Auf dem Schiff

Kurzgeschichte zum Thema Lebensweg

von  Martina

Da stand er auf dem Deck seines Schiffes, über die Reeling gebeugt. Sein gebräunter Körper der Sonne zugewandt und seine Muskeln schienen bedeckt vom Schweiß, mit den Wellen um die Wette zu glänzen.
Ja, er wußte, dass er eine gute Figur abgab. Er brauchte gar nicht viel dafür zu tun, die Arbeit auf dem Schiff hatte ihn zu dem geformt, der er heute war. Aber all das war jetzt belanglos geworden. Er war zufrieden, mit sich und seinem Leben. Sein ruhiger Blick streifte den Horizont, fast schon zärtlich, so als streichelt ein Mann seiner Geliebten eine Haarsträhne aus ihrem Gesicht. Ehrfürchtig sog er das Bild in sich auf, das sich ihm bei jeder Abeddämmerung bot: Das Versinken der Sonne im Meer. Es war für ihn so, als würde sie ins Wasser tauchen und ein erfrischendes Bad nehmen, um sich ihren von der harten Arbeit erhitzten Körper abzukühlen. Er liebte diesen Anblick, und es war fast schon eine tägliche, heilige Zeremonie, der er fast andächtig beiwohnte. Er nannte sie seine Gefährtin, weil sie ihn ständig begleitete, und weil er mit ihr schon alle Ängste, die es auszuhalten gab, durchlitt, und weil er sich niemals vorstellen konnte, einmal ohne sie zu sein.
Meistens blieb er noch eine Weile so stehen, immer noch gebannt auf den Punkt schauend, wo sich das Ereignis abspielte. Es war so, als würde er darauf warten, dass sie vielleicht nochmal kurz hinterm Horizont hervorkommt, um ihre Hand zum Abschied zu heben.
In Wirklichkeit versank er, wie zuvor die Sonne im Meer, in seinen Gedanken. Immer wieder ließ er sich in die Vergangenheit treiben, um für die Zukunft zu lernen. Nichts wollte er vergessen, keinen Streit, keinen Ärger, keinen Schlag ins Gesicht. Das waren genau die Begebenheiten, für die er das meiste Lehrgeld bezahlen mußte, die ihn dafür aber auch weiter brachten als die glücklichen Momente. Das hatte er mittlerweile klar erkannt. Ihnen hatte er auch seinen harten Zug im Gesicht zu verdanken, der ihn für die Frauenwelt aber nur noch attraktiver zu machen schien. So kann man wirklich jedem Schlechten noch was Gutes abgewinnen. Man musste nur lernen, seine Sinne dafür zu sensibilisieren. Das Leben schien einem immer wieder neue Aufgaben und Fallgruben zu stellen. Denn nichts wurde wirklich vergessen, bis es endgültig gelöst war. Er hatte das Prinzip endlich begriffen. Niemals wurde ihm je etwas zum Schaden auferlegt, sondern um ihn zu fördern und zu formen, so wie die harte Arbeit seinen Körper perfekt modellierte. Diese Aufgaben formen nun seine innere Vollkommenheit. Jedem Schicksalsschlag sieht er gelassener entgegen als früher, er weiss jetzt, dass es nur zu seiner besseren Entwicklung dient. Ja, das Leben kann mit einer Schiffahrt auf dem unendlichen Meer verglichen werden. Auch das Leben ist unendlich. Daran glaubte er fest!
Er wandte sich von der Reeling ab und dachte noch an manche gefahrvolle Seereise, die er erlebt hatte. Mögen auch viele Unwetter seine Fahrten erschweren, so weiss er auch, dass es überall Häfen gibt, wo er sicher einlaufen kann. Dort kann er sich erholen und die Schäden reparieren, um frisch gestärkt die nächste lehrreiche Reise anzutreten. Danach wird man sehen, wohin die Reise geht. Also: Kapitän, Ahoi!

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