Bekanntschaften

Kurzgeschichte

von  BeBa

Mein Chef hatte mir für den nächsten Tag eine Dienstreise nach Hamburg in den Kalender geschoben.
„Macht doch nichts“, meinte Nicole, meine Frau, „übermorgen bist du ja wieder da.“
Unser Hochzeitstag. Ich gab zu bedenken, erst am späten Nachmittag zurück zu sein.
„Dafür gehen wir dann am Abend toll essen. Ich reserviere bei Francesco.“
Damit war die kurzfristige Entscheidung meines Bosses ohne vorherige Absprache durchgewunken.
Und so übel hörte sich Hamburg nicht an. Wo er mich doch sonst gerne nach Drolshagen, Fulda oder Osnabrück schickte.
„Da hat dein Chef sich ja nicht lumpen lassen“, meinte sie, derweil ich ihr beim Kofferpacken zuschaute und erzählte, dass ich die Nacht im Hotel Atlantik verbringen würde.
Und beim Spätfilm, sie war schon auf der Couch eingenickt, streckte sie plötzlich ihren Kopf hoch.
„Du könntest ja am Abend mal Jenny besuchen.“ Damit meinte sie ihre Jugendfreundin. Ich war ihr nur ein einziges Mal begegnet, auf einer Geburtstagsparty meiner Frau. Da erschien mir diese Jenny zunächst saucool, dann immer freizügiger und am Ende kamen wir uns gefährlich nahe. Viel hatte nicht mehr zwischen uns gepasst.
„Jenny?“, fragte ich und ergänzte: „In Hamburg?“
Meine Frau nickte müde.
„Seit ein paar Jahren schon. Erst letztens hat sie mir geschrieben, dass sie mit ihrem neuen Freund eine Wohnung in Altona gefunden hat. Ruf sie doch einfach mal an, wenn du da bist. Sie wird sich freuen und vielleicht passt es ja.“
„Klar“, meinte ich, „gute Idee.“

Der Kunde erwies sich als harte Nuss und mir dämmerte allmählich, dass ich Hamburg und das Hotel Atlantik nicht nur der Großzügigkeit meines Chefs zu verdanken hatte. Doch am späten Nachmittag war die Sache eingetütet, es gab Champagner oder Sekt. Die Plörre kann ich nicht unterscheiden. Der Kunde schlug als Abschluss ein paar nette Stündchen in der Stadt vor. Ich bat um Bedenkzeit, hätte etwas zu klären. Ich wählte Jennys Nummer, die meine Frau mir ins Handy gespeichert hatte. Beim dritten Mal nahm jemand ab.
„Jensen?“
„Jenny?“
„Jensen!“
„Bist du es, Jenny?“
„Wer ist denn da?“
Ich nannte meinen Namen und endlich fiel der Groschen.
„Ah, du bist das.“
„Ich bin beruflich in Hamburg.“
„Wie schön.“
„Zwei Tage.“
Sie schwieg.
„Nicole meinte, ich könnte vielleicht mal bei euch ...“
„Oh, das ist ganz schlecht heute.“
„Klar.“
„Melde dich doch mal wieder, wenn du in Hamburg bist. Vielleicht etwas früher. Du weißt doch, dass …“
„Klar. Wem sagst du das!“

Folglich saß ich später mit einem befriedigten Kunden im Heimathafen, einem urigen Restaurant nahe der Landungsbrücken. Seine fröhliche Verfassung ließ bei mir Zweifel aufkommen, ob ich bei unseren Verhandlungen das Maximum herausgeholt hatte. Aber der Chef hatte vollste Zufriedenheit signalisiert. Nach Hamburger Pannfisch, einer Roten Grütze und jeder Menge Astra-Pils wartete laut meinem Kunden ein weiteres Highlight auf mich.
Ich ahne nicht mal, wohin uns dieses Taxi wie lange fuhr. Während der Fahrt rief meine Frau auf dem Handy an. Trotz der getankten Promille konnte ich ihr recht seriös klar machen, dass mir Jenny abgesagt hatte.
„Und wo bist du?“, fragte sie. Ihr Ton ließ mich wachwerden.
„Fast im Atlantik!“, dann brach die Verbindung ab.
Das Taxi aber folgte einer anderen Route. Als es stoppte, war ich gerade wieder eingenickt.
„Kommen Sie!“, meinte mein Gastgeber.
Eine Absackerbar! Vermutete ich.
Gedimmtes Licht, diverse Logen, die Damen am Tresen freizügig gekleidet. Warum nicht, flüsterte irgendetwas in mir. Und dann bestellte mein neuer Vertragspartner, und ich genoss. Es kam der Moment, da wir fast eins wurden, lachten und nichts mehr sagten.
Nach weiteren Drinks die Gewissheit, dass das Leben dann doch vom Feinsten ist.
„Sag mal, ...“ Ich versuchte es nun wieder mit Worten. Aber duzten wir uns denn, und falls ja: Wie lange schon? Und was hatte ich überhaupt sagen wollen?
Egal, da hörte ich sie hinter mir.
„Ist zwischen euch Süßen noch ein Plätzchen frei?“
Ich drehte mich nicht um. Fragte nur.
„Jenny?“
Am nächsten Morgen nahm ich ein Taxi vom Hotel Atlantik zum Bahnhof.

Der Abend bei Francesco war italienisch-romantisch. Einem Hochzeitstag würdig.
„Das nächste Mal klappt es bestimmt mit Jenny. Vielleicht fahren wir zusammen nach Hamburg und kündigen uns rechtzeitig bei ihr an.“
„Mal sehen!“, sagte ich.
Bisher ist es dazu nicht gekommen.

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Kommentare zu diesem Text


 AchterZwerg (24.10.21)
Sei froh! *hüstel)

Mir gefällt, wie du hier einem Klischee (die Heilige und die Hure) den passenden Rahmen gibst.

Liebe Grüße
der8.

 Létranger meinte dazu am 24.10.21:
Sehr fein erzählt.

 BeBa antwortete darauf am 25.10.21:
Danke euch.

LG
BeBa

 ochsenbacke (24.10.21)
Hi Baba,
schöne Geschichte, wie aus dem Leben gegriffen, flüssig geschriebeb, Dialoge o.k.
Ein paar kl. Anmerkungen:
Zitat:
„Seit ein paar Jahren schon.
Da fehlt mE der Bezug zur Frage. Oder habe ich den übersehen?
Zitat:
mit einem befriedigten Kunden
Hmm . . . Ein Gläubiger wird b., aber ein Kunde? Sollte es nicht besser "zufriedener" heißen? Ich frage mich, steht der Prot. auf Männer oder auf Frauen oder auf beide? Denn er kommt sowohl der Jenny als auch dem Kunden "gefährich nahe". Dann, warum lügt er seine Frau an, die ihm doch den Besuch bei Jenny nahe gelegt hat?
Zitat:
Am nächsten Morgen nahm ich ein Taxi vom Hotel Atlantik zum Bahnhof.
Alles hätte mich jetzt interessiert, nur nicht das! ZB, ob etwas zwischen den beiden passiert ist. Eine Andeutung hätte schon gereicht, pikant ist die Situation allemal, denn wenn ich richtig rechne, ist heute sein Hochzeitstag.
Ich verstehe, dass sich hinter der geschilderten Realität noch eine andere Geschichte verbirgt bzw. verbergen soll. Wenn das so ist, sollte es deutlicher herausgearbeitet werden. Die Substanz ist da.
Puh . . . Nichts für ungut, Baba, sollte keine Erbsenzählerei sein. Deine Geschichte hat mich neugierig gemacht und ich hab sie mir dann einfach mal genauer angesehen.
LG

 BeBa schrieb daraufhin am 25.10.21:
Hi,

ich danke dir für deinen ausführlichen Kommentar und die hilfreichen Anmerkungen.
Das werde ich mit in Ruhe anschauen.

LG
BeBa

 Buchstabenkrieger (24.10.21)
Hat mir gut gefallen, BeBa,

in dem Moment, wo es Absackerbar hieß, dachte ich, da würden auch noch Escortdamen bestellt. Und schwupp, Jenny wäre eine von ihnen

Schönen Sonntag.
Buchstabenkrieger

 BeBa äußerte darauf am 25.10.21:
Hi,

danke dir. Das klingt so, als wäre das Ende zu absehbar?

LG
BeBa

 Buchstabenkrieger ergänzte dazu am 26.10.21:
Hi BeBa,

dass Jenny am Ende ihren Auftritt hat, habe ich stark vermutet.
Es war nur spannend zu sehen, wie/in welchem Maße.

Absehbar von daher schon ein wenig, also "dass", aber nicht "wie".

LG, Buchstabenkrieger
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