Daria

Erzählung zum Thema Begegnung

von  Mondsichel

Als wir die Bühne verließen, fiel eine unendlich große Last von mir ab. Wir waren alle berauscht von dem Adrenalin, das sich in unsere Körper gepumpt hatte. Völlig außer Atem und mit einem glücklichen Lächeln auf den Lippen stand ich nun wieder vor ihr. Sie sagte nichts, sie lächelte mich nur an. Ich sagte zu ihr: „Darf ich Dich auf einen Erfrischungstrunk einladen?“ Sie lächelte noch mehr. „Gerne“, hauchte sie fast ehrfürchtig. Wir gingen zur Bar, wo sie sich einen Saft bestellte und ich mir ein Bier. Dann zog es uns wieder hinaus an die frische Luft. Sie hatte ihre schwarze Kutte wieder umgelegt und nahm eine Decke mit. Irgendwo im grünen Gras saßen wir dann und machten uns erst einmal miteinander bekannt.

„Mein Name ist Daria.“ Sie lächelte. „Ich heiße Thelven.“ Sie lächelte erneut. „Thelven? Einen solchen Namen habe ich noch nie gehört. Aber er klingt angenehm. Wie ein sanfter Sommerwind, der süß die Seele küsst.“ Jetzt musste ich lächeln. Welch ein poetisches Wesen. Wenn man sie nachdenklich machte, dann schien sie in fernen Welten zu schweben und plötzlich in eine „lyrische“ Sprachweise zu verfallen. Das merkte ich später noch sehr oft.

„Ihr habt die Leute heute echt mitgerissen. Ich war erstaunt, eine solch gute Band zu erleben, von der ich noch nie etwas gehört habe.“ Daria blickte ein wenig verschämt auf den Boden und ihre Wangen wurden ein wenig rot. „Vielen Dank. Wir sind noch nicht allzu lange als Live-Band unterwegs.“ Dafür waren sie aber erstaunlich gut, stellte ich in Gedanken fest. „Aber es freut mich immer wieder zu sehen, wie sehr die Menschen auf unseren Konzerten mitgehen. Das beweist uns, dass die schwierige Zeit vorbei ist und wir es endlich auch geschafft haben, aus dem Schatten unseres Studiodaseins herauszutreten. Aber ihr habt die Leute auch ganz schön mitgerissen.“ Ich lachte und sagte: „Von dem Moment an, wo ich auf der Bühne stand, weiß ich nichts mehr. Ich habe mich einfach treiben lassen. Aber scheinbar muss ich es gut gemacht haben.“ Sie blickte mich forschend an. Diesen Blick sah ich später auch noch öfter. In diesem Moment faszinierte mich dieser Ausdruck in ihren Augen. Es war als würde sie noch nicht so ganz glauben können, wo sie sich befand.

„Dieses Festival ist wirklich unglaublich, noch nie haben wir vor so vielen Menschen gespielt. Und das ich hier auf meine Lieblingsband treffen würde, das hätte ich mir auch nie träumen lassen.“ Jetzt wurde sie tatsächlich ein wenig rot. Ich musste lächeln und machte ihr klar, dass sie mich ruhig als normalen Menschen ansehen sollte. Ihr Blick war anfangs etwas verwirrt, doch dann lächelte sie auch und verstand meine Bitte. Ihre anfängliche Schüchternheit war schnell verflogen und wir kamen sehr intensiv ins Gespräch. Wir redeten an diesem Tag lange über Musik. Über Fans und über alles was uns im Innersten so bewegte. Und je mehr wir miteinander sprachen, unsere Herzen öffneten und uns in die Augen blickten, desto näher fühlte ich mich ihr.


Sie war nicht der absolute Männertraum, sie war nicht gertenschlank und sie war auch nicht die Schönste aller Schönen. Aber ihre Augen und ihr Lächeln, ihre Stimme und ihre Gedanken nahmen die Herzen der Welt gefangen. Sie strahlte wie die klare Sonne und war doch wie der Mond am Horizonte in tiefster Nacht. Es ist unbeschreiblich wie sie war, man muss es einfach erlebt haben um es zu verstehen. Ich fühlte nur eines in ihrer Nähe, unglaubliche Wärme und Leidenschaft. Ich fühlte, dass ich jemanden gefunden hatte, der mein Herz ohne Umschweife erobern konnte. Ich hatte mich Hals über Kopf verliebt in dieses Mädchen. Und das, obwohl ich sie gerade erst ein paar Stunden kannte. Diese Erkenntnis brannte tief in meiner Seele.

Irgendwann blickte sie mich wieder so forschend an. Es lag ihr eine Frage auf den Lippen, ich konnte es spüren, aber sie wagte es nicht zu fragen. Ich blickte ihr tief in die leuchtenden Augen und fragte: „Was liegt Dir auf dem Herzen?“ Daria war überrascht. Im ersten Moment blickte sie nachdenklich zu Boden, aber dann wagte sie es doch. „Du könntest so glücklich sein, doch hinter Deinen Augen sehe ich so unendlich tiefen Schmerz. Warum?“ In diesem Moment krachte in meinen Gedanken alles zusammen. Ich blickte sie fassungslos an. Unangenehme Schauer gingen mir über den Rücken und ich musste schlucken. „Es tut mir leid, ich hätte nicht fragen sollen. Entschuldige.“ Sie blickte verschämt zu Boden.

„Nein, Du musst Dich nicht entschuldigen Daria.“ Meine Augen verloren sich am Himmel und es war, als würde die Erinnerung den Himmel verdunkeln. Ich brauchte einen Moment um wieder klare Gedanken zu fassen. „Vielleicht werde ich es Dir irgendwann erzählen, aber heute bin ich noch nicht stark genug dafür.“ Sie lächelte ein wenig bitter. „Es tut mir leid.“ Ich schüttelte den Kopf. „Dir muss nichts leid tun. Du kannst nichts für die Dinge die geschehen sind.“ Die Situation war wirklich ein wenig traurig momentan, doch das änderte sich recht schnell. Denn auf einmal stand Jan neben uns. Und so kam es, das ich die ganze Truppe kennen lernte.

Ihre Bandkollegen sahen zwar recht düster aus, doch Marek, Chris, Jan, Rob und Skyle waren eine echt lustige Truppe. Ich verstand sehr schnell, warum Daria immer so viel lachte. Es verging kaum eine Minute, in der nicht gelacht wurde. Besonders Chris und Jan trieben es mit ihren Witzen manchmal an die Spitze, aber so hatten wir wenigstens ordentlich was zu lachen. Chris war neben Daria, der führende Kopf in dieser Band, er organisierte viel und er war derjenige, der die Songs schrieb. Ein recht eigenwilliger und auch knallharter Typ, dem absoluter Perfektionismus auf die Brust geschrieben war. Was er leistete, das verlangte er auch von den anderen, die da locker mithalten konnten. Denn wenn es um die Musik ging, dann waren sie alle samt extrem konzentriert.

Jan war der Gitarrist der Band. Während des Konzertes ließ er gerne seine schwarze Mähne fliegen, er steigerte sich unglaublich in sein Spiel. Manchmal glaubte ich, dass er nicht nur eine Person, sondern zwei in einem Körper war. Er war vollkommen zwiegespalten, mal so, mal so. Das konnte einen echt verwirren. Wenn es um die Kunst ging, dann war er Feuer und Flamme.

An dem Mann konnte man sich echt die Finger verbrennen, wenn man nicht aufpasste, denn er riss jeden mit. Er war auch oftmals ziemlich aufgedreht und lustig, an anderer Stelle wirkte der dann allerdings auch wieder still und verschlossen.

Rob war der zweite Keyboarder. Manchmal recht unüberlegt und mit einem ziemlich großen Mundwerk, aber er hatte auch ein gutes Herz. Er philosophierte unheimlich gerne über die Welt da draußen, über das Leben und die Vergangenheit. Er redete dann wie ein Wasserfall und man konnte ihn kaum zurückhalten. Aber er hörte auch sehr gerne zu, egal worum es ging. Er war der einzige in der Band der blonde Haare hatte, was ihm einen recht skandinavischen Touch gab. Rob war mit derjenige, der den Stil der Band sehr beeinflusste.

Marek war der Bassist der Gruppe, ein recht harter Typ. Durch seine langen schwarzen Haare wirkte er oftmals wirklich wie grade aus dem Grab gestiegen. Wenn es sein musste, dann wusch er den anderen in der Band kräftig den Kopf und mahnte zur Ernsthaftigkeit. Marek ließ sich nicht die Butter vom Brot nehmen und er war sozusagen derjenige, der alles zusammen hielt, wenn Chris verhindert war. Auch wenn er ab und zu recht aggressiv wirkte, war er der absolute Kumpeltyp. Ein echter Freund, mit dem man viel Spaß haben konnte. Wenn er jemanden sehr mochte, dann konnte man sich sicher sein, dass er in jeder Situation zu ihm stand.

Skyle, war der Schlagzeuger, er ließ ebenfalls sehr gerne seine langen schwarzen Haare auf der Bühne fliegen. „Unser Teufel am Schlagzeug“, so stellte Chris ihn immer vor. Er war sehr berechnend, sehr kreativ und sehr zynisch. Ein absolut heller Kopf, der in den späteren Diskussionen immer wieder zeigte, dass er sehr gut kombinieren konnte. Er hatte das Talent, einem auf die nackte Seele zu blicken und wusste sofort, wenn man ihn verarschen wollte. Skyle war absolut direkt, er sprach aus was er dachte und ließ kleine Träumerein sofort zu Staub zerfallen, wenn er erkannte, dass es sowieso nichts werden würde. Alle schätzten ihn sehr. Denn „ohne seine Ehrlichkeit wäre das Bandleben nicht so zielstrebig“, wie Daria immer sagte.

Daria war Sängerin und Lyricwriterin in der Band. Ich habe noch niemals jemanden wie sie erlebt, die so viele verschiedene Facetten mit sich trug. Privat benahm sie sich vollkommen anders, als wenn sie Musik machte, oder auf der Bühne war. Mein erster Eindruck von ihr war ja eher der eines Mauerblümchens, als der eines Engels. Man hatte oft das Gefühl, dass auf der Bühne, das Tier in ihr erwachte. Sie lebte jeden Song regelrecht aus, wenn sie ihn sang. Manchmal konnte das einem Angst machen, wenn da nicht dieses Lächeln und dieses Lachen gewesen wären.

(c)by Arcana Moon

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