Verarbeitung – Rezept für Liebhaber

Protokoll zum Thema Loslassen

von  AndreasG

Zuerst Du, die Du mit Deinem penetranten Gestank über mein Leben strömst; den Atem vergiftest, aus jeder Pore dringst. Dich rupfe ich auseinander, auf dass Du ganz klein und weißhäutig vor mir liegst.
Deine äußeren Schutzschichten zerreißen mit Deinem Zusammenhalt, zeigen wie lose sie im Grunde sind. Sie platzen einfach ab.
Endlich werden Deine vielen kleinen Egos sichtbar. Vor mir aufreihen kann ich sie jetzt. Fast nackt liegen sie da. Papierhaut nur noch. Aber auch die letzte Hülle muss fallen, damit sie nicht nachher an der Zunge klebt.
Dafür trenne ich ab, was festwachsen und sich erneut vermehren könnte. Ein kurzer scharfer Schnitt reicht schon.
Dann die spitze Klinge zwischen Haut und aromagetränktes Fleisch gedrängt. Zugestoßen, kurz gedreht und schon löst es sich in Fetzen. Kein Häutchen darf bleiben, kein Rest sich verstecken.
Mit abgespülter Klinge köpfe ich auch den Keim, der noch immer mit Wachstum droht. Schneide dann in Scheiben, in Stifte, in Würfel.
Heiß wolltest Du es haben? Genügt Dir siedendes Öl?

Jetzt zu Dir, Fleisch. Abgehangen und zäh präsentierst Du Dich mir, zart und knusprig versuchst Du nur für Andere zu sein. Nie bekam ich mehr als ein kleines Stück von Dir.
Salzig, geradezu schweißig, riechst Du – und rauchig wie nach einem Kneipenbesuch. Schmierig fühlst Du Dich an. Wenn ich Dir Deine dicke Haut abschneide, zuckst Du nicht einmal, gibst mir nur nach, leistest höchstens knorpeligen Widerstand. Heraus damit, kein Knirschen zwischen den Zähnen soll mich später stören.
Klein werde ich Dich bekommen, denn auch auf Dich wartet das Öl. Lass‘ Dich also ruhig aus.

Und Du? – Schon wenn ich Dich ergreife, versuchst Du mich traurig zu stimmen. Während ich Dich entkleide, reizt Du mich mit Deiner Aura zu Tränen. Doch es hilft Dir nichts. Hast Du etwa geglaubt, ungeschoren davon zu kommen?
Abgeschnitten werden die unnützen Enden! – Keine Chance Dich zu vergraben oder zu erblühen.
Treibe es ruhig bunt. Du wirst Deinen Samen nicht bei mir lassen. Wehre Dich nur, versuche mir zu entgleiten, mich zum Weinen zu bringen. Heute bin ich der, der würfelt.
Gesell‘ Dich zu den anderen, die ich schon fertig habe. – Los! – Muss ich nachhelfen?

Als Nächstes Du.
Schwein oder Rindvieh? – Nein, Du bist kein Halb und Halb. Du bist eindeutig Schwein.
Seitdem ich Dich gehörig durch den Wolf gedreht habe, bist Du ruhig. Träge Masse nur noch, unförmig, bewegst Dich nicht mehr selbstständig, Andere machen das für Dich.
Aber denke nicht, dass es genug ist. Ich dringe in Dich ein und stoße so lange, bis Du zerbrichst. Klein sollst Du sein, bröckelig.

Anders Du. Werde ruhig rot. Dich schlitze ich trotzdem schnell auf, zerteile Dich grob, schabe Dich aus. Bis auf die Rippen schneide ich Dich frei, um Dich dann zu zerhacken.
Scharf willst Du sein? – Ich bevorzugte Dich immer süß oder herb. Scharf darfst Du bei Anderen sein.

Dir jedoch stoße ich die Klinge durch die eiserne Rüstung und drehe dann genüsslich, bis Dein Inneres vor mir liegt. Enthäutet, weich und schutzlos. Mehr Brei als Substanz und doch streue ich noch Salz auf Deine blutenden Wunden.
Es reicht mir auch nicht zu sehen, wie Du Blasen wirfst. Bis zum Mark will ich gehen und das Letzte ausquetschen. Und wenn Du immer noch nicht genug hast, sollst Du Senf schlucken und Pfeffer schmecken.

Fast zuletzt kommst Du dran, mein zartes junges Pflänzchen. Dich entblättere ich, aber nicht lieb und vorsichtig. Ich reiße Dir Alles von Deinem dürren Leib, zerfetze es in kleine Stückchen, genieße den Duft der Zerstörung. Du kommst zu den Anderen, egal wie weich und zerbrechlich Du wirken magst.

Doch den Schlusspunkt setzt Du! In meiner salzigen Flut habe ich Dich versenkt, um Dich zu erweichen. Viel Energie hat mich das gekostet.
Hast Du noch Biss, wenn ich Dich daraus befreie?
Wenn ja, dann schrecke ich Dich ab, bette Dich sanft auf glattes Weiß, übergieße Dich.

Parmesan dazu?

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Kommentare zu diesem Text


 Traumreisende (25.09.05)
wie du das fleischige mit großen buchstaben anredest, sollte zu denken geben...:-)
lg silvi

 Traumreisende meinte dazu am 25.09.05:
habe ich genial vergessen.... nachgeholt und zur küche geeilt, rohe gewalt dem gemüse...:-))

 AndreasG antwortete darauf am 26.09.05:
Hallo Silvi.
Beim Gemüse ist ein Gemetzel nicht verwerflich und gerade als Gedankenspiel auch druckabbauend. Und das Fleischige, das ich mit großen Buchstaben anrede? - Das sind die Y-Gene *rausred*.
Mal schauen, was ich noch so im Kühlschrank finde... Möhren? Denen könnte ich mit scharfer Klinge die Haut abschaben, auf dass sie ihren roten Saft auf dem Tisch verteilen. Hach.
Liebe Grüße, Andreas
daniela (39)
(25.09.05)
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 AndreasG schrieb daraufhin am 26.09.05:
Hallo Daniela.
Eigentlich wollte ich eine Parabel mit stark zynischen Zügen schreiben. Um das Essen oder die Zubereitung ging es mir nicht so. Wenn Du es aber heraus lesen möchtest, dann sei Dir das unbenommen (und das "tote Etwas in schöner Verpackung" gefällt mir als Aussage auch sehr. So ist es bei den Mahlzeiten allzu oft - und auch im übertragenen Sinne).
Die Anreden müssen leider so sein, denn sonst verliert der Text zu schnell die zweite Interpretationsebene. Es geht ja nicht nur um die Verarbeitung von liegengebliebenen Lebensmitteln, sondern auch um die Aufarbeitung von liegengebliebenen Menschen (die einem im Kopf herumgeistern). Also auch um "Loslassen", sich endlich frei machen, den Müll sortieren, kleinwürfeln und als Erfahrungsfundus begreifen. So etwas geht leider nicht sanft und zärtlich.
Ich hoffe, dass ich Dir nicht das Essen von Spaghetti Bolognese (oder Bologna) verdorben habe.
Liebe Grüße, Andreas
daniela (39) äußerte darauf am 26.09.05:
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 ViolaKunterbunt (25.09.05)
Das ist mal wieder ein Text zum Nachdenken.
Schwierig... schwierig. Mir scheint es doch so, dass Dein Protagonist grade Abschied nimmt von verschiedenen Menschen, die in seinem Leben eine Rolle gespielt haben. Vieles, was da den Lebensmitteln nachgesagt wird, ist doch (auch) sehr menschlich.
Sehr böse geschrieben, aber Guuuut. So ein richtig brutales Ablösen von den Menschen, die nicht gut tun.
Klasse! gefällt mir.
Liebe Grüße, Viola

 AndreasG ergänzte dazu am 26.09.05:
Ach Viola,
fiele mir doch das Ablösen von Menschen, die nicht gut für mich sind, so leicht wie das Kochen....
Vielleicht sollte ich mir zuerst einmal angewöhnen mit solchen Gedanken mit Lebensmitteln umzugehen. Ob es hilft, wenn ich den einen Umgang mit einer Leidenschaft dann auf die Nächste projiziere? - Aber was wird Brigitte sagen, wenn ich auf den Nachttisch ein Kräuterregal und saure Sahne stelle?
Liebe Grüße, Andreas

 Marla (25.09.05)
Das ist er? Hihi. "Das blutrünstige Kochrezept", sehr schon. Und Kartoffeln hättest du noch die Augen austechen können. Habe mich sehr amüsiert, so früh am morgen. Aber sag, gehts Brigitte gut? Ganz liebe Grüße, Marla

 BrigitteG meinte dazu am 25.09.05:
Ach Marla, wir haben genug Verbandsmittel im Haus *hektischherumsuch*

 Marla meinte dazu am 25.09.05:
Was sagst du immer bei häuslicher Gewalt? *Sorgen mach*

 AndreasG meinte dazu am 26.09.05:
Hallo Marla.
Kartoffeln? - Das hier ist kein Auflauf, sondern Spaghetti Bolognese!
Abgesehen davon geht es um das ganze alte Zeug, das im (emotionalen) Kühlschrank so herumliegt; - nicht um das Frische, das im Garten fleißig vor sich hin wächst. Auch darum brauchst Du Dir keine Sorgen um Brigitte machen, sie ist doch noch ein ganz junges Täubchen - oder ein starker Baum, der mir süße Frucht gibt (*schleimspuraufwisch*).
Liebe Grüße, Andreas

@Schnuff

Im Heizungsraum. Seit zehn Jahren! *aufhausapothekezeig*
DerSteinchenwerfer (44) meinte dazu am 26.09.05:
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 AndreasG meinte dazu am 27.09.05:
@Werfer
Denke an Deinen Nick-Namen !! - Du bist nicht der Gurkenwerfer.
Na ja, - Du hast ja Deine eigene Art Liegengebliebenes zuzubereiten...
Liebe Grüße, Andreas

 Marla meinte dazu am 28.09.05:
Ich bin schockiert. Von all dem. *kicher*
argot (30) meinte dazu am 30.09.05:
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 AndreasG meinte dazu am 04.10.05:
@argot :
*gequältezigarettereich* - Willst Du ihr noch Feuer machen?
Liebe Grüße,
Andreas
argot (30) meinte dazu am 04.10.05:
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 AndreasG meinte dazu am 04.10.05:
*gescheitertes aufschicht*
Sally (55)
(26.09.05)
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 AndreasG meinte dazu am 26.09.05:
Hallo Karin.
Und was mache ich jetzt mit vier Kochmützen? - *nachdenk*
Ich trage doch ganz selten Mützen - und dann gleich vier?
Liebe Grüße, Andreas
Sally (55) meinte dazu am 26.09.05:
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Immergrün (53)
(27.09.05)
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 AndreasG meinte dazu am 27.09.05:
Ich wusste doch, dass die Entscheidung Gemüseschlachter zu werden kein Verständnis finden würde...
schnibbelnde Grüße, Andreas
PraesidentDeath (24)
(28.09.05)
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 AndreasG meinte dazu am 30.09.05:
Hallo Stefan.

Schön, dass Dir mein Kochrezept so gut gefällt und gut auch, dass die Geschmäcker so verschieden sind (ansonsten könnte ich ja aufhören herumzuprobieren). Koch' es doch mal nach; - natürlich nur im Geiste oder mit Lebensmitteln. *g*

Liebe Grüße, Andreas

 Martina (30.09.05)
Der Text ist klasse geschrieben...aber der Hunger, muss ich ja auch zugeben, ist mir vergangen Griiins! Grüß dich mal lieb, Tina

 AndreasG meinte dazu am 30.09.05:
Hallo Martina.
Vielleicht sollte der/die zuletzt Angesprochen auch besser nicht bei der Zubereitung zuschauen. Es zählt doch nur das Ergebnis, die Mahlzeit, die dem Anderen vorgesetzt wird, oder?
Wie verarbeitet wird interessiert nicht, auch Hilfe beim Kochen ist ja möglich. Aber rohen Knoblauch mit rohen Zwiebeln auf blutigem Fleisch serviert... Wer kann das schon verdauen? Da laufen die Meisten doch davon!
Liebe Grüße, Andreas
ponchinello (58)
(30.09.05)
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 AndreasG meinte dazu am 04.10.05:
Hallo Ponchi.
Rhabarberkompott hört sich gut an. Werden die Stangen nicht auch geschält? *kicher*
Liebe Grüße, Andreas

 warmeseele01 (10.11.05)
Guten Morgen der Herr Sie haben aber eine interessante küche da entworfen, ich werde sorgsamer werden wenn ich
nur noch abgepacktes esse.
Um dem Schicksal meiner Küche zu entgehen.verneigend im Nachtwärmegruss tom
k

 AndreasG meinte dazu am 13.11.05:
Guten Tag Herr W. Seele,
Nur Abgepacktes zu essen ist vielleicht auch nicht die Lösung. Was hieße es denn für den zwischenmenschlichen Bereich? Was bei der Bewältigung von Altlasten? Gibt es nicht schon zu viel Eingeschweißtes?
Und das Schicksal der Küche ist nun einmal das Zubereiten und der Verzehr, oder? - Oje... wenn es nur noch Fastfood gäbe...
sich vor dem Nachtwärmegrüßer verbeugend (auf dass wir mit den Köpfen zusammenstoßen - Autsch),
Andreas
Pümpel (28)
(08.02.06)
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 AndreasG meinte dazu am 08.02.06:
Hallo Pümpel.
Es steht in der Entscheidung des Lesers, der Leserin, was die Person verarbeitet. Sind es vergangene Freundschaften? Liebesbeziehungen? Gefühlsbindungen? Kochzutaten? - Dadurch wird auch bedingt, womit gekämpft (?) wird, was verarbeitet gehört.
Und warum mehrere Personen, Zutaten? - Nun ... beschämt gebe ich zu, dass Brigitte weder der erste, noch der einzige Mensch in meinem Leben ist, an den ich mich mit viel Gefühl gebunden habe. Irgendwie ist dieses Gerücht von der Einzigen wohl zu spät zu mir durchgedrungen. *g*
Na ja. Ich muss halt verarbeiten, denn jeder, der mir jemals nah stand, hat eine Tackerspur hinterlassen (nicht weiter sagen, das geht niemanden etwas an). Kochen ist da eine gute Methode, um aus vielen Zutaten eine ordentliche Mahlzeit zu bekommen und aus teilweise schwer Genießbarem eine runde Sache zu machen. Nicht nur lernen ist wichtig, auch Lehren zu ziehen.
Liebe Grüße, Andreas
The_black_Death (31)
(17.10.06)
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 AndreasG meinte dazu am 18.04.07:
Hallo Stefan.
Da habe ich doch glatt Deinen Kommentar vergessen ... ts, ts, ts ... Verzeih.
Jedoch ... zum Kommentar gesprochen ... neige ich nicht zur Selbstversorgung in der Fleischernährung (jetzt hätte ich fast "fleischliche Genüsse" gesagt, was dannn doch sehr missverständlich geworden wäre ...). Schlachten kommt mir nicht ins Haus und selbst Spinnen werden gefangen und in den Garten getragen. Mücken hingegen ... na ja, das ist wohl Selbstverteidigung.

Liebe Grüße,
Andreas
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