Feechen VI

Erzählung zum Thema Tiere

von  tastifix

Die ersten drei Tage mit meinem neuen Rudel waren einfach toll. Meine Familie war spitze, fand ich. Vor allem mein Frauchen. Mit meinen menschlichen Ersatzschwestern verstand ich mich prima. Mato, Quinny und ich waren zu einem lustigen Kleeblatt geworden. Ich schwebte auf Wolken.

Doch am vierten Tag wurde ich recht unsanft aus diesem Glückstaumel heraus gerissen. Eigentlich war es auch ein bisschen meine eigene Schuld, dass alles so kam, wie es dann kam. Wir vierbeinige Rasselbande tobten übermütig durch den schönen Garten, spielten Fangen und Wettrennen um Hoppels Weidenkätzchen und drehten dabei Runde um Runde um dieses gar nicht mehr so ganz winzige Bäumchen. Das hatte Hoppel da vor elf Jahren gepflanzt. Es war eigentlich gar kein Bäumchen mehr, sondern ein mächtig hoher Baum.

Wir flitzten wie die Verrückten herum. Ich legte ein dolles Tempo vor. Natürlich wollte ich  meinen beiden neuen Freunden beweisen wollte, wie tüchtig ich schon wäre.
„Wuff! Na, Kleines, kannste noch?“, bellte mir Mato nach einiger Zeit entgegen.
Um nichts in der Welt hätte ich zugegeben, dass ich inzwischen nur noch aus dem letzten Loch pfiff (keuch!), die lang andauernde Rennerei einfach noch viel zu anstrengend für meine kurzen Babybeine war.
„Glaubt bloß nicht, ich mache schlapp!“, quietschte ich zurück und versuchte wie zum Beweis doch tatsächlich noch einen Zahn zuzulegen.
„Die ist klasse, nich Quinny?“, wandte sich Mato an seinen kleinen Freund.
Der aber wedelte nur hastig einmal kurz Zustimmung. Mehr dazu zu sagen, blieb ihm keine Zeit. Er war gerade eifrigst darum bemüht, eine neue persönliche Bestzeit aufzustellen.

„Wiff, Frauchen, bitte, bitte...ruf` uns rein! Ich bin erledigt“ , fflehte ich insgeheim. Im selben Moment kam schon das ersehnte Kommando:
„Mato, Quinny, Feechen...reinkommen!“

Ob Frauchen hellhören konnte?? „Wau, das war aber auch höchste Eisenbahn!“, fiepste ich ganz leise.
Bloß nicht, dass meine beiden Kameraden das etwa mitkriegten. Erleichtert trippelte ich hinter den Anderen her in die Küche.
Dann aber fühlte ich mich plötzlich total groggy und schnappte verzweifelt nach Luft. Kraftlos plumpste ich auf meinen Bauch. Wie schön, dass die Fliesen unter mir so kühl waren. Aber retten konnte mich das auch nicht mehr vor dem, was dann folgte.

Von einer Sekunde zur nächsten überfiel mich bleierne Müdigkeit. Ich fühlte mich unheimlich schlapp, rührte mich kein bisschen mehr und brachte es nicht einmal mehr, auf Frauchens Streicheleinheiten zu reagieren. Alles verschwamm vor meinen Augen. Frauchen erschrak:
„Was ist denn mit dir los?“
Sie beugte sich über mich:
„Mein Gott, deine Augen sind ja ganz weiß!“
Ach, hätte ich ihr nur zuwinseln können, wie elend mir war. Doch selbst dafür ging es mir zu dreckig.

Alles Weitere kriegte ich nur wie durch einen Nebelschleier mit. Wie mein Näschen mir verriet, machte sich Frauchen große Sorgen um mich.
„Mein Gott, hoffentlich warst du nicht schon krank, als sie dich mir verkauft haben!“, schimpfte sie nervös.
„Wie gut, dass ihre Bekannte heute da ist!“, dachte ich.
Die stand als seelische Stütze neben ihr, als sie sich dann telefonisch bei meiner Ziehmama erkundigte, wie es meinen Geschwistern ginge. Angeblich waren die alle gesund und topfit.

Doch ich, ich lag weiter da wie halbtot. Da das sich auch nicht änderte, fuhr Frauchen mit mir zur Tierklinik, wo sie Frau Dr.D. alles genau schilderte. Die Ärztin beobachtete mich eine kurze Weile. Aber ich muckste mich immer noch nicht.
„Feechen sollte besser diese Nacht zur Untersuchung und Beobachtung hier bleiben. Soo kann ich gar nichts dazu sagen, was ihr fehlen könnte.“

Wie? Ich sollte in dieser doofen Klinik allein zurück bleiben und Frauchen führe ohne mich wieder weg? Oh nein, das durfte doch nicht wahr sein! Das würde sie doch bestimmt nicht tun. Dazu hatte sie mich doch viel zu lieb.
„Frauchen, bitte, lass mich nicht hier zurück. Ich hab` solche Angst ohne dich. Wer weiß, was die mit mir anstellen...!!?“ Vor Verzweiflung brachte ich trotz meiner Schwäche sogar ein hilfloses kleines Wimmern zustande.

Ob Frauchen das wenigstens mitgekriegte? Vielleicht hatte sie es ja doch tatsächlich gehört, aber manchmal sind selbst die liebsten Zweibeiner komisch. Anstatt ihren Gefühlen zu folgen, handeln die dann nach ihrem sogenannten Verstand. Falls Frauchen  mein Winseln richtig gedeutet hatte, überhörte sie es da tunlichst. Ich kapierte das nicht, wollte es einfach nicht kapieren. Hatte sie mich denn überhaupt nicht lieb? Hatte ich mich so getäuscht?

Aber was war das denn?
„Machen sie sich keine zu großen Sorgen. Ich kümmere mich persönlich um Feechen und werde öfter nach ihr sehen!“ Wenn aber Frau Dr.D. so mit Frauchen sprach, hieß das, dass Frauchen wohl sehr traurig aussah, vielleicht sogar eine Träne meinetwegen verdrückte. Ach, Frauchen...! Dieser Gedanke tröstete mich ein wenig. Ich würde zwar bei dieser Ärztin bleiben, aber mein geliebtes Leittier hatte natüürlich(!) nie mit dem Gedanken gespielt, mich etwa im Stich zu lassen! Wenn ich ihr doch ein kleines bisschen hätte zeigen können, wie erleichtert, ja stolz ich deswegen war. Doch mir blieb nur das warme Gefühl in meinem kleinen Babyherzen.

Frau Dr. D. sprach ganz lange ganz lieb mit Frauchen, erklärte ihr, was alles mit mir gemacht werden sollte. So nett, wie die zu Frauchen war, entschloss ich mich, trotz meiner Angst möglichst tapfer zu sein, ganz gleich, was auf mich zukäme. Hm, leicht würde das allerdings nicht, denn mittlerweile zitterte ich wie Espenlaub vor lauter Panik.

Die Ärztin rief zwei junge Mädchen, die mich dann vorsichtig hoch nahmen und die Treppe hinunter in den Keller trugen. Oh Gott, nein bitte nicht: Da standen doch tatsächlich Käfige an der Wand. Ganz kleine, etwas größere und auch ein paar ganz große. Ob die dann für Elefanten gedacht waren? Das konnte ich mir eigentlich nicht so recht vorstellen. Wie sollten die denn bitteschön die schmale Stiege hinunter gelangen? So kräftig waren die beiden Helferinnen doch auch nicht. Oder machte das dann der Direktor der Klinik? Den hatte ich auch kurz kennen gelernt. Ein Zweibeiner fast wie ein Baum, so groß.

Beruhigt stellte ich fest, dass Frauchen immer noch da war. Eigentlich wollte ich sie und vor allem mich selbst nicht blamieren und die Mitpatienten in den Käfigen wenigstens leise begrüßen, wie es sich gehört hätte. Doch erstens waren die alle mit ihrer eigenen Angst und ihren Schmerzen viel zu sehr beschäftigt, zweitens war ich viel zu erledigt und drittens konnte ich angstschlotterndes Etwas mittlerweile meine Gedanken schon gar nicht mehr richtig ordnen. Also ließ ich gute Erziehung gute Erziehung sein und hielt geknickt einfach die Schnute.(Blaublütige Prinzessinnen wie ich haben keine Schnauze!).

Ermattet schloss ich die Augen.
„Haben Sie eine weiche Decke für Feechen? Ich möchte nicht, dass sie auf dem nackten Käfigboden liegt!“, hörte ich Frauchen zu einem der Mädchen sagen.
Die waren hier ja wirklich lieb. Ich hörte ein Klappern wie von einer Schranktüre. Da kam sie auch schon zurück und brachte eine kleine Hundedecke mit. Dann öffnete sie einen der großen Käfige, legte die Decke sorgfältig glatt gestrichen auf den Boden. Dann wurde ich ganz vorsichtig dadrauf gelegt. Fast hätte ich mich gefreut, so kuschelig war diese Unterlage. Aber auch zum Freuen langte es bei mir jetzt nicht mehr.

Ich spürte Frauchens Blick auf mich gerichtet, da so hinter dem Käfiggitter. In diesem Moment wusste ich, der war genauso zum Heulen zumute wie mir. Ich unterdrückte ein hoch steigendes Wimmern, um ihr den Abschied nicht noch schwerer zu machen. Aber das war ja gottlob auch noch Frau Dr. D., die mit beruhigenden Worten auf sie einsprach.

Ja, und dann kam der schreckliche Augenblick, dass sie ging. Mein Inneres schrie lautlos nach ihr. Doch es blieb dabei. Ohne sich nochmals nach mir umzusehen, verschwand Frauchen. Die Kellertüre schloss sich hinter ihnen. Es war totenstill. Ich war endgültig allein.

Was dann noch geschah, hat Frauchen mir dann später, als alles längst vorbei war, während einer Schmuseminute erzählt. Die Leute in der Klinik haben mich wohl von Kopf bis Pfote untersucht. Nichts. Ich war kerngesund. Es blieb ein Rätsel, was mit mir los war.

Früh am nächsten Morgen klingelte bei Frauchen das Telefon:
„ Hallo, Frau Schumacher, sie können ganz unbesorgt sein. Ihrem Feechen geht es prima. Sie war ganz brav und wir haben schon einen schönen Spaziergang gemacht. Sie können sie gleich abholen, wenn sie Zeit haben.“
Frauchen fiel ja fast der Hörer aus der Hand, so freute sie sich.
„Wissen Sie", gab sie zur Antwort, „ich habe auch gegrübelt, was eigentlich los ist. Könnte es sein, dass Feechen sich im Spiel einfach nur völlig verausgabt hat? Schließlich fordern Mato und Quinny sie ja sehr.“

Frauchen ließ alles stehen und liegen. Meine Ersatzgeschwister fragten besorgt:
„Mama, was ist denn nun mit Feechen?“
„Nichts!“, entgegente Frauchen strahlend. „Der kleine Fratz hat wahrscheinlich nur viel zu lange getobt. Ich fahr jetzt hin und hole sie ab!“

Es dauerte gar nicht so lange, bis Frauchen in der Praxis erschien. Sie war kurz vorm Heulen, so froh war sie. Allerdings schluckte sie tunlichst ihre Tränen runter, denn da saßen Menschen, die echt ernsten Kummer mit ihren Vierbeinern hatten.

Sie setzte sich also ins Wartezimmer. Es vergingen nur Minuten, aber ihr erschienen sie wie Stunden. Dann endlich war es soweit. Die Tür des Wartezimemrs öffnete sich. Herein kam Frau Dr.D. mit mir an der Leine:
„Guck`doch ´mal, Feechen, wer da ist....?!“
Im ersten Moment schnallte ich es ja noch nicht. Verlegen gab ich ein kleines „Wiff“ von mir, um der Höflichkeit genüge zu tun und wenigstens geantwortet zu haben.

Neugierig schnupperte ich. Es roch nach Vogel, Katze(knurr!!) und anderen Hunden, die mich fragend ansahen. Da fand ich meine Sprache wieder und bellte ihnen ein fröhliches „Wau“ entgegen. Das sollte heißen:
„Keine Angst, die sind hier alle furchtbar nett. Und wenn ihr Schmerzen habt, werdet ihr gestreichelt und getröstet.“
Ich bildete mir ein, nur, weil ich, das kleine Hundebaby, so etwas Kluges gesagt hatte, lägen sie direkt viel ruhiger da. Sogar auch der kleine Rauhhaardackel in der linken Ecke, der sich noch vor einer Sekunde unter dem Stuhl seines Besitzers fast halbtot gezittert hatte. Ich war sehr stolz auf mich.

Aber so ganz ohne triftigen Grund hatte mich doch Frau Dr.D. nicht hier hin gebracht. Ein zweites Mal unterzog ich den Raum einer Schnupperprüfung. Und dann fiel bei mir der Groschen. Ein ganz doll wichtiger Groschen war es, der da plumpste. Und dann plumpste noch etwas, nämlich ein riesiger Felsbrocken mir von der Seele.

„Frauchen!!“, war mein einziger Gedanke und noch einmal:
„Mein Frauchen holt mich nach Hause. Wuwuwuuh!“
Dies lang gezogene Heulen musst da einfach sein. Das konnte ich nicht unterdrücken. Wie verrückt schmiss ich mich in die Leine, auf Frauchen zu. Frau Dr. D. lachte und war ganz gerührt:

„Mein Gott, Feechen kennt sie ja schon!“
„Na klar, wau,!“, war mein jubelnder Kommentar dazu.„Wäre doch gelacht, wenn ich mein Frauchen nicht erkennen würde!“
Wie ein Propeller sauste mein Schwänzchen durch die Luft vor Freude. Mein ganzer kleiner Körper krümmte sich zu einer einzigen großen Liebeserklärung, der ich mit einer blitzschnellen Vollwäsche mit der Zunge durch Frauchens Gesicht das I-Tüpfelchen aufsetzte.

„Feechen, dass ich dich wiederhabe!“, flüsterte mir Frauchen ins Ohr.
Ich flüsterte per leisem Jaulen zurück: „Mich wirst du auch nicht so schnell wieder los!“
Ich glaube fast, wir beide strahlten nur so um die Wette. Frauchen verabschiedete sich herzlich von meiner Ärztin und wir zogen gen Heimat.

Bester Laune zuhause angekommen, empfingen mich vier glückliche Ersatzschwestern und meine beiden garantiert ebenso frohe vierbeinigen Freunde Mato und Quinny. Jetzt waren sie es, die sich die Erleichterung von der Seele bellten. Wir machten alle eine ordentlichen Lärm. Als wir uns dann endlich beruhigt hatten, meinte Frauchen zu mir:
„So, Kleines! Von nun an achte ich darauf, dass du noch nicht zu wild tobst!“ 

Eigentlich fand ich das wieder ein bisschen doof. Aber sie hatte ja recht.


Anmerkung von tastifix:

Mein Tier erzählt aus seinem Leben

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Kommentare zu diesem Text


 Sonnenaufgang (31.07.05)
liebe gaby, eine ganz tolle, originelle geschichte aus der sicht von feechen ist dir da gelungen. hab mich köstlich amüsiert. liebe grüße von feli

 tastifix meinte dazu am 31.07.05:
Hallo Feli!

Ich freue mich riesig über Dein Lob. Tja, es werden noch viele Kapitel folgen. (Feechen war ´ne Plapperschnute. Sie war ja schließlich auch "nur" eine Frau!)
Übrigens sieh`´mal Deine emails nach!

einen ganz lieben Gruss an dich
Gaby
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