die rettung der zeit

Groteske zum Thema Zeit

von  jds

Illustration zum Text
(von jds)
Illustration zum Text
(von jds)
Illustration zum Text
(von jds)
Illustration zum Text
(von jds)
Illustration zum Text
(von jds)
die rettung der zeit


Anbei wollen wir etwas aus dem leben des rüdiger s. aus e. erfahren.
Rüdiger s. aus e. stellt sich dem oberflächlichen betrachter als normaler 08/15 junggeselle dar. Dabei sind es die verborgenen kleinigkeiten, die rüdiger s. aus e. zu etwas besonderem machen.
So zum beispiel seine vorliebe für spinnen, die einmal gefangen und auf einer dünnen nadel aufgespießt, mit einigen tropfen eines vorzüglichen grappas um ihr leben gebracht werden. Um sodann, nach einigen tagen, getrocknet in einem grossen schraubglas im küchenbuffet zwischen mehl und nudeln ihre letzte ruhe zu finden.
Zwei dieser gläser sind bis zum rand, das dritte bereits  über die hälfte mit spinnen gefüllt.
In der küche von rüdiger s. befinden sich noch weiter gläser. 26 an der zahl welche er von der ortsansässigen gurkenfabrik rekrutiert hatte. Auf einem regal in augenhöhe aufgereiht präsentieren sie nicht ohne stolz ihren inhalt.
Dieser wird, ausser sonntags, in einem täglichen ritual von rüdiger s. ständig erweitert. Frühmorgens pünktlich von 5:30 uhr bis 6:30 uhr extrahiert rüdiger s. aus seiner tagesteitung mittels einer kleinen nagelschere einzelne buchstaben. An manchen tagen sind es nur l oder o. eine spezielle vorliebe hat rüdiger s. für den buchstaben s. hierüber befragt gab rüdiger s. zur antwort: "dies ist die einzig sinnvolle art den inhalt einer tageszeitung zu verwerten."
Dabei käme es nicht auf den verlag an, viele buchstaben müsse die zeitung eben enthalten.
Die so anfallenden buchstaben könnten dann für etwas sinnvolleres wiederverwertet werden. Für liebesgedichte zum beispiel oder schöne texte zur erbauung. Oder auch für lehrbücher zur fort und weiterbildung. Den buchstaben s möge er besonders, weil er zwei so schöne rundungen besitze.
Da rüdiger s. aus e. ein leidenschaftlicher koch ist, bekommt seine buchstabensuppe eine ganz eigene qualität, zu erwähnen ist hier vor allem die suppe, die nur aus den buchstaben s. bereitet wird. Dieser mahlzeit schreibt rüdiger s. eine besonders aphrodisierende wirkung zu.
Für die städtische bibliothek hat er seit einigen jahren hausverbot, da in den büchern, von denen er nicht angetan war, die seiten immer wieder anstelle der buchstaben l oder auch o löcher aufwiesen. Manche seiten hatte er auch mit buchstaben aus seinen gläsern beklebt, gedichte von schiller und heine.
Um das ende der stunde, in der er sich hingebungsvoll seiner tageszeitung widmete zu signalisieren, verwendete er einen, von seiner großmutter geerbten küchenwecker. Dieser, vollständig aufgezogen, gab nach einer stunde ein durchdringendes läuten von sich und rüdiger s. aus e. nahm den rest der zeitung um sie in streifen gerissen neben der kloschüssel zu deponieren.
Nun wollte es das schicksal oder auch die vorsehung, dass eines morgens sich der küchenwecker zwar aufziehen lies, aber weder ein tick noch ein tack von sich gab. Auch das schrille läuten dieses weckers sollte auf ewig verstummt sein.
Mit dem festen willen für einen angemessenen ersatz des geliebten küchenweckers zu sorgen, schlenderte rüdiger s. durch die reihen eines flohmarkts und betrachtete aufmerksam das treiben. Ein stand hatte es ihm besonders angetan. Auf dem tisch ausgebreitet lagen verschiedene taschenuhren, wanduhren und darunter eine alte porzellanküchenuhr mit einem einegebauten wecker unter dem großen uhrglas. Es war liebe auf den ersten blick.
Die uhr funktionierte noch einwandfrei. Sogar der wecker läutete ein kleines bisschen schriller als der seiner großmutter.
Die uhr erhielt den besten platz in der küche, über den gläsern mit den buchstaben.
Dies ist nun der anfang der eigentlichen geschichte, denn in der nächsten nacht hatte rüdiger s. aus e. eine traum.
Ihm träumte vom ende der zeit. Er sah, wie die zeiger der großen uhr die letzten minuten und sekunden die noch bleiben hinter sich bringen werden. Allein eine einzige möglichkeit gäbe es, den absoluten zeitstillstand, das ende, zu verhindern. Ein alter mann mit weißem bart sprach zu ihm: "gehe und suche. Suche alle alten porzellanküchenuhren die du findest. Zögere nicht und eile. Und vergiss nicht jede uhr aufzuziehen und in gang zu halten. So werden die zeiger der großen uhr innehalten und das ende der zeit rückt wieder in die ferne.
Sollte aber eine deiner uhren stehenbleiben so werden die zeiger der großen uhr wieder ihren weg fortsetzen"
Am nächsten morgen war rüdiger s. noch so sehr betroffen von diesem traum, dass er sogar vergas die buchstaben aus seiner zeitung auszuschneiden.
So gesellten sich nach und nach immer weitere uhren zu der bereits vorhandenen und erfüllten mit ihrem leisen aber bestimmten ticken den raum.
An den küchenwände war bald kein freier fleck mehr zu sehen und rüdiger s. aus e. hatte mühe die uhren in gang zu halten. Seinen lieblingstätigkeiten konnte er schon lange nicht mehr nachgehen. Vor dem fenster und in den zimmerecken webten unbehelligt spinnen ihre netze, die gläser auf dem regal waren leer, bis auf das glas mit den s, dies lies sich rüdiger s. doch nicht nehmen, es immer wieder aufs neue zu füllen.
Sein tagesabauf war bestimmt von dem ticken der uhren. Frühmorgens mischte es sich mit dem gesang der vögel, gab den takt für das lied einer amsel vor, um dann mit einem ticktack-uhrensolo die ouvertüre für den neuen tag zu beenden.
So begann der tag mit seiner visite, einer eingehenden überprüfung jeder einzelnen uhr, verbunden mit dem abschliesenden aufziehen. Rüdiger s. kannte inzwischen jede seiner schützlinge. Blind, konnte er allein am ticken das wohlbefinden einer uhr feststellen. Beim geringsten anzeichen einer unpässlichkeit wurde diese abgehängt, genau untersucht, gereinigt und geölt um so frisch gestärkt ihren dienst wieder aufnehmen zu können.
Gerade so gelang es rüdiger s. noch seiner geregelten arbeit nachzugehen, um anschliesend nach weiteren uhren ausschau zu halten.
In der zwischenzeit war jede wand in seiner wohnug dicht an dicht behangen mit porzellanküchenuhren. Nicht nur in der küche, nein auch im wohnzimmer, schlafzimmer ja sogar in der toilette drängten sich die zeitanzeiger nebeneinander und versuchten mit ihrem ticken ihre nachbarn rundherum zu übertönen. Rüdiger s. aus e. hatte auch schon begonnen die schrankseiten und schranktüren ebenfalls mit uhren zu behängen. Jede freie minute war er nun beschäftigt mit aufziehen und ölen der räderwerke. Mit jeder der weiter dazugekommenen uhren wurden die stunden die ihm für ruhe und schlaf noch blieben immer weniger. Schlieslich musste sich rüdiger s. aus e. direkt, nachdem er die letzte uhr versorgt hatte, auf den weg zur arbeit machen, obwohl er schon seit einiger zeit eine halbtagsstelle angenommen hatte. Eines tages blieb erganz von der arbeit fern. Nach drei tagen begann man nachforschungen anzustellen und ein vertreter der firma begab sich zu der wohnung von rüdiger s. aus e. Schon im treppenhaus vernahm der personalbetreuer ein beunruhigendes ticken, dass bis vor die wohnungstüre von rüdiger s. bedenklich anschwoll. Die wohnungstüre war nicht abgeschlossen. Da auf sein läuten niemand reagiert hatte, begab sich der personalangestellte in die wohnung, um dann rüdiger s. zu sehen, wie dieser mühsam auf einer leiter eine uhr nach der anderen aufzog. Als der personalangestellte rüdiger s. aus e. ansprach, fiel dieser mit einem seufzen von der leiter und schlug mit dem kopf auf dem fussboden auf. Auf den Dielen bildete sich eine kleine blutlache.
Im krankenwagen vertraute er dem personalangestellten den bund mit den uhrenschlüsseln an, mit der bitte, sie doch immer regelmässig aufzuziehen. Der personalangestellte machte, aus reiner neugierde, zumindest einmal den versuch und besah sich am nächsten tag diese erstaunliche sammlung an porzellanküchenuhren. 3452 zählte er und gab, nachdem er das erste dutzend aufgezogen hatte, mit einem kopfschütteln auf. Nun haben diese art von uhren in der regel ein siebentagewerk, sodass zumindest eine woche lang die zeiger der uhren noch ihre runden ziehen können. Rüdiger s. aus e. wurde vor sieben tagen, also letzte woche in das krankenhaus eingeliefert. Und bis



jens schreblowsky - alletagekunst

Hinweis: Du kannst diesen Text leider nicht kommentieren, da der Verfasser keine Kommentare von nicht angemeldeten Nutzern erlaubt.

Zur Zeit online:
keinVerlag.de auf Facebook keinVerlag.de auf Twitter keinVerlag.de auf Instagram