Galgenvögel

Prosagedicht zum Thema Entwicklung(en)

von  Shagreen

Der Kitt ist von den Wänden gefressen,
die Fassaden stürzen ein, selbst
in den Rettungsbooten herrscht
Untergangsstimmung.
Die nette, zufriedene Grube war
eine Falle gewesen.

Nun, sie war es die ganze Zeit, aber
wir haben es doch verstanden uns
behaglich darin einzurichten,
hinzurichten in einem gewissen Maße.

Bis hierhin und nicht weiter, so
sagten wir. Kompromisse sind das A
und O einer funktionierenden Demokratie,
Freiheit heißt auch Einsicht in die
Notwendigkeit.

Aber, bitteschön, was sollen die
Einschnitte, die durch Mark und Bein gehen,
so fragten wir. Die Schmerzgrenze war
erreicht. Wir griffen zum Äußersten:

Wir meldeten Bedenken an.
Wir drohten mit dem Anwalt.
Wir protestierten.
Wir protestierten nachdrücklich.
Ausdrücklich.

Die Sache hatte einen Haken damals,
gewiß, aber wir haben eine Lampe daran
aufgehängt und ihr Licht überstrahlte alles,
selbst den Haken.

Jetzt will man uns aus den seidenen
Strümpfen einen Strick drehen, will
diesen ehrerbietig um den Hals und
vorschriftsmäßig um den Haken legen.
Das sei das neueste Prinzip,

erklärt man uns. Und wir sollten uns
alsdann auf jenen großen, gepolsterten
Stuhl stellen, der uns ehedem so
majestätisch, einem Throne gleich,
empfing, und komfortabel in sich aufnahm.

Und das alles nur, um ihn auf den Wink
eines strafbevollmächtigten
Sachbearbeiters zum gegebenen Zeitpunkt
unter den Füßen wegzutreten.

Sprachlosigkeit machte sich breit und als
wir die Stimme zum Einspruch erhoben, kam
nur ein Röcheln hervor.
Hingen wir denn schon?

Wir hielten inne. Warteten. Soll uns
doch ein anderer den Boden unter den Füßen
wegziehen. Wir nicht, niemals!

Dann kam uns die Decke entgegen.


Anmerkung von Shagreen:

Inspiriert durch H.M. Enzensberger

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Kommentare zu diesem Text

rainer-dieter (31)
(30.09.05)
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 Shagreen meinte dazu am 03.10.05:
Danke Dir, r-d, es war ein Versuch. Ich freue mich, daß Dich der Text angesprochen hat. Viele Grüße, Andreas
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