Im Abendkleid

Kurzprosa

von  nautilus

Nichts bewegt sich in die richtige Richtung, denke ich an diesem Morgen, zwischen unausgepackten Paketen voller neuer Möbel stehend. Von Zeit zu Zeit geht es mir so, der Drive kommt mir dann abhanden. Da hilft kein Kaffee, keine Zigarette, keine tröstenden Worte von der Liebsten. Es sind meine Abgründe, die sich da auftun. Ich will mich gerade wieder ins Bett legen, als es an der Türe läutet. Ein prüfender Blick an mir herab verrät mir, dass ich mich so sehen lassen kann. Unvoreingenommen und gelangweilt vom Leben öffne ich. Es ist die Nachbarin, die in der Wohnung unter mir lebt. Sie wirkt angespannt, als sie zu reden beginnt: "Haben Sie nicht mitbekommen was gestern passiert ist? Alle waren gestern im Innenhof und haben sich das Spektakel angesehen. Ich meine alle, bis auf Sie." Auf meine Nachfrage hin beginnt sie mir eine obskure Geschichte zu erzählen, von einer Art geisterhaften, weiblichen Gestalt die am Hausdach gegenüber gestanden hätte, sie wäre 10 Meter groß gewesen, mit schwarzen, messerartigen Zähnen und hätte meinen Namen gerufen. Erst der Blitz der Handykamera eines Hausbewohners hätte sie letztenendes vertrieben. Ich fühle mich belästigt und knalle wortlos die Türe zu. Was sollte dieses wahnhafte Gelaber? Ein Kaffee würde mir jetzt wieder auf die Sprünge helfen und dann nichts wie raus aus diesem vermeintlichen Irrenhaus.
Gerade als ich das Wohnhaus verlasse und in die Gasse einbiegen, fühle ich mich seltsam beobachtet, kann aber keine Menschenseele ausfindig machen und schiebe es auf meine leicht ausgeprägte Paranoia. Nach kurzer Zeit komme ich an den Eingang des Parks, setze mich auf eine der morschen Bänke und inhaliere die kühle Morgenluft. Es duftet nach Herbst. Nach wenigen Minuten höre ich aus der Ferne eine Art Hilferuf einer mir wohl vertrauten Stimme, die ich aber nicht zuordnen kann. Weit und breit ist niemand zu sehen, also beschließe ich, dass es meine Aufgabe ist dem nachzugehen. Ich folge den immer lauter werdenden Rufen und stelle mit Entsetzen fest, dass es sich dabei um meinen Namen handelt. Plötzlich sehe ich eine riesige, weibliche Gestalt in einer Art Abendkleid vor mir. Die Neugierde siegt über den ersten Schock und als ich mich fortwährend nähere, sehe ich die schwarzen, messerartigen Zähne. Die Nachbarin hatte nicht gelogen. Dieses Wesen war furchteinflößend und faszinierend zu gleich. Plötzlich sieht es mir tief in die Augen: "Bald ist Oktober und ich habe Hunger, mein Liebling. Füttere mich, sonst bin ich Geschichte und was nach mir kommt ist viel schlimmer als alles andere, dass du jemals durchlitten hast. Ich bin zeitlebens an deiner Seite, ohne mich bist du nichts, nichts als Leere!" Kurzerhand hole ich mein Handy aus der Tasche. Alles scheint mir in diesem Moment endlich Sinn zu machen. Ich aktiviere den Blitz meiner Kamera und schon ist es geschehen. Das Unding ist verschwunden. Zurück bleiben nur ein paar zerquetschte Grashalme als stumme Zeugen. Keine Spur von Leere, mehr Raum für Neues. Zufrieden drehe ich mich um und gehe nach Hause. Zeit die Möbel auszupacken.

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Kommentare zu diesem Text


 Regina (16.09.21)
Seltsame Begegnung.

 Moja (16.09.21)
Skurill! Spannend erzählt.

 Moja (16.09.21)
Skurill! Spannend erzählt.

 Dieter_Rotmund (17.09.21)
Dieser Kommentar und die Antworten dazu sind nur für Teilnehmer an diesem Kommentarthread lesbar.

 nautilus meinte dazu am 17.09.21:
Danke ******
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