Stoffbär

Kurzgeschichte zum Thema Sterben

von  püttchen

Als ich es erfuhr, war ich sieben. Es war Winter, ein sehr harter Winter. Mutter sagte, die Zeiten wären rau und wir müssten zusehen wie wir zu Recht kämen. Meinen Vater kannte ich nicht.
Wir lebten am Rande einer kleinen Stadt. Ich hatte immer das Gefühl, das die Leute um uns herum uns nicht sonderlich mochten. Warum das so war, verstand ich damals noch nicht. Wir hatten ein kleines Haus mit gerade mal zwei Zimmern. Das eine war die Küche, in der wir auch schliefen. Das andere war unsere Stube die auch gleichzeitig als Arbeitszimmer herhalten musste. Meine Mutter nähte für die Leute Kleidung. Sie nahm selten Geld für ihre arbeit, sie ließ sich lieber mit Eiern, Käse oder auch mal mit einem Stück Brot bezahlen. Ich musste ihr oft beim nähen helfen, ihr Nadel oder Garn reichen und die Stoffe auslegen. Wir arbeiteten oft bis spät in die Nacht hinein, bis sie mir dann mit ihren von der Arbeit geschundenen Händen über den Kopf strich und sagte ich solle schon einmal das bett vorbereiten und mich hinlegen. Dann drückte ich immer ihre Hand und verlies das Zimmer. In der Küche schob ich dann unseren kleinen Tisch zur Seite und klappte die Bänke auf, do dass man ein Bett daraus bauen konnte. Aber schlafen konnte ich noch lange nicht. Ich musste immerzu an Mutter denken, die noch oft bis zum morgengrauen in der Stube saß und sich bei den versuchen die Aufträge so gut wie möglich auszuführen sich mit der Nadel die wunden Hände zerstach.  Sie sagte immer, so aussichtslos eine Situation auch sei, man dürfe nie Aufgeben. Aber manchmal, wenn ich in meinem Bettchen lag und noch nicht einschlafen konnte, hörte ich sie leise in der Stube weinen. Ich verstand damals noch nicht warum.
Kurze Zeit später, wohl so um den 1. Advent wurde meine Mutter sehr krank. Sie bekam sehr starken Husten und es hörte sich grauenvoll an. Es wurde sehr kalt draußen und es wurde immer schwieriger an Feuerholz zu kommen.  Wir zogen oft viele Pullover übereinander an, doch die Kälte drang überall durch. Mutters Husten wurde immer schlimmer. Die Tage wurden kürzer und immer weniger Menschen nahmen Mutters Dienste in Anspruch. Immer wenn sie einen ihrer Hustenanfälle bekam, dachte ich sie müsse sterben. Sie tat es immer als eine harmlose Erkältung ab, aber das habe ich nie geglaubt. Die Nächte waren bitterkalt und wir frohren viel. Meine Mutter sagte stets, ich solle nicht traurig sein, denn nach einer schlechten Zeit folge immer eine bessere, aber sie hatte gelogen. Es wurde nicht besser. Nichts wurde besser. Oft habe ich geglaubt in unserem Bett zu erfrieren.
Die Wochen vergingen und Mutters Zustand wurde immer beängstigender. 
Dann kam Weihnachten. Überall in den Fenstern glitzerten geschmückte Weihnachtsbäume und die Leute waren gut gelaunt und sangen viel. Ich weiß noch genau wie mir meine Mutter erklärt hat, dass wir uns dieses Jahr keinen Baum leisten könnten. Ich war sehr traurig und habe auch in bisschen geweint, aber erst als sie in der Stube war, damit sie es nicht sehen konnte. Ich wollte ihr nicht noch mehr Kummer machen, als sie sowieso schon hatte. Das atmen fiel ihr immer schwerer und es bildeten sich dunkle Ringe um ihre Augen. Es war schlimm mit an zu sehen wie sie immer mehr abnahm und ihre Knochen mehr und mehr hervortraten.
Und dann kam heilig Abend. Meine Mutter hatte irgendwie genug Holz zusammen bekommen um ein kleines Feuer in unserem rostigen Herd zu entfachen. Wir saßen in der Küche und blickten starr in die Flammen. Mutter erzählte mir die Weihnachtsgeschichte und ich konnte sehen wie sehr sie das sprechen anstrengte. Auf einmal erhob sie sich und wankte in die Stube, sie hätte eine Kleinigkeit für mich. Um ehrlich zu sein hatte ich nicht mehr mit einem Geschenk gerechnet. Sie kam herein und drückte mir eine kleine Stoffpuppe in Form eines Bären in die Hand. Er war aus braunen und dunkelblauen Flicken zusammengenäht und die Augen waren Knöpfe. Einer war ein wenig heller als der andere, aber das störte mich nicht. Ich fand ihn wundervoll. Freudig fiel ich meiner Mutter um den Hals, etwas Schöneres hätte sie mir nicht schenken können. Während wir uns in den Armen hielten, sammelten sich Tränen in ihren blutunterlaufenen Augen. Es war einer der schönsten Abende an die ich mich noch erinnern kann.
Eine paar Tage später erwachte ich morgens in unserem gemeinsamen Bett und spürte eine unendliche Kälte. Mutter lag neben mir. Ihre Haut war ganz bleich und ihre Lippen blau. Ihre Augen waren geschlossen und sie hustete auch nicht. Ich versuchte sie aufzuwecken, doch es gelang mir nicht.

Noch am selben Tag kamen Männer in schwarzen Anzügen um sie ab zu holen. Ich begriff damals nicht recht und schrie sie an, wo sie sie hinbringen würden. Und einer der Männer sagte mir ich müsse jetzt ganz tapfer sein und das alles wieder gut würde. Doch auch er hatte gelogen. Vielleicht wusste er es auch nur nicht besser. Auf jeden Fall wurde überhaupt nichts besser.
Eine Frau kam und nahm mich mit in ein großes Haus in dem noch viele andere Kinder wohnten. Doch ich nahm die anderen gar nicht wahr, an jenem Tag wurde meine kleine Welt zerstört. Es gab einen großen Raum in dem ganz viele Betten standen. Die Frau wies mir eins der Betten zu, doch ich konnte nicht schlafen. Ich lag in meinem Bett und starrte Löcher  in die Dunkelheit. Die Matratze war hart und die Betten quietschten bei jeder Bewegung die die anderen machten. Es waren so viele Geräusche in der Nacht und ich wollte nichts mehr hören. Nichts mehr sehen Nichts mehr fühlen Nichts, außer allein sein.

Die Tage zogen sich dahin und die Regeln hatte ich bald verstanden. Es wurde dreimal täglich gebetet, zum essen gab es morgens Brot und am Abend einen nach nichts schmeckenden Brei. Am Sonntag gab es Linsen.
Wenn ich betete, dann dafür bald zu meiner Mutter zu dürfen. Doch ich hatte immer das Gefühl, der Herr wollte mich nicht hören. Viele der Kinder waren krank und alle hatten Läuse. Einmal in der Woche wurde ein Bottich mit Wasser gefüllt und alle der reihe nach gewaschen. Bis ich an die Reihe kam war das Wasser längst verdreckt und es stank überall nach Schimmel. Das einzige was mir half, war mein Stoffbär, den mir meine Muter zu Weihnachten geschenkt hatte. Niemand wusste dort, dass ich ihn hatte. Er war mein  Geheimnis und ich hatte ständige Angst, sie könnten ihn mir wegnehmen. Die anderen Mädchen schlugen mich manchmal, weil sie mich nicht mochten. Und drängelten sich beim essen, waschen und sonst allem vor. Mir wurde von Tag zu Tag elender. Ich hatte keinen Hunger mehr und wurde von Tag zu Tag schwächer. Eine der Schwester war besorgt und sagte, das ich wohl Fieber hätte, wie schon ein paar andere Kinder auch. Ich fristete mein Leben nur noch dahin und betete, dass Gott mich doch endlich erlöse.

In jener Nacht hatte ich einen seltsamen Traum. Ich Träumte von einem hellen Licht das auf mich zu kommt und höre die Stimme meiner Mutter. Sie singt das Lied, das sie mir immer vorsang als ich noch in der Wiege lag. Sie singt in ihrer vollen und schönsten Stimme. Dann kommt mein Teddybär auf mich zu, direkt aus dem Licht und sagt, ich hätte nun genug gewartet. Ich höre Mutter meinen Namen rufen und fliege mit meinem Stoffbär auf weißen Schwingen, gleich denen eines Engels, in das gleißende Licht. Ich fühle wärme und Geborgenheit und Glück und ich fühle meine Mutter. Mein Leid ist zu Ende, Gott hat mich erhört.
Mama, Mama ich bin da!


Anmerkung von püttchen:

Am Nächsten Tag riefen die Frauen die Männer mit den schwarzen Trachten um mich abzuholen. Aber das merkte ich nicht.

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Kommentare zu diesem Text

shadowhunter (28)
(01.10.05)
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 püttchen meinte dazu am 02.10.05:
danke dann ist es doch so geworden, wie ich es beabsichtigt hatte, ich war mir da nicht so sicher. Danke! lg, Jointy
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