Der Puppenspieler

Erzählung zum Thema Menschen

von  KopfEB

Es ist Herbst gewesen, spät bereits, doch die Sonne hatte sich in diesem Jahr noch kaum gezeigt. Das Korn auf den Feldern war schlecht gewachsen, die Ernte miserabel und viele würden den Winter nicht überleben, da rumpelte der alte Wagen von Eronimus zum letzten Mal in unser Dorf.
        Die Kinder waren sogleich herbei gelaufen und hatten sein Gefährt umringt, um einen Blick auf all die Wunder zu erhaschen, die sich zweifellos in seinem Inneren befinden mussten, bestimmt würden sie sich irgendwann zeigen, in so einem kleinen Wagen war es auf Dauer doch viel zu stickig für all die Geheimnisse und Zaubereien...

Der Puppenspieler war ein gern gesehener Gast, nicht nur bei den Kleinen, auch die Erwachsenen des Dorfes erfreuten sich an seinem Erscheinen. Eronimus wusste stets Kunde aus den umliegenden Ortschaften und fernerem Gestade. Ausserdem waren an diesen Abenden auch die härtesten Junggesellen wie durch Zufall auf dem Marktplatz um die Aufführung mit zunächst versteckten Blicken zu verfolgen.
Am Schluß waren alle gebannt und dicht gedrängt um den Wagen gerückt und folgten jeder Bewegung, jedem Flüstern des Stückes, sie warteten gespannt auf das Ende der Geschichte. Es war nicht nur so, als würden die hölzernen Schauspieler zum Leben erweckt, seine Magie war derart mächtig, die filligran gearbeiteten Puppen erfüllten sogar noch die Geschichte mit einer Vitalität und Wahrheit, das es erschreckend war.
Und um diese Abende des gemeinsamen Erlebens wussten die Kinder, wenn Eronimus mal wieder den Weg in das Dorf gefunden hatte und sie seinen Wagen freudestrahlend umringten und sie wussten, dass er niemals die selbe Geschichte ein zweites Mal erzählte. Immer gab es etwas Neues zu bestaunen, etwas Neues zu erleben. Als ich ihn später einmal darauf ansprach meinte er, die Puppen dürften sich nicht langweilen, das sei das Wichtigste.
Aber davon hatten die spannungsgefüllten Kinderaugen natürlich keine Ahnung, für sie waren es Nächte voller Magie, die der Puppenspieler zwischen die Minuten und Stunden zog, mit denen er die Menschen dazu brachte einander näher zu kommen und seine Gedanken zu teilen.
An diesem Herbsttag also, man konnte den ersten Schnee schon in der Luft riechen und die meisten Bäume hatten ihr letztes Blatt bereits lange verloren, hielt Eronimus zum letzten Mal in unserem Dorf und schlug sein Lager unter der alten Eiche auf. Ich erinnere mich, als wenn es gestern gewesen wäre, allerdings ein gestern, das Ewigkeiten entfernt zu liegen scheint.

Es wurde ein denkwürdiger Auftritt. Ein Drama dieses Mal, keine Komödie wie beim letzten Besuch, und am Höhepunkt des finalen Aktes, angefüllt mit gerechter Grausamkeit, geschah es:
Der Himmel entlud seine Spannung.
Selbst er schien es nicht mehr aushalten zu können und öffnete seine Schleusen in einem fürchterlichen Gewitter, das sich unbemerkt über ihren Köpfen zusammengebraut hatte. Gerade als der König seiner falsche Frau, die er doch, an einen Zauber gebunden, von Herzen liebte, einen Dolch in die Brust stossen musste, um den getöteten Sohn zu rächen, durchzuckte ein unglaublich greller Blitz die dunkle Nacht und setzte die Welt sekundenlang in helles Licht. Der Regen floss beinahe augenblicklich in Strömen und nachdem alle Anwesenden nur widerstrebend zurück in die Realität gefunden hatten, flüchtete jeder eiligen Schrittes ins Trockene, wohl mehr darüber erbost, dass sie nun das Ende der Aufführung nie sehen würden, als über die durchnässte Kleidung.
Denn den Ruf, das der Puppenspieler niemals länger als eine Nacht am selben Platz blieb, hatte er sich bereits gemacht, obwohl es damals erst sechs Jahre her war, dass er in unserer Gegend überhaupt auftauchte. Nichts konnte ihn dazu bewegen, kein Geschenk und keine Einladung. Er wurde ohnehin so selten ausserhalb seines Wagens gesehen, dass es Menschen gab, die ihn selbst noch nie gesehen hatten. Meist waren es sogar diejenigen, die verzweifelt auf der Lauer lagen, um doch einmal einen Blick auf ihn zu erhaschen. Ein Geheimnis umgab diesen Mann und es hieß, er selbst würde entscheiden, was die Leute von ihm zu sehen bekamen und was nicht.

An diesem schicksalhaften Abend legten wir uns in die Betten, die Unzufriedenheit noch immer im Herzen, und wollten uns den Frust aus der Seele schlafen, da klopfte es an der Tür. Dies war wirklich verwunderlich, da wir die Ärmsten waren und unsere kleine Kate weit draussen am Rande des Dorfes lag. Wer würde in solch einer Nacht auf die Idee kommen, an unserer Tür zu klopfen?
Der Vater öffnete und im Licht eines fernen Blitzes betrat Eronimus unsere bescheidene Hütte.
„Mein werter Herr,“ seine knorrige Stimme hatte nichts von der Weichheit, mit der er sonst Prinzessinnen und Dienstmägde belebte, es klang eher, als wäre ihm eine seiner Puppen in den Hals gekrochen, „Ich bin gekommen, sie um einen Gefallen zu bieten, der auch ihr Leid nicht seien soll.“
Mit diesem Satz hatte sich damals die Welt zu ändern begonnen und mein Leben einfach mit sich gerissen, haltlos.
Mein Vater bat den alten Mann an den Tisch und Mutter befeuerte den Ofen, um dem unerwarteten Besuch einen Tee zuzubereiten und die Stube zu heizen, in deren Ecke wir Kinder in unseren Hemdchen schlotterten. Ob vor Kälte oder Ehrfurcht, weiß ich heute allerdings nicht mehr.
Was ich aber sicher weiß, ist das Ergebnis des Gesprächs, das diese beiden ungleichen Männer führten, die große mächtige Gestalt und mein daneben winzig wirkender Vater.
Eronimus sagte ihm frei heraus, das es sein Wunsch sei, mich als seinen Schüler zu nehmen und noch in der selben Nacht mit mir aufzubrechen, um vielleicht nie wieder hier aufzutauchen.
Zunächst wehrten sich meine Eltern gegen diesen Vorschlag, meine Mutter war mit tränengefüllten Augen an den Esstisch gestürzt und hatte mit beiden Fäusten auf ihn losgehen wollen, was im einfiele, dass sie ihren geliebten Sohn einfach so hergeben würde, ihren Ältesten.
Aber mit der Zeit schwand auch diese Gegenwehr. Es schien, als hätte Eronimus für jedes ihrer Argumente eine Lösung, immer eine andere Meinung, die er auch zu behaupten wusste. Nach weniger als einer Stunde saßen meine Eltern still da und sahen in seine Augen, sich der Tatsache voll bewusst, dass er Recht haben musste.
Der Winter stand vor der Tür und er würde wohl härter und länger werden, als alle, die meine Familie bisher durchstehen musste. Auch war die Vorratskammer jetzt schon leerer, als je zuvor zu dieser Jahreszeit und so schwer es auch erschien, nicht alle von uns würden den Weihnachtsabend noch erleben. Es wäre ein Maul weniger zu stopfen, vielleicht dann doch genug für alle und ich hätte einen sicheren Platz, meine Eltern müssten sich nicht sorgen. Die Auslöse würde dafür sorgen, ein Beutel in der Mitte der zerkratzten Tischplatte.

Mit müdem Arm winkte Vater mir hölzern, ich möge näher treten und übergab mich dem Fremden, ohne den Blick von Seinem zu lösen. Nur meine Mutter sah mich an, als ich mich in der Tür zum Abschied noch einmal herumdrehte. In ihren Augen sah ich mehr Trauer als jemals im Leben zuvor, nur dass sie nicht herauskonnte. Es war mir, als würde sie weinen, nur das etwas die Tränen im Auge zurückhielt. Irgendetwas schien sie wie eine Schicht aus Glas am fließen zu hindern.
„Die Tränen sind es nicht wert,“ sagte mir Eronimus in tiefem Bass, der sogar das Donnern noch an Resonanz übertraf. Ich wollte seinen ersten Satz zu mir damals so verstehen, dass er mich und mein feuchtes Gesicht meinte.


Anmerkung von KopfEB:

Wird noch vervollständigt (so ich daran denke dazu zu kommen

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Kommentare zu diesem Text


 BrigitteG (02.05.08)
Gerne gelesen. Besonders die Stelle "die Puppen dürften sich nicht langweilen, das sei das Wichtigste". Manchmal gehst Du mit dem Komma recht knauserig um, und am Ende steht ein "nur dass" zweimal dicht hintereinander, mit im Schnitt 1,5 Stück scharfem "s" *g*. Aber insgesamt hat es für mich Atmosphäre. Liebe Grüße, Brigitte.

 KopfEB meinte dazu am 25.10.10:
Hab´s grad nochmal durchgelesen und ich find´s ehrlich schwach. Gut gemeint, aber schwach. Zuviele unnötige Wörter,viel zu viel gewollt.

"Ich erinnere mich, als wenn es gestern gewesen wäre, allerdings ein gestern, das Ewigkeiten entfernt zu sein scheint."

Viel zu dick aufgetragen!
Naja, will mal nicht zu kritisch sein, ich weiß immer noch was ich sagen wollte, auch wenn ich das heute anders machen würde: Die Aussage war gut gemeint.

So wie die Idee hinter dem Text, Nachrichten produzieren Nachrichten produzieren die Welt, entwickeln Eigenleben, erfinden sich selbst, der Puppenspieler als machtvolles Instrument seiner eigenen Arbeit, unterlegen im eigenen System.

Vieleicht geh ich da nochmal dran, mal schaun (aber dann mit einem neuen Anfang! :.)

P.S.: Viele verpasste Glückwünsch an dich und bis in zwei, drei Jahren wieder!

 BrigitteG antwortete darauf am 29.10.10:
P.S. Wir lesen uns - so ca. 2013
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