Die Beerdigung II

Anekdote zum Thema Ironie

von  Bellis

Von der letzten Reihe aus hatten wir einen schönen Überblick über den geschmückten Altarraum. Ich sage immer Altar, obwohl die Trauerhalle keine (oder kaum) christliche Symbole beinhaltete, lediglich ein schlichtes Kreuz stand hinter der Urne. Aber man hatte um das Podest der Urne herum so viele Kerzen in schweren goldenen Lüstern, Topfpflanzen, Gebinde, Tücher, noch mehr Kerzen arrangiert, dass wirklich der Eindruck eines Altars entstand. Sehr hübsch. Sehr feierlich. Wirklich.
Nachdem einige verspätete letzte Gäste Platz genommen hatten, versank die Trauergemeinde ungefähr eine Minute lang in Schweigen. Man hätte jedes Bauchgrummeln hören können, aber nichts unterbrach die andächtige Stille.

Dann kam der Trauerredner in die Halle, verneigte sich vor der Urne und trat zum Podium. Seine Rede war detailliert, aber nicht abschweifend. Er bediente die erwarteten Klischees („Wir haben uns hier zusammengefunden, um Abschied zu nehmen...“), platzierte an den richtigen Stellen sowohl altmodische Redewendungen als auch modernere Ausdrücke. Und er hielt sich mit klagendem Pathos zurück. Ich empfand die Rede als angemessen und angenehm.
Das Lied der „Letzten Rose“ aus der Oper „Martha“, was Thomas dann sang (Letzte Rose, wie magst du / so einsam hier blühen? / deine freundlichen Schwestern / sind längst schon dahin. / Keine Blüte haucht Balsam / Mit labendem Duft / Keine Blätter mehr flattern / in stürmischer Luft  ... Warum blühst du so traurig / im Garten allein? / sollst im Tod mit den Schwestern / vereinigt sein / drum pflück ich, o Rose / vom Stamme dich ab / sollst ruhen mir am Herzen / und mit mir im Grab...), war mir zu schwülstig und zu hart, wenn man bedenkt, dass die Geschwister und Freundinnen der Verstorbenen mit im Raum saßen, und ich denke, ihr selbst hätte es auch nicht gefallen.

Danach jedoch... Danach verlas der Trauerredner einen letzten Gruß der beiden Kinder, meinem Schwager und seiner Schwester, offenbar selbst verfasst. Leider hatten sie sich nicht darauf beschränkt, ein paar anrührende Worte in Briefform aufzuschreiben. Nein, sie hatten unbedingt, um die Feierlichkeit zu unterstreichen, reimen müssen.
Die meisten wissen, wie schwer es ist, beim Reimen Versmaß und Rhythmus einzuhalten, ohne dabei Sätze zu verdrehen, so dass es künstlich klingt. Leider gelang ihnen das nicht... Die Reime holperten wie in einer Hochzeitszeitung, jegliche feierliche Würde aus der Rede ging damit verloren. Es war peinlich.
Und dann kam auch noch die Stelle: „Denken wir an dich in der Nacht / so sind wir um den Schlaf gebracht / wir können nicht die Augen  schließen / und unsre heißen Tränen fließen...“ Herr Heine hätte sich im Grab gewälzt, wenn er auf dem kleinstädtischen Friedhof läge! Ich weiß nicht, ob es so gemeint war, wenn man uns in der Schule predigte, dass wir für das Leben lernen.

Nach der Rede wurde noch das klassische Ave Maria (ich liebe es!) gesungen, dann nahm Sänger Thomas die Urne auf und schritt gemessen vor den Leidtragenden und der Trauergemeinde her hinaus zum Grab.

Vor dem Grab hatte sich wieder eine Schlange gebildet, und meine Eltern warteten wieder, dass sie die letzten sein konnten. Es schien wirklich eine neue Marotte von ihnen zu sein, demonstrativ alle anderen vorzulassen. Mir war es recht, ich konnte so wieder beobachten, was die Leute vor mir taten.
Als mein Vater dran war, warf er ein paar Krümel gesiebter Komposterde in das Grab, das vor lauter Blumen gar nicht mehr zu sehen war – und dann salutierte er! Echt! Gut, er legte nicht die Finger an die Schläfe, aber er drückte die Knie durch, presste die Hacken zusammen und verneigte sich steif vor dem Urnengrab! Boah! Ich war richtig erschrocken, so manieriert fand ich das! Ich krümelte schnell meine Erde in die Blumen, umarmte die leidenden Frauen, schüttelte Männerhände und stellte mich erleichtert aufschluchzend an die Seite.

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