Gegenschlag

Verstand vs. Irrsinn


Eine archivierte Kolumne von  Melodia

Dienstag, 29. Mai 2012, 23:41
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Alles ist klar, keiner weiß Bescheid

Was sind typisch deutsche Tugenden? Viele denken jetzt sicher an Begriffe wie Pünktlichkeit, Disziplin, Fleiß, Zuverlässigkeit und Ordnungssinn. So schön und schmeichelnd diese Klischees auch sein mögen: Wann wart ihr das letzte Mal auf einem deutschen Amt und musstet euch mit deren Bürokratie herumschlagen?

Mir ist klar, dass die Verwaltung in Deutschland trotz allem zügiger und effektiver von statten geht als in den meisten anderen Ländern, aber Ideal sieht dennoch anders aus. Und gerade weil uns diese Sitten nachgesagt werden, erscheint die tatsächliche Umsetzung im Amt gleichwohl als langsam, chaotisch und vor allem unorganisiert. Manchmal wird aus Schein und Wahrnehmung aber auch traurige Gewissheit.

Zum Beispiel wollten meine Verlobte und ich letzte Woche neue Reisepässe beantragen. Schließlich braucht man diese ja wenn man Visa beantragen und die Flitterwochen im subtropischen Ausland genießen möchte. Bei ihr kommt noch die Namensänderung hinzu. Und genau da fingen die Probleme an! Wie viele Wochen bzw. Monate im vor der Hochzeit kann man diese Beantragen? Nun sind wir ja nicht blöd und riefen auf dem Amt für Bürgerservice an. Klingt fast schon gehoben, oder? Jedenfalls erzählte uns eine Dame am Telefon, dass man den neuen Pass maximal zwei Monate vor Eheschließung beantragen kann. Also vereinbarten wir exakt für dieses Datum einen Termin, packten die in weisen Voraussicht bereits gemachten biometrischen Portraitfotos ein und gingen los, um unser Gesuch schnellst möglich in die Wege zu leiten. Ich gebe zu, dass war etwas naiv.

Im Bürgeramt angekommen mussten wir natürlich trotz Termin eine Viertelstunde warten. Damit kann man noch leben. Aber dann! Keine Minute im Zimmer und schon hätte ich irgendwas zerschlagen können: Noch beim hinsetzten erklärten wir den Grund für unser Besuch, der allerdings umgehend mit einem Kopfschütteln und einem entschiedenen „NEIN“ des Beamten abgeschmettert. Er meinte man könne erst sechs Wochen vor der Trauung neue Pässe beantragen. Ein Mal tief durchgeatmet und aber sichtlich genervt entgegneten wir ihm, dass wir, um genau so eine Situation zu vermeiden, uns vorher informiert hätten. Das konnte er nicht auf sich sitzen lassen. In der Hinsicht sind Beamte wie Lehrer: sie haben immer Recht! Er rief also seine Kollegin, Vorgesetzte oder Schwester an. Umso erstaunter war der Herr, als ihm berichtet wurde, dass es sogar drei Monate vorher möglich ist. Kommunikation und Informationsaustausch scheint nicht die Stärke diese Abteilung zu sein.

Nachdem das zum Glück geklärt war, dachten wir, jetzt stünde nichts mehr im Weg. Da war sie wieder, die Leichtgläubigkeit von Verliebten. Denn die einzige „Bescheinigung“ die uns vom Standesamt mitgegeben wurde, war die Falsche. Ohne das richtige Formular, in dem ersichtlich sei, dass eine Heirat und Namensänderung stattfinden wird, könne man nichts machen. Mich würde ernsthaft interessieren, wie oft es vorkommt, dass zwei Menschen bei denen auf der Matte stehen und nur vorgeben zu heiraten? Und Ist ja nicht so, als ob den Menschen auf dem Standesamt die Namensänderung entgangen wäre. Da könnte man doch meinen, dass sie gleich die Bestätigung mitgeben. Vor allem da wir explizit nachgefragt hatten, ob noch irgendwas benötigt würde, für neue Pässe und Dergleichen. Man lernt ja bekanntlich aus seinen Fehlern.

Wir mussten also wegen der Namensänderung meiner Verlobten erneut zum Standesamt, wohin wir bereits im Laufe des letzten Jahres ungefähr ein halbes Duzend Mal mussten. Eine doppelte Staatsbürgerschaft hat auch Nachteile und scheint Beamte im Allgemeinen stets zu überfordern. Meinen Pass durfte ich aber beantragen. Mitsamt Zeigefingerabdrücken beider Hände, was ich gelinde gesagt bereits als Element eines Polizeistaates ansehe. Denn das gab es schon mal in Deutschland; da war so ein kleiner, ständig mies gelaunter, wild gestikulierender und herumschreiender Mann der Chef vom Staat. Der mit dem dämlichen Oberlippenbärtchen. Hierfür Danke Herr Schäuble! Den könnte man doch endlich aufs Altenteil schieben bzw. rollen.

Eine Freundin besitzt eine unbefristete Aufenthaltsgenehmigung für Deutschland und wurde bisher immer in ihren Pass integriert. Scheint ja auch eine vernünftige Lösung zu sein. Als sie allerdings das letzte Mal ihren Pass erneuerte, was nebenbei bemerkt auch kein Spaziergang war, gab es eine Neuerung: Das Dokument wurde separat erstellt, auf einem Papier, dass ein bisschen an den alten Führerschein erinnert. Da stellen sich mir die Fragen, warum man zwei doch relativ wichtige Dinge nun trennt, wo sie doch ohnehin zusammen benötigt werden und warum man die Genehmigung auf ein loses Stück Papier druckt? Ich weiß nicht, wie das bei euch ist, aber ich habe hier Unmengen an Notizen, Zetteln und Papierfetzen herumliegen. Und wer verliert oder verlegt nicht ständig Aufzeichnungen?

Aber die Erleuchtung kam auf dem Fuße, als die Freundin weiter erzählte. Für die Genehmigung musste sie vorher ein Formular ausfüllen. Die Beamtin meinte noch, sie solle lieber alles nochmals auf Fehler untersuchen. Gesagt, getan und schlug die fachliche Kompetenz zu: Die Dame vertippte sich beim Übertragen! Als sie darauf hingewiesen wurde, kam als obligatorische Antwort: „Das kann nicht sein!“ Nein, natürlich nicht! Wie kommt man denn darauf. Wer weiß schon den Namen seines Geburtsortes! Es folgte ein langes hin und her mit dezent unterdrückter Wut. Am Ende meinte die Beamtin, dass sie es noch mal abtippen könne, aber das würde wieder zehn Euro kosten. Des besonderen Papieres wegen. Einem zerfledderten Lappen. Die Freundin hat daraufhin den Raum verlassen. Wer zahlt schon gerne für die Fehler anderer und lässt sich auch noch unnötig anschnauzen? Wie es nun ausgegangen ist weiß ich nicht, aber das Dokument hat sie mittlerweile wohl mit einer Büroklammer in den Pass geheftet.

Was ich alles erdulden musste, als ich vor geraumer Zeit Wohngeld beantragen wollte, spottet jedem Beamtenwitz. Nur kurz so viel: Ich weiß, es gibt gewisse Formulare und Vorgehensweisen, die auf dem Amt einzuhalten sind. Aber warum muss ich denn für die Finanzspritze als Student einen abgelehnten BAFÖG-Antrag vorweisen können, wo es doch absolut ersichtlich ist, dass ich auf Grund meiner fortgeschrittenen Semesteranzahl ohnehin kein BAFÖG bekommen würde?! Bin trotzdem hin und musste mir von der „netten“ Dame dort zunächst mal eine Tirade darüber anhören, wie man denn nur so lange studieren kann und was zum Teufel man denn die ganze Zeit getan hätte. Leider kann ich mich nicht mehr genau entsinnen was meine genaue Antwort darauf war, aber es hatte etwas mit „Freude und Spaß im Leben“ und „nicht einsam und verbittert“ zu tun. Das als Warnung an alle Beamten, die meinen, sich in meinen Lebensweg einmischen zu müssen und es zu kritisieren.

Das Prinzip der Bürokratie ist logisch durchdacht und vollkommen nachvollziehbar: Strukturen zur arbeitsteilenden Problemlösung aufbauen, die stabil, verlässlich, effektiv und für alle Bürger verständlich sind. Wieder ein Beispiel, wie sehr Theorie und Praxis auseinander liegen können. Man hat eher vom Gegenteil den Eindruck; dass keiner weiß was stimmt, niemand Änderungen, sowie Reglungen kennt und über die Verlässlichkeit als Ganzes brauchen wir nicht reden. Aber wen verwundert es, bei über 90.000 Vorschriften und einer komplizierten, undurchsichtigen Gesetzgebung. Das Problem scheint bereits weiter oben in der Hierarchie zu beginnen. Auch das eher nicht verwunderlich.

Wenigstens an zwei andere Grundsätze der Bürokratie scheinen sich die Menschen auf den Ämtern zu halten: Der einzelne muss so gut wie keine Verantwortung tragen; ja meist wird diese sogar vollständig abgewiesen; und die Tatsache, dass alle gleich und neutral behandelt werden, nämlich schlecht und gleichgültig.

Ich weiß, es gibt auch hier Ausnahmen, wahrscheinlich sogar mehr als man denken mag. Doch wie es so treffend heißt, bestätigen diese nur die Regel… und vermutlich die Vorschrift.

„Nicht jedes Problem muss jedes Mal neu gelöst werden“ ist schon richtig. Eine Problemlösung für die Verbesserung der Bürokratie würde reichen. Wir helfen auch gerne.

Aber wahrscheinlich gibt es auch hierfür ein passendes Formular.

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Kommentare zu diesem Kolumnenbeitrag


 Dieter_Rotmund (30.05.12)
Abgesehen von meiner sonstigen Abneigung gegenüber Heiraten verstehe ich ebenfalls nicht, warum man dann auch noch unbedingt seinen Nachnamen ändern muss. Sorry, aber da habe ich dann doch etwas Schadenfreude beim Lesen des Textes empfunden! Nichts für ungut!

 Melodia (30.05.12)
man muss ja nicht alles verstehen oder mögen... aber schön das ich wenigstens zu deiner erheiterung beitragen konnte... das waren auch nur beispiele... viel spaß bei der nächsten autoanmeldung...

 Melodia (01.06.12)
darauf den Beglaubigungsstempel!

und danke!^^

lg
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