Die versteckte Welt (Teil 4)

Märchen zum Thema Achtung/Missachtung

von  tastifix

Gunnar ist aufgeregt. Hinter dieser Türe wird sich ihm eine andere Welt auftun. Eine bessere? Oder sind die vielen Sagen und Legenden um die Elfen eher Rosen, die den menschlichen Seelen zuliebe ihre Dornen verdeckt hielten, um ihnen Rückhalt und Stärkung zu sein in der bisweilen harten Wirklichkeit? Ja, er wäre zutiefst betroffen, wenn sich alles als schmeichlerische Lüge herausstellte. Gunnar lebt eben in der Erwartung von etwas überirdisch Schönem, wie es sich seiner Meinung nach für ein richtiges Zauberreich geziemt.

Ein zweites Mal auf dieser Reise nehmen Piri und Emir ihren menschlichen Kameraden in die Mitte: „Niemand aus dem Menschenreich durfte bisher eintreten in dieses Heiligtum, unseren Palast und gleichzeitig das Haus unserer Königin. Erweise Dich als dieser Ehre würdig!“ Der kleine Wurzel hat sich während der feierlichen kurzen Ansprache langsam bis zu dem Tor vorgearbeitet. Vor Gunnars Füßen setzt er sich nieder, um zu verschnaufen. Schließlich ist es sehr anstrengend, sich auf solch knorrigen Beinen fortzubewegen. Gunnar sieht dem kleinen Kerl an, wie sehr ihn des Elfen Worte berührt haben.

Nicht nur, dass sein Gesichtchen noch verschrumpelter ist als sonst. Nein, Wurzel versucht, sich so gerade aufzurichten, wie es eben geht, um diese Stunde zu achten. Aber er ist nun einmal nur ein Wurzelmännchen und Wurzelmänner haben schnörkelig gekrümmte Beine. Deshalb sind seine Bemühungen auch nicht gerade von großem Erfolg gekrönt. Verlegen legt er den Kopf in den Nacken und grinst Gunnar ganz besonders freundlich an - sozusagen zum Ausgleich. Gunnar versteht und lächelt herzlich zurück. Ja, unsympathisch sind sie sich eigentlich schon lange nicht mehr.

„Wurzel, wir sind bereit!“ Piri stupst das kleine Wesen sanft an. Wurzel versteht sofort, wendet sich zum Eingang und klopft mit einem seiner Ärmchen kräftig gegen das Tor. Es dauert nur einen winzigen Moment. Dann ziehen sich die beiden Türhälften in den Felsen zurück. Gunnar traut seinen Augen nicht. All seine Elfenwelt-Träume ziehen nochmals blitzschnell an ihm vorbei. Sie sind wundervoll gewesen. Er ist freundlichen Märchenwesen begegnet und durch Bilderbuchlandschaften voller atemberaubender Farben spaziert. Doch nichts davon ist vergleichbar mit dem, was er hier sieht. Es ist tausendmal prachtvoller als alles, was er sich je vorgestellt hat.

Es ist ein Felsensaal, mindestens vier Meter hoch mit einem reich mit Gemälden geschmückten Deckengewölbe. Sie stellen Wälder, Blumen und Meere dar, die im Licht glühenden Morgen- oder auch Abendrotes baden. Gunnars bewundernder Blick wandert zur höchsten Stelle der Decke und bleibt dort fasziniert haften. Dort ist eine riesige Glaskuppel eingelassen, durch die das Tageslicht den ganzen Raum in sanftes Licht taucht. „Wir befinden uns demnach hier direkt unter einem Felsplateau!“, folgert Gunnar. An den Längsseiten des Saales reihen sich großzügige Sitznischen aneinander, in denen zierliche Sofas mit golden verschnörkelten Lehnen und purpurroten Polstern zum Ausruhen einladen. Davor stehen niedrige Tischchen, geschmückt mit kleinen Leuchtern, die hübsche dunkelroten Kerze halten. Neben den Sofas stehen romantische Pflanzenkübel, in denen sich dichte Efeubäume und elegante hoch gewachsene Palmen dem Lichte entgegen strecken. Die Form ihrer Wedel erinnert Gunnar an die Elfenflügel. Es sind allerdings sehr viel kräftigere Flügel und so lang, dass sie in sanftem Bogen als grüne Schilder die Sofas und ihre Nutzer beschützen. Was wäre ein Elfenpalast ohne sie? Denn Elfen sind Naturgeister und alle Pflanzen ihre Freunde.

Mitten im Saale steht ein langer, wunderschöner Tisch. Auf ihm entdeckt Gunnar die herrlichsten Speisen und Getränke. Es ist genau so, wie es die Elfen beschrieben haben. Dekoriert ist die Tafel mit Lilienblüten in allen Regenbogenfarben. Jede Schüssel und jeder Teller ist mit einer solchen Blüte geschmückt. Zwei grazile Kerzenleuchter runden das Bild charmant ab. Gunnar kann sich nicht satt sehen an allem. Sein Blick wandert betört von diesem zauberhaften Bild wieder und wieder aufs Neue quer durch den Raum.

Da fällt ihm ein kleines Podest am gegenüberliegenden Ende des Saales ins Auge. „Dort steht der Thron unserer Königin!“, flüstert Emir voller Stolz. Anders als die Sitzgelegenheiten des Elfenvolkes ist dieser ganz von Blüten umrankt. Es sind Orchideen und Rosen, die mit ihrem charmantem Äußeren als einzig würdiger Rahmen den Platz ihrer Gebieterin umschmeicheln.

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