Tomaten darf ich mir auch abmachen, hat er gesagt. Fick dich, dicker Mann! Fick dich! Die verfickten Rechtsnationalkonservativen finden immer einen Dummen – ich hab´ mir die Absender seiner immensen Postsendungen angesehen. Und da muss ich doch hämisch lachen, so insgeheim und nur für mich, wenn er sich die Post und alles andere von der linken Zecke besorgen lässt, die unter ihm zur Miete wohnt, in der Wohnung, in dem Haus, in dem er alles selbst gemacht haben will, wo die Leitungen diagonal in der Wand verlaufen, die Rohre brummen und schief hängt, was schief hängen kann. Das ist auch eine Arche, ein Arsch, der allmählich im Fundament versinkt.
Ich bin schon ein armer Wicht, aber ich halte `mal schön die Fresse hier an der Nationalstraße 45 und sage danke, dass ich hier wohnen darf, weil es in Bankfurt zu teuer geworden ist. Dafür lasse ich mich jetzt hier in der schönen Wetterau ausbeuten bis auf`s Blut und für lau in so einem hübschen neuen Gewerbegebiet mit Autobahnzubringer, und hab´ auch noch eine Terrasse dabei, von der ich in meine Lorbeerhecke starre dienstags und freitags, da lasse ich mich nämlich sinnlos volllaufen und bin `mal gespannt, wie lange meine Frau da noch mitspielt.
Könnte im übrigen auch alles schlimmer sein: Afghanistan, wo zottelbärtige Männer ausschließlich mit Säcken überm Kopf im Dunkeln vögeln können, in Brasilien – Heil Hitler-, was man so hört, oder sonstwo am Arsch der Welt, irgendwo in einem vergessenen Ghetto, Moria, zum Beispiel, das wie aus dem Herrn der Ringe klingt und total vergessen ist, weil`s so weit weg ist, in Griechenland; Seveso ist ja `rum, wie wär`s noch mit Fuckushima oder Weißrussland, das jetzt wie ein freundlicher Wal klingt, Bela Russ; in allernächster Zukunft beschießen uns die Gotteskrieger wieder und ein Hochhaus fällt um, ein Schiff geht unter, die U-Bahn entgleist, oder wenn`s das nicht alles ist, dann bringt uns die Coronavogelgrippe um, die es nach meinem 83jährigen Vermieteroberhaupt - was weiß ich, wie alt der ist, alt, aber nicht stalingradalt - gar nicht gibt als solche. Demokratie gibt es auch nicht, sagt er, das heißt jetzt Demokratur, wahrscheinlich wenn es nach dem Jungen Deutschland geht oder wie – leck mich am Arsch – das rechte Hetzerblatt auch immer heißt, das er jetzt bestellt hat, was ich nur wissen kann, weil ich seine Post besorge, während er und sein Weib weg sind. Die bringen uns alle sehenden Auges um, was soll ich da noch groß aufschreiben.
Ich sitze auf der Terrasse, starre in die Lorbeeren und überlege, wie Noah das geschafft hat, einfach ein Boot gebaut, die Segel gehisst und weg. Als Metapher verstehe ich das, aber der praktische Teil? So wie die reichen Fuzzies, die ins Weltall absegeln? Ist das die Idee? Noah war also ein reicher Sack, der seine Familie rettete und sonst niemand – gut, die ganzen Tiere, ist klar, aber ein Menschenfreund war der nicht gerade. Und von diesem Typ stammen wir jetzt alle ab, nicht wahr, und seiner Clique. Und Gott hat dazu sein Okay gegeben. Ja, dann ist ja alles klar. Dann bleibe ich einfach hier sitzen, trinke noch einen Kurzen, starre in die Hecke und warte einfach ab, bis mir das Blut aus dem linken Ohr läuft, bis ich grün im Gesicht werde vom Kotzen wegen der altdeutschkonservativnationalen Sprüche, bis meine Frau vor lauter Überdruss abhaut, weil ich nur noch draußen sitze, Äppler rauche und Kette trinke, und wegen des Sex im Dunkeln; und dann ist ja schon der halbe Weltuntergang da, jedenfalls was mich anbelangt, und dann gucke ich einfach zu; die Nidda schwillt an, die fließt bei Offenbach in den Main, oder was weiß ich wo, ihr wisst schon, da wo die ganzen Ausländer wohnen – Ficken im Dunkeln mit `nem Sack überm Kopf, aber nix Impfen -, die Nidda fließt in den Main, das wälzt sich alles über den Rhein Richtung Rotterdam, und dann gute Nacht Frau Antje aus Holland; aber ihr kommt hier nicht `rein mit euren Wohnwagen; das könnt ihr vergessen, Käsköppe. Versucht`s `mal in – England.


© Rainer M. Scholz

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Kommentare zu diesem Text


 minimum (11.09.21)
Eine packende Darstellung heilloser Mental-Schäbigkeit. (Deckt einen guten Teil dessen ab, was landläufig gerne als "Zeitgeist" firmiert.)

 RainerMScholz meinte dazu am 12.09.21:
Da haben die Synapsen wieder verrückt gespielt, die eine Katastrophe bezieht sich auf die andere, und ineinander verflochten ergibt sich dann etwas, das unbedingt auf `s Papier muss, bevor mir der Schädel platzt.
Gruß + Dank,
R.

 AchterZwerg (11.09.21)
Super Text, gerade in der Beschreibung der Wohngegenden.
(Einmal "krauchen" würde ich allerdings rausnehmen).

Herzliche Grüße
der8.

 RainerMScholz antwortete darauf am 12.09.21:
Mit Ortsbeschreibungen tue ich mir schwer - zu oft umgezogen und zu wenig angekommen -, erhöht aber ungemein die Authentizität.
Das Krauchen kommt weg, danke für den Hinweis, und so.
Grüße,
R.

 Dieter_Rotmund (11.09.21)
Sehr verbitterter Erzähler, aber gerne gelesen.
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