Ein zahmer Kanarienvogel...??

Short Story zum Thema Erinnerung

von  tastifix

Sie glauben es wahrscheinlich nicht, aber...!


Schon als Kind liebte ich Tiere. Als ich sieben Jahre alt war, schenkten mir meine Eltern einen Kanarienvogel.

Die Wahl meines zukünftigen gefiederten Freundes lief soo ab:
Wir marschierten in ein gutes Tiergeschäft und fragten die Piepmätze, welcher von ihnen daran interessiert sei, sein Leben mit uns zu teilen. Tja, in einem der Käfige sass ein sehr selbstbewusstes Vögelchen, dass mich auf meine noch etwas schüchterne Frage hin direkt keck anpiepste: "Piieep!" Es schien sich jedoch trotzdem noch nicht ganz sicher zu sein, wiegte das zitronengelbe Köpfchen hin und her und gab dann seine Entscheidung kund: "Tririli-piep!" Ganz nah ans Gitter war es gehopst und guckte mich neugierig an. Es zeigte überhaupt keine Angst. Im Nachhinein würde ich sagen: Der kleine Kerl war frech wie Dreck! Da er entschieden hatte, gab ich dieser Liebe aufs erste "Piep" nach und er zog bei uns ein. Zu Weihnachten stand der hübsche Vogelbauer vor dem Christbaum.

Hänschen, wie ich ihn taufte, bewies auch weiterhin, wie kess er war. Nach kurzer Eingewöhnungszeit streckte ich meine Hand in den Bauer. Zuerst flatterte er denn doch ein wenig verunsichert herum. Aber nach wenigen Stunden liess er sich zum ersten Male auf meinem Finger nieder...und blieb tatsächlich sitzen.

Ein paar Tage später öffnete ich die Käfigtüre und wartete ab. Hänschen überlegte kurz, trippelte auf dem Tisch vor seinem "Hause" hin und her. Ich hielt ihm wieder meinen Finger vors Bäuchlein. Er hopste drauf.

Das war der Beginn einer jahrelangen intensiven Freundschaft. Kam ich aus der Schule, flog mir der kleine Kerl quer durchs Zimmer freudesingend entgegen, landete auf meiner Schulter und beknabberte zärtlich meine Haare. Dann stimmte er sein schönstes Begrüßungsliedchen an.

Er durfte durch die ganze Wohnung fliegen, auch durch das große zweigeteilte Wohnzimmer, in dem er sich als Lieblingsaussichtsplatz den Kronleuchter ausguckte. Von dort oben hatte er uns bestens unter Kontrolle und es entging ihm nichts von dem, was unten so passierte. Doch ich brauchte nur mit dem Kopf zu nicken, dann raste er im Sturzflug zu mir und setzte sich auf meine Schulter.

Als Schulkind war ich ja zu so lästigen Beschäftigungen wie den Hausaufgaben verdammt. Hänschen hat mir jene Stunden versüsst. Er dachte gar nicht daran, mich in Ruhe lernen zu lassen. Er fand das viel zu aufregend, was ich da so trieb. Also setzte er sich kurzentschlossen auf meine Hand, mit der ich schrieb und begutachtete sehr genau, was dabei wohl heraus kam. Manchmal hatte ich das Gefühl, als überprüfte er das Ergebnis meiner Bemühungen.

Dauerte ihm das Ganze zu lange, hüpfte er solange auf meinem Schreibtisch hin und her, bis ich meine Arbeit unterbrach und mit ihm "Tauziehen" spielte. Das ging so:

Hänschen liebte frische Salatblättchen. Genau ein solches ernannten wir zum besagten Läppchen, um das wir dann kleine Kämpfe veranstalteten. Hänschen hing schimpfend mit dem Schnäbelchen an einer Ecke des Salatleckerchens und ich hielt dieses mit zwei Fingern am anderen Ende fest. Dann ruckte ich mit dem Blättchen vorsichtig hin und her. Wer jetzt denkt, der Kleine hätte aufgegeben, der irrt. Im Gegenteil: Hänschens Geschimpfe wurde immer lauter. Ganz offensichtlich ärgerte dieser kleine Macho sich maßlos, dass sein Frauchen so hartnäckig war. Mich trafen wütende, blitzende Blicke aus den niedliche Knopfaugen. Doch locker liess er beileibe nicht.

Naja, da ja doch die Siegeschancen sehr ungerecht verteilt waren, gab dann ich als liebendes Frauchen irgendwann nach, worauf dann urplötzlich das piepsige Gemeckere ein Ende fand, ich wieder den verschmusesten kleinen Freund auf meiner Hand sitzen hatte.

Aber wir hatten noch andere Spiele auf Lager. Der Käfig hing an einer Stange und hatte ein weit ausladendes Dach. Hänschen war mittlerweile so zahm, dass ich ihn auf ein kleines Steiffzebra setzen konnte, dessen Beine ich zwischen die Stäbe des Daches geklemmt hatte. Da sass dann mein kleiner Reiter, rührte sich nicht von der Stelle. Langsam drehte ich dann den Käfig. Jedesmal, wenn die Haltestange genau über seinem Köpfchen war, duckte sich Hänschen für eine Sekunde, um sich direkt hinterher wieder kerzengerade hinzusetzen. Dieses Spiel konnte ich stundenlang mit ihm spielen. Ich hatte das Gefühl, ihm machte das regelrecht Spaß.

Unsere Freundschaft wurde enger und enger. Lag ich krank im Bett, kam doch tatsächlich mein kleiner Vogel angeflogen, setzte sich entweder auf meinen Kleiderschrank direkt neben meinem Bett oder trippelte sogar übers Oberbett bis zum Kopfkissen, um sich dort direkt neben meinem Gesicht niederzulassen.

Mein Hänschen wurde immerhin elf Jahre alt. Diesen kleinen gefiederten Freund aus meiner Kindheit habe ich niemals vergessen, höre ihn in meiner Erinnerung immer noch laut singen. Heute denke ich, dass dieses Verhältnis Mensch-Kanarienvogel wahrscheinlich eine ziemlich grosse Ausnahme darstellte, denn diese Vögel sind eigentlich eher scheu.

Kennen Sie einen ähnlichen Fall?

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Kommentare zu diesem Text


 Dieter_Rotmund (05.07.18)
Ein klassisches Rührstück, verbunden mit einer doppelten direkten Ansprache des Lesers. Nicht nach meinem Geschmack, aber in den Grenzen eines menschelnden Rührstück soviel rausgeholt wie geht: Kind, Tier, Freundschaft, Kinderkrankheit, Familie und ein paar eingestreute Deminutive sind als dafür wichtige Komponenten enthalten.
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