Die Birke an der Gartenmauer

Kurzgeschichte zum Thema Liebe und Hoffnung

von  Perry

Früher, da war sie schneeweiß mit rotbraunen Ziegeln darauf. Damals, als noch fröhliches Lachen hinter ihr erklang und der Rasen wöchentlich gemäht wurde. Jetzt wuchern die Äste der Sträucher über ihren First und verdecken gnädig die Risse und Schürfwunden in ihrem Putz. Aus den Fugen am Boden wachsen Disteln und sogar eine Birke hat in einem Spalt gewurzelt. Sie streckt ihre feinen Äste den Vorbeigehenden freundlich zu, so als wollte sie sagen: Bleibt doch stehen und kommt auf ein Schwätzchen herein. Doch die Rollläden in dem großen Haus hinter der Mauer sind heruntergelassen und die Passanten nur Fremde.

An einem Augusttag jedoch, da fuhr ein Auto auf den Platz vor der Doppelgarage. Es war ein ungewöhnliches Fahrzeug, es sah aus wie ein alter Mafiawagen, anderseits verliehen ihm der chromglänzende Kühlergrill und die breiten Reifen auf den Aluminiumfelgen den Flair eines noblen Sportwagens. Der Mann hinterm Steuer war um die Fünfzig, trug einen Dreitagebart und passte mit seiner Jeans und der Lederjacke gut zu dem Auto. Er schien sich auszukennen, denn mit einem kräftigen Tritt gegen das klemmende Gartentor verschaffte er sich schnell Zutritt zu dem Grundstück und verschwand im Haus. Es dauerte nicht lange, dann wurden die Rollos hochgezogen und die Fenster geöffnet. Bald drang auch Musik aus dem Terrassenzimmer, es war Satisfaction von den Rolling Stones und es schien, als würden sich die Kieselsteine im längst nicht mehr funktionierenden Bachlauf hinter der Mauer im Rhythmus der Beats mitbewegen.

Schon am nächsten Tag surrte der Rasenmäher geschäftig durchs fußhohe Gras und eine große Heckenschere stutzte die Sträucher. Mit einigen Spritzern Öl brachten sich die Scharniere des Gartentors wieder in Schwung, nur die Mauer stand, nun jeden Schutzes entblößt, traurig herum. Da näherten sich feste Schritte und ein Mörteleimer knallte auf den Gehsteig. Eine Spachtel kratzte die lockeren Putzreste von den Steinen und verschloss anschließend mit gekonnten Streichbewegungen die klaffenden Wunden mit frischem Putz. Nun war die Augustsonne am Werk und trocknete schnell den frischen Wandbelag, sodass noch bevor sich der Abend neigte, ein fleißiger Lammfellroller strahlendes Weiß auf der Mauer verteilten konnte.

Die kleine Birke durfte übrigens ihren Platz behalten und bekam sogar einen Strick, mit dem sie an einem der Dachziegel festgebunden wurde. Als am nächsten Morgen ein rotes Cabrio vorfuhr und eine adrette Mittvierzigerin ausstieg, da wedelte der Mauerbaum heftig mit seinen Ästen und rief ihr ein fröhliches Willkommen zu. Die Frau trat näher und sah sich die Birke, die Mauer und den Garten lange an. Dann strich sie ihre Haare zurück und schritt gut gelaunt auf das Haus zu. Die Annonce in der Rubrik Partnervermittlung hatte nicht zuviel versprochen: Romantischer Jungfünfziger, naturverbunden sucht Gleichgesinnte, um mit ihr in seiner Sechziger Schallplattensammlung zu stöbern.

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