Keine Königskinder

Innerer Monolog zum Thema Erinnerung

von  rela

Warum muß ich nur immer an dieses alte Lied denken
das mich so traurig stimmt?

"Es waren zwei Königskinder, die hatten einander so lieb.
Sie konnten zusammen nicht kommen, das Wasser war viel zu tief."

Du und ich waren keine Königskinder, doch auch wir hatten uns einmal
sehr lieb. Auch wir konnten nicht zusammenkommen, denn die Kluft
zwischen unseren Welten war unüberwindbar.

"Herzliebster kannst Du nicht schwimmen, so schwimm doch herüber zu mir,
zwei Lichtlein will ich anzünden, die sollen leuchten Dir."

Du hast es nicht geschafft in meine Gesellschaftsschicht herüber zu
schwimmen. All meine Versuche Dir zu helfen wieder einen Job
und damit soziale Anerkennung zu finden schlugen fehl.

"Das hört eine alte Nonne, die tat als ob sie schlief. Die tat die Lichtlein
ausblasen, der Jüngling ertrank so tief."

Keiner hat geschlafen, als Deine Arbeitslosigkeit und bald darauf Deine
Zahlungsschwierigkeiten bekannt wurden.
Nicht Dein Vermieter, der Dir sofort eine Kündigung schickte, auch der
Zahnarzt nicht, der die Zusatzkosten für Deinen Zahnersatz schließlich
per Zahlungsbefehl einforderte.

Nach und nach verlorst Du Dein letztes Hab und Gut.
Bei jedem Vorstellungsgespräch musstest Du Dir anhören, daß Du mit
fünfundvierzig zu alt für diesen Job bist.
Nach dem Arbeitslosengeld folgte die Arbeitslosenhilfe, danach blieb
Dir nur noch der Gang zum Sozialamt übrig.
Da hast Du schließlich resigniert.

"Da hört man Glockengeläute, da hört man Jammer und Not,
da liegen zwei Königskinder, die sind alle beide Tod."

Nein, wie beide leben noch, jeder in seiner Welt.
Aber unsere Liebe ist gestorben an den Wirren der sozialen Konflikte
und daran, daß Du nicht ertragen konntest, in meiner Welt als Versager
zu gelten.

Für uns läuten keine Glocken und niemand weint um uns,
denn wir sind nunmal keine Königskinder.

Nur mir fliest manchmal eine Träne, wenn ich daran denke.
wo Du wohl bist und was Du tust.


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Kommentare zu diesem Text

orsoy (44)
(15.04.05)
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 DariusTech meinte dazu am 16.04.05:
Kann dem nur zustimmen, durch die Verbindung zwischen altbekanntem Text mit der relativen Gegenwart wird das Lied zu einer Parabel. Von mir ebenfalls liebe Grüße, Darius

 rela antwortete darauf am 16.04.05:
Danke lieber Darius, freue mich, daß Dir mein Text gefällt. Gerade dieser liegt mir
ganz besonders am Herzen. Liebe Grüße zurück, Rela

 Mondsichel (16.04.05)
Sehr tragisch... diese Gesellschaft übersieht viel zu oft, das die sozialen Probleme nicht weniger werden mit dem was sie beschließt... manchmal wünschte ich das einer dieser reichen Großkotze da oben für ein Jahr lang mal das Leben eines Menschen in der Unterschicht lebt. Vielleicht würden sie dann nicht mehr so viel von Kürzungen und Erhöhung ihrer Diäten sprechen... diese Willkür bringt mich zum schreien... (Sorry, mich bewegt dieses Thema sehr, da ich selbst mit meiner Familie am Existenzminimum lebe dank der tollen Politik)

 rela schrieb daraufhin am 16.04.05:
Freue mich, daß die Botschaft die ich in diesen Zeilen schrieb verstanden wurde
und ich nicht alleine bin mit meiner Wut gegen die sogenannte anständige und bessere Gesellschaft die oft so ungerecht Menschen durch das soziale Netz fallen lässt um
dann noch rücksichtslos auf Ihnen Seelen herumzutrampeln.
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