September 1991

Erzählung zum Thema Aufbruch

von  Prinky

Das Bild, das sich jetzt vor ihr auftat, war erfüllt durch einen bärtigen Typen, der aus irgendeinem Grund fast das ganze Spektrum ihrer Augen-blicke bedeckte.
Carla wußte warum. Ihr damaliger Chemie - Lehrer war nicht nur ein x - beliebiger Lehrer. Er war ihr erster richtiger Traummann. Sie hatte sich unfassbar verliebt.
Er war zwar älter als sie, fast dreißig Jahre, aber was kann man schon ausrichten, wenn einen Amors Pfeil trifft? Es war aber eher ein langsamer Aufbau von Gefühlen, nun ja, zumindest bei ihr. Wenn man wie sie fast jeden Tag seinem absoluten Schmachtbraten gegenübersitzen kann, dann ist es nicht allzuleicht dem Wahn der Liebe zu entkommen. Seine Augen hatten eine solche Macht auf sie, daß sie manchmal nicht anders konnte als ihn gedankenvoll anzustarren, so schlimm, daß er sie manchmal wieder in die Realität rufen musste, und das wurde ihr von mal zu mal peinlicher.
Anfangs war er nur der süße Lehrer mit dem knackigsten Po ihrer kleinen Welt, später der Mann ihrer sogenannten Träume. Sie merkte, daß ihre Liebe nicht auf fruchtbaren Boden fiel, und war im Laufe der Zeit so wütend, daß sie ihn wegen Vergewaltigung anzeigte.
Es war falsch, das wußte sie!! Aber ihre Wut und ihr Hass waren einfach zu stark. Sie bemerkte das entsetzte Gesicht "ihres" Lehrers, als man ihm mitteillte ihn von der Schule zu weisen. Ein Beamter hat nicht allzuviel zu erwarten, aber nach der Suspendierung war es weniger als wenig.
Sie hat ihn danach nie mehr wiedergesehen, und im Laufe der Zeit hatte sie ihr mieses Verhalten vergessen. Zumindest dachte sie das. Und nun, nach all diesen Jahren, verspürte sie weniger Schmerz als unendliche Scham. Doch die Zeit war verstrichen, und sie konnte nichts mehr zum Guten bewenden.
Vielmehr sah sie sich als Biest, doch unendlich bewogen nie mehr eines zu sein. Keinen Hauch, nichts!

Januar 2005:

In ihr stieg ein übeler Gedanke hoch. Was wäre, wenn ER jetzt hier vorbeikäme, den Unfall bemerkte und sie retten würde?
Oh, es schien, als wäre ihr das Sterben noch nie so leicht gefallen wie jetzt.
Der Schmerz versank allmählich in einer gefährlichen Müdigkeit. Ihre Augen waren eigentlich schon länger im rückwärtigen Blick versunken. Nur selten noch vernahm sie ein wenig der unschönen Gegenwärtigkeit.

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