Du hast sie nicht mehr alle

Kurzgeschichte zum Thema Alltag

von  redangel

Ich war die aus der hinteren Reihe. Keine Ahnung warum ich soweit nach hinten gekommen bin.
Früher, da stand ich viel  weiter vorne. Bis in Reihe zwei, das war normal. .
Weißt du noch, das eine mal stand ich sogar ganz vorne.In Reihe eins und du hast mich genommen, nicht die andere neben mir.
Zufall wahrscheinlich, aber ich redete mir einfach ein, du hast es gezielt getan.
Du nahmst dir öfter mal eine heraus. Das ist auch völlig in Ordnung, keiner kann etwas dagegen sagen, denn du brauchst sie ja.Gebrauchst sie wie Gebrauchsgegenstände. Du siehst uns als Gebrauchsgegenstände an.
Aber du irrst dich. Bei mir irrst du dich.
Ich bin keine gewöhnliche. Wenn du genauer hinsehen würdest, könntest du erkennen, daß ich ein bißchen anders bin als die anderen.
Ich habe eine besondere Form, siehst du nicht?
Zierlicher und  weißer,dünnere Außenhaut mit diesen zarten Tupfen darauf. Aber ich bin wohlgeformt, auch nicht übermäßig zerbrechlich. Du kannst mich ruhig anfassen. In die Hand nehmen, denn so schnell breche ich dir nicht. Warum du mich nun heute wieder hervorholst, ich hab lange überlegt? Vielleicht war dir mal nach einer kleineren. Die Kleinere dir passend, heute. Ich komme hier auf den Tisch. Du sagst, du willst mich jetzt öfter mal nehmen. Ich weiß nicht, was öfter bei dir zu bedeuten hat. Aber ich hoffe, ja ich hoffe das Beste. Da, du nimmst mich, mit beiden Händen hältst du mich fest. Weißt du noch, als ich damals so heiß war? Du hättest dir beinahe alle zehn Finger an mir verbrannt. Und deinen Mund dazu, weißt du noch? Gepustet,du hast in mich hineingepustet. Ich habe deinen Atem gespürt. Ganz nah gespürt. Auf einmal hast du mich abgestellt Damals, viel zu schnell abgestellt, dann solange gewartet, bis ich nur noch lauwarm, nicht mehr ganz heiß war. Dann hast du mich wieder angefasst. Deine Lippen, ich hab deine Lippen gespürt an mir. Deine Zunge, als du diesen Tropfen von mir abgeleckt hast. Du hast es mir nicht angesehen, wie schön das für mich war. Du hast mich nur benutzt. Mich fest in der Hand gehabt damals. Auch noch, als alles schon abgekühlt war. Heute ist es dann passiert.
Weißt du, für mich war es eine Tragödie, für dich war es das nicht. Du warst nur  unvorsichtig, kurz unaufmerksam. Hast nicht genau hingesehen. Ich war dir  nicht so wichtig. Deswegen warst du unachtsam und hast mich heftig angestoßen. Von dir weggestossen, nur darum bin ich gefallen. Weißt du, ich bin gefallen und du hast mich nicht aufgefangen.
Du hast es nicht einmal versucht. Ich war ja nur die kleine unter all den anderen. Du hattest ja immer noch genügend andere zur Verfügung.
Da lohnte sich Aufwand und Anstrengung nicht.
Trotzdem warst du ärgerlich, als ich aufgeschlagen bin dort am Boden.
Du hast mich kaputtgemacht, durch deine Ungeschicklichkeit. Obwohl du es gewußt hast,daß ich zerbrechlich bin. Trotzdem hast du zugesehen, wie ich zerschellte, in tausend Scherben zersprang, die sich am Boden verstreuten. Somit  hast du mich letztentlich zerstört. Aber den Rest hat mir dein Lachen gegeben. Dieses Lachen, leicht spöttisch,sehr ironisch.
Du hast kalt gesagt, macht nichts, das bringt mir nur Glück. Aber ich war diejenige, die dabei zu Bruch gegangen ist. Mich gibt es nun nicht mehr.
Du hast mich sowieso nicht wirklich gebraucht. Hattest noch genug andere, viele davon. Wenn ich mir etwas wünschen könnte von dieser Fee, dann würde ich am liebsten deine  Espressomaschine sein. Denn die brauchst du, jeden Tag. Oder lieber deine Dusche. Fee, er stellt sich jeden Abend sehr ausgiebig unter die Dusche.
Ich würde dir ganz zärtlich das Wasser über deine Haut rinnen lassen, dich streicheln, das würde ich, wenn ich deine Dusche wäre.
Dann kämst du jeden Abend zu mir. Mehr hätte ich mir garnicht gewünscht, liebe Fee. Aber leider war ich nur eine gewöhnliche kleine. Eine nichtssagende kleine Tasse, auf sowas hören die Feen nicht.
Und du hast sie nun nicht mehr alle im Schrank.

(c) redangel

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Kommentare zu diesem Text

Sternliebe37 (68)
(03.10.05)
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 Martina (05.10.05)
irgentwie fühle ich mich mit der Tasse seelenverwandt ) Echt schöööön beschrieben, aber auch schnieftraurig!Lg Tina
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