Schwarzfahrerin wider Willen

Kurzgeschichte zum Thema Abenteuer

von  Martina




Ich war eine gute Schriftstellerin. Warum bemerkte es nur keiner? Wieder saß ich seit Monaten ohne Job da. Zu mehr als zu einer Kurzgeschichte in einem Frauenmagazin hat es die letzten Wochen nicht gereicht. Das Geld auf meinem Konto nahm ebenso ab wie die Hoffnung, endlich eine Chance in meinem Beruf zu bekommen.
Das Pech schien mir direkt auf der Spur zu sein, denn ich sah den Schaffner schon von weitem. Ordnungsgemäß überprüfte er die Fahrkarten. Noch zwei Waggons trennten mich von ihm. Ich war berührt davon, wie er den Menschen nett zulächelte, während er ihre Karten prüfte. Augenblicklich kam mir das letzte peinliche Zusammentreffen mit ihm in den Sinn:
Damals saß ich versunken mit meinem Block im Abteil der 1. Klasse. Wenn ich schon schwarzfahre und das Risiko des Erwischtwerdens auf mich nehme, dann auch bitte schön mit Stil. Gerade schrieb ich an einer tollen Liebesgeschichte und näherte mich dem Finale, als mich eine nette Stimme aus meinen tiefsten Gedanken riss: „Guten Tag, darf ich bitte ihre Fahrkarte sehn?“.
Oh Gott, der Schaffner! Wo ist das nächste Mauseloch? Warum hab ich auch nicht besser aufgepasst? Mist - wie komme ich da jetzt halbwegs wieder raus, ohne mein Gesicht zu verlieren?
Ha, das war die Lösung! Ich hatte die Karte verloren. Natürlich machte ich erst mal ein bisschen auf  Show. Es sollte ja schließlich völlig authentisch wirken. Also setzte ich zuerst mein schönstes Lächeln auf, das langsam in ein gequältes überging, als ich das gewünschte Objekt nicht fand. „Ich bedaure das sehr, junge Dame, aber ich muss das leider melden. Geben sie mir bitte ihren Ausweis.“ Ich beteuerte dem langsam peinlich berührten Schaffner meine Unschuld und schaffte es, auch so auszusehen, als würde ich gleich vor Verzweiflung in Tränen ausbrechen. Irgendwie muss er dann doch Mitleid mit mir bekommen haben, denn er ließ mich unter der Voraussetzung, an der nächsten Haltestelle auszusteigen, laufen. Puh, dieses mal ist es noch mal gut gegangen. Es tat mir ja selbst leid, mich mit Lügen über Wasser halten zu müssen, aber Not macht erfinderisch. Auf seine Art
war er ja total süß. Er hatte die schönsten Augen. Schade dass sich unsere Wege trennten.
Doch jetzt, 3 Tage später, sitze ich wieder in der gleichen Misere. Ich liebte es eben, hier im Zug zu sitzen. Hier kamen mir die besten Ideen zum Schreiben. Das Abteil war gemütlich und farblich sehr harmonisch abgestimmt - schöner als mein karges Zimmer in Hamburg. Dort herrschte Stadtleben. Ich brauchte Ruhe zum Schreiben, die ich genau hier fand. Die immer wechselnde Aussicht aus den Fenstern, das bunte Treiben der Leute - hier gab es Motive für jede Kulisse. Das war Nahrung für meine Phantasie.
Wenn nur das Problem mit den Fahrkarten nicht wäre. Ich hatte einfach nicht das Geld dafür. Der Schaffner kam näher. Mit Entsetzen stelle ich fest, dass es auch noch der gleiche süße Typ vom letzten Mal war. Dem konnte ich ja nicht noch einmal mit der: ‚Ich hab die Karte verloren‘- Nummer kommen. Da musste auf die Schnelle etwas Neues her. Er betrat mein Abteil. Mein Herz klopfte bis zum Hals, was aber mehr an ihm als an der Situation selbst lag. „Die Fahrkarten bitte“. Da war sie wieder, die sympathische Stimme des Schaffners. Ich drehte den Kopf so zur Seite, dass mir mein Haar ins Gesicht fiel, und es ihm nicht möglich war, mich zu erkennen. Elegant bückte ich mich zu meiner Tasche herunter, um die Karte zu suchen. Dabei entglitt mir ein lautes Stöhnen: „Ahhhhhhhhh.... ich hab mir den Nerv eingeklemmt, ich komm nicht mehr hoch! Bitte, holen sie schnell einen Arzt!“. Mit schmerzverzerrtem Gesicht verharrte ich in dieser Stellung. Es muss echt gewirkt haben, denn der Schaffner machte sich sichtlich verstört und mit hilflosem Gesichtsausdruck direkt auf dem Weg, um Hilfe zu holen. Ich unterdessen war auf der Stelle geheilt und hatte Glück, dass der Zug gerade in einen Bahnhof einlief. So entkam ich ihm ein zweites mal. Von da an begann meine Glückssträhne. Ich fand einen guten Job. Von meinem ersten Scheck kaufte ich mir ein Jahresticket bei der Bahn. Nun sitze ich hier, erster Klasse, und warte auf den netten Schaffner.
Es dauert nicht lange, und er steht vor mir. In dem Moment wo er mich erkennt, verdunkelt sich sein Gesicht. „Diesmal entwischen sie mir nicht“, zischte er wütend. „Die Karten bitte, und keine falschen Ausreden“. Reumütig schau ich ihm in die Augen und reiche ihm die Karte. Sein Gesichtsausdruck wird milder. Ich reiße mich zusammen und lade ihn zur Versöhnung in ein gutes Restaurant ein. Dort würde ich ihm dann alles erklären. Er nimmt meine Einladung an. Nach dem Essen werde ich ein echtes Schauspiel abgeben: frisch verliebt. Einmal muss er noch reinfallen, aller guten Dinge sind ja bekanntlich drei. Doch diesmal für ein Glück zu zweit.

Möchtest Du einen Kommentar abgeben?
Diesen Text kommentieren

Kommentare zu diesem Text

SweetAngel (28)
(31.07.05)
Dieser Kommentar ist nur für eingeloggte Benutzer lesbar.

 Martina meinte dazu am 06.08.05:
Oh Danke sweet ) Freuuuuu
ub136 (41)
(31.08.05)
Dieser Kommentar ist nur für eingeloggte Benutzer lesbar.

 Martina antwortete darauf am 31.08.05:
Ohh Danke....aus deiner Feder bedeutet es mir schon was Lg Tina

 Ultano (30.05.14)
Wirklich herrlich aus dem Leben gegriffen. Und eine rührende Wendung hat das Ganze auch genommen. Ich habe tatsächlich geschmunzelt beim Lesen.
Hat mir gut gefalen..

 Martina schrieb daraufhin am 01.06.14:
Na, das hat mich jetzt gefreut =) Danke!
Möchtest Du einen Kommentar abgeben?
Diesen Text kommentieren
Zur Zeit online:
keinVerlag.de auf Facebook keinVerlag.de auf Twitter keinVerlag.de auf Instagram