Margot, die gute Seele; - eine etwas andere Adventsgeschichte

Kalendergeschichte zum Thema Arbeit und Beruf

von  kirchheimrunner

Margot, die gute Seele
- eine wahre, irgendwie andere Adventsgeschichte


Zum Ort der Handlung: Wir sind am Receptions Desk eines internationalen, mittelständischen Unternehmens. Willkommen in einer rasend schnell wachsenden Start- up Company. Unser Geschäftsführer: Ein Entrepreneur, ein charismatischer Manager und Visionär. Er hat weiter Karriere gemacht und wurde zum Vorstandsvorsitzenden eines internationalen englischen Konzerns ernannt.

Und dann ist da noch Margot: - Margot, die gute Seele.
Ich hatte sie eingestellt, da war sie schon über 50. Damals war als Empfangsdame auf dem Arbeitsmarkt nichts besseres zu finden als sie. Ihr Englisch war für unsere Kunden eine Zumutung. Aber sie war etwas Besonderes. An ihr war  Engelhaftes: Für jeden hatte sie - je nach Bedarf - eine freundliche Ermunterung, einen Trost, ein Aspirin und ein Lächeln. Es war ein zurückhaltendes, warmherziges Lächeln, das nicht an den Mundwinkeln gefror, sondern sich wunderbar herzlich bis zu den Augen hoch schleichen konnte.

Margot war kein Top-Modell, keine blonde Fingernageltussi. Aber Margot half einem jedem, ohne Ansehen der Person. Sie half zerstreuten Kunden in den Mantel, führte japanische Damen zur Toilette, bürstete eitlen Koreanern den Anzug und machte jedem unserer vielen Bewerber Mut: „Zum Personalchef möchten Sie? Da brauchen Sie aber nicht nervös zu sein, unser Herr Feil ist ein ganz netter.“

Jeder Durstige bekam ein Wasser, eine Cola oder einen Saft. Bei unerwarteten Regengüssen hatte sie für jeden, der das Haus verließ, einen Regenschirm parat. Wie sie die alle herangeschafft hatte; - mir blieb das immer ein Rätsel.
Margot war mit jedem per du. Auch mit mir.
Akademischer Titel, Familienname und das persönliche Du! So wurde man am Morgen empfangen:
„Guten Morgen, Herr Dr. Schübel, ich wünsche Dir einen schönen Tag!
Grüß mir deine Kinder, Herr Feil, und sei mir nicht zu streng mit ihnen.“
„Und auf wieder sehen“, so rief sie mir am Abend nach…

Doch die Zeiten änderten sich.
Und mit ihnen auch unser Geschäftsmodell.
Die Stimmung wurde eisig: Neuausrichtung der Branchen; Business Units und Supportmanager prägten nun das Bild der Firma.

Als zwei Jahre später dieses Experiment in einem finanziellen Desaster scheiterte, kam der pensionierte Generalstabsarzt Dr. Eberreiter. Er reformierte und strukturierte, sanierte und militarisierte unseren Medizinbereich. Margot, die gute Seele, hatte von nun an einen schweren Stand.

„Wie werden wir diese Zumutung los?“

Alle Hebel wurden in Bewegung gesetzt, um Margot vor die Türe zu setzen.  Aus der guten Seele unserer Firma wurde ein sozialer Versorgungsfall:
Abfindung, Vorruhestand und wenn das nicht half, auch Abmahnungen.
Keine Taktik war Dr. Eberreiter zu schäbig: In den Strategiesitzungen tobte er und spuckte mit seiner feuchten Aussprache seine Adjutanten an: „Notfalls den Dienstposten streichen,
Outplacen,
ersetzen; - egal wie!“

Selten genug zeigte ich als Personalleiter Rückrat und Zivilcourage. Aber im Fall unserer Margot ließ ich mich nicht niederbrüllen oder klein machen. Ich kuschte nicht.
Und das hatte einen Grund:
Eines Abends, Mitte Dezember - so kurz vor 18 Uhr - rannte Margot aus der Firma.
Sie hastete die Straße entlang zur U – Bahnhaltestelle. Sie eilte im Laufschritt; aber nicht nach Hause.
Sie wollte zur Pilgersheimer Straße, dorthin, wo das Obdachlosenasyl war.

Es war der 4. Advent 2000.
Seit Jahren bediente sie dort die verlausten, stinkenden Penner; - diejenigen, die die Arschkarte gezogen hatten. Sie erzählte mir, dass auch ihr jüngerer Bruder dort oft zu finden war. Wenn sie ihn umarmen konnte, war sie selig wie ein Engel. Manchmal aber, wenn er sich billigen Fusel besorgt hatte, musste sie ihn und seine Kumpane eine ganze Nacht lang in den zugigen Löchern der Stadt suchen; -  um ihnen eine Decke zu bringen und eine heiße Tasse Tee.

Deshalb blieb ich standhaft: Wer Margot an den Kragen will, serviert die Menschlichkeit ab. Eine Kündigung? Das geht nur über meine Leiche!

Epilog
***


Dr. Eberreiter ging vor ihr in Pension. Er ist jetzt wissenschaftlicher Berater unserer Firma. Wenn er die Eingangshalle unseres neu errichteten, feudalen und äußerst repräsentativen Headquarters betritt, dann steht Margot mit ihren mittlerweile 64 Jahren hinter dem pastellfarbenen Tresen und begrüßt ihn freundlich und warmherzig:
Na, Dr. Eberreiter, wie geht es dir? Passt du auch auf dich auf? Und dann schleicht sich das liebevollste Lächeln, das man sich denken kann vom Mundwinkel bis zu den Augen hoch.
Dr. Eberreiter lächelt und grüsst freundlich zurück.

Das braucht er jetzt. Denn seit seiner Pensionierung und seinem Ausscheiden aus unserem Unternehmen hat keiner mehr so richtig Achtung vor ihm. Zu viele hat er durch seine kalte, herrische Art frustriert. Vielen hat er durch seine Leistungsbeurteilungen und Intrigen die Zukunft verbaut.

Die einzige, die nach wie freundlich und nett zu ihm ist, das ist Margot, das gute Kind.


Anmerkung von kirchheimrunner:

Margot A. haben wir in den Ruhestand versetzt. In allen Ehren. Im August 2005 hatte ich sie zuletzt gesehen. Mit Plastiktüten in jeder Hand hastete sie über den Münchner Odeonsplatz. Sie wollte zu ihrem Bruder.
Freundlich aber bestimmt zwängte sie sich durch die Menge von tausenden von Jugendlichen, die die bayerische Eröffnungsfeier zum Weltjugendtag beiwohnten.

Im dezember 2005 habe ich erfahren, dass Magots Bruder mittlerweile verstorben ist.

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Kommentare zu diesem Text


 BrigitteG (08.01.06)
Es lässt sich gut lesen, flüssig und angenehm. Vielleicht ein bisschen zu viele optische Absätze. Und dem Epilog nach scheint es wohl eine wahre Geschichte zu sein. Oder es wirkt zumindest so. Wenn es tatsächlich so passiert ist, kann ich schlecht was dagegen sagen. Aber an sich hatte ich spontan beim Lesen gedacht: "Was für eine HappyEnd-Geschichte" - so in Richtung Traumschiff. So rücksichtsvoll sind die Menschen nicht, die anderen kündigen. Und die, die an der Macht sind, steigen im Normalfall immer noch weiter nach oben. Deswegen wirkte das Ende der Geschichte auf mich inhaltlich etwas weit hergeholt. Willkommen und Grüße von Brigitte.

 kirchheimrunner meinte dazu am 08.01.06:
na ja,
du magst recht haben, es wirkt wirklich wie eine Seifenoper
aber die Geschichte ist wahr.
Und ich bin froh darum, dass es ein Happy End gab.

Leicht war es nicht; - viele andere blieben dabei auf der Strecke. Das hatte ich nicht geschrieben. Es tut auch nichts zur Sache. Ich wollte einfach eine Elegie auf Margot A. schreiben; - sie hat es verdient.
Danke für deinen Kommentar.
Hans
Blackrose (16)
(08.01.06)
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 kirchheimrunner antwortete darauf am 08.01.06:
Also ich weiß:
ich bin ein Absatzfetischist. Ein paar habe ich gekillt. Ich hoffe es passt jetzt...
Danke für euren Input: Magot, die gute Seele hat es verdient...

 Maya_Gähler (20.11.06)
sehr berührend und es macht sehr nachdenklich.
schön, dass es eine wahre geschichte ist.
und von dir ein feiner zug ihr diese geschichte zu widmen.
es zeigt, wie sehr du sie schätzt. sie hat es auch mehr als verdient
liebe grüsse maya

 kirchheimrunner schrieb daraufhin am 20.11.06:
Danke dir für den Kommentar.

Noch am Freitag hatte ich 2 Kollegen diesen Text vorgelesen. Sie waren ganz erstaunt und dachten "Magot" würde uns gegenüber sitzen.
Ich denke, das ist ein nettes Kompliment.

Und dir danke ich, dass du glaubst, dass es eine wahre Geschichte ist. Manche dachten ich flunkere, oder ich erfinde etwas rührseeliges für den Advent. ...

l.G. Hans
The_black_Death (31)
(14.01.07)
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