Dienstags bei Inge

Ansichten übers Leben und Sterben und den Rest dazwischen


Eine archivierte Kolumne von  IngeWrobel

Freitag, 01. Januar 2010, 22:53
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Als an Silvester alle Computer ausfielen ...

Es geschah vor langer Zeit, da fielen am letzten Tag im Jahr des julianisch-gregorianischen Kalenders alle Computer der Welt – wie durch Teufelshand – einfach aus.
Ich bemerkte es zuerst, als ich um ungefähr 20 Uhr mitteleuropäischer Zeit meiner Großmutter einen Neujahrsgruß ins Seniorenstift schicken wollte. Ich kam nicht durch. Der Internet Explorer 13.13 und google universe blieben in meinem Slimslice Laptop kleben, rollten auf der Stelle, empfahlen mir immer wiederkehrende Bedienungsschritte – die immerwiederkehrend kein Fortkommen brachten.
Obwohl mir klar war, dass das mit meiner Großmutter absolut nichts zu tun hatte, versuchte ich es mit anderen Daten und Adressen. Ziemlich kindisch – und selbstverständlich erfolglos – aber was versucht man nicht alles in seiner Verzweiflung.
Die Silvesterstimmung war getrübt, soviel kann man sagen, ohne zu übertreiben.
Am ersten Tag des neuen Jahres bestand das Problem immer noch. Dank der funktionierenden Funk-Telefonleitungen hatten wir uns längst rückversichert, dass es ein allgemeiner Ausfall war, wir also unsere neue High-Speed-Home-Anlage nicht komplett auf den Wertstoffhof bringen mussten.

Am Morgen des ersten Wochentages musste ich einige dringende Erledigungen machen. Auf dem Weg zum Einkaufscenter fuhr ich im Ärztezentrum vorbei, weil ich Nachschub an einigen Medikamenten brauchte. Die Patienten standen bis in den Vorraum zur Anmeldetheke in einer Schlange. Ich wollte meinen Nummernzettel aus dem Automaten ziehen, aber der funktionierte nicht. Also stellte ich mich hinten an und wartete. Die Arzthelferinnen rannten mit roten Ohren zwischen der Rezeption und den einzelnen Behandlungs- und Warteräumen hin und her. Als ich endlich an der Reihe war, ging es vergleichsweise zügig. Man kannte mich inzwischen als langjährige Patientin mit Namen und glaubte mir, dass ich derzeit noch versichert war. Überprüfen konnte man das nicht, da die dafür nötige Elektronik ausgefallen war. Nachdem ich der Helferin die Namen der Medikamente und Hersteller buchstabiert hatte, verschwand sie mit den Daten in einem der hinteren Räume, und kam nach längerer Zeit mit einem komplett handgeschriebenen Rezept zurück. Der Doktor hatte sich zum Glück erinnert, dass die Patientin Wrobel, Inge, an dieser chronischen Erkrankung litt und seit Jahren von ihm diese Mittel dagegen verschrieben bekam. Ich erhielt noch eine handgeschriebene Quittung für die geleistete Gebühr, und ging dann erleichtert an der langen Menschenschlange, die sich hinter mir gebildet hatte, hinaus.

Der riesige Parkplatz des riesigen Einkaufscenters war gerammelt voll. Alle Kassen waren mit jeweils zwei Mitarbeiterinnen besetzt. Die Kunden schoben ihre Waren per Hand stückchenweise auf dem unbeweglichen Laufband in Richtung zum nicht funktionierenden Scanner. Dort stand eine Mitarbeiterin, die in einer mehrseitigen Liste nach dem Preis des jeweiligen Artikels suchte. Ware, die nach Gewicht abgerechnet werden musste, wurde mittels einer Waage abgewogen. Dann wurde von der zweiten Kassiererin unter Zuhilfenahme eines batteriebetriebenen Taschenrechners der Preis errechnet, und auf ein Blatt in ein DIN A4großes Buch geschrieben.
Waren alle gekauften Artikel registriert, wurde die ermittelte Summe doppelt unterstrichen, und der Kunde bekam seinen Durchschlag aus dem Buch herausgerissen und überreicht. Die Kassiererin zeigte der Kollegin zur Kontrolle das vom Kunden gegebene Geld, legte es in die unverschlossene Kasse, und zeigte ihr dann noch das Wechselgeld, bevor es der Kunde bekam.

Als ich am Nachmittag mit meinen Einkäufen und den Medikamenten aus dem Apothekenhaus erschöpft zu Hause eintraf, fiel mir plötzlich meine Großmutter wieder ein. Ich setzte mich hin, und schrieb ihr einen langen Brief, den ich dann noch sofort zum Service-Point der Post-Beförderungs-Zentralstelle-für-Privatkunden brachte.
Am nächsten Tag rief Granma mich an und versicherte mir, dass sie solch nette persönliche Neujahrsgrüße seit Jahren nicht erhalten habe.

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Kommentare zu diesem Kolumnenbeitrag

wortverdreher (36)
(05.01.10)
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