andi(e)stirnschlag

Kleinlichkeiten


Eine archivierte Kolumne von  AndreasG

Mittwoch, 21. Oktober 2009, 22:28
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sonniger Oktober

Ein wunderschöner Herbsttag liegt hinter mir. Er war angenehm kühl und dennoch so wolkenfrei, dass die Sonne ein wenig Kraft besaß. Das rote und gelbe Laub raschelte im leichten Windzug hin und her. Einzelne Blätter flatterten ein paar Meter durch die Luft, Rabenkrähenpaare hopsten an unbeobachteten Stellen über den Boden und sogar einige verirrte Insekten schwirrten herum.
Letzteres ist natürlich tragisch, auch wenn es im ersten Moment lebendig und freundlich wirkt. Die warmen Sonnenstrahlen wecken die Tiere aus der Kältestarre und geben die Startenergie für das Herumfliegen. Doch eine Möglichkeit die Energie zu erneuern bieten sie nicht. So ist die Überlebenschance der Insekten gering: unnütz verpulvern sie die Reserven, die sie zum Überwintern brauchen. Und einen geschützten Platz finden sie meist auch nicht mehr.

Im Prinzip eignet sich dieses idyllische - und gleichzeitig tragische - Bild für eine Metapher, klar. Ein Wesen, dass ein arbeitsreiches und anstrengendes Lebensjahr verbracht hat, um durch die “schlechte“ Zeit am Ende des Jahres zu kommen und dann verführt wird … eine sehr sprechende Analogie.
Erlebt habe ich aber das: zwei Frauen, die eine Mitte Dreißig, die zweite in den Sechzigern. Beide dick eingemummelt in Schal und Mantel (wegen der strahlenden Sonne nicht zugeknöpft, sondern nur zugeklappt) und mit Stiefeln an den Füßen, die nach Ski-Urlaub in den Hochlagen schreien.

„Kuck mal Mutti.“
„Was ist denn?“
„Kuck mal da: eine Biene.“
„Das ist eine Wespe – und eine fette noch dazu. Mach sie tot.“
„Aber Mutti, das ist doch eine Biene.“
„Glaub mir, ich kenne mich da aus. Das ist eine fette Wespe und wenn die Dich sticht, dann bekommst Du eine Beule, so groß wie ein Apfel. Zertrete sie.“
„Aber im Oktober gibt es doch gar keine Wespen mehr.“
„Umso gefährlicher sind die. Ist bestimmt keine einheimische Wespe.“
Die ältere Frau (= “Mutti“) versucht auf das krabbelnde Tier zu treten, unterschätzt aber die Klobigkeit der Stiefel und streift nur das Bein der jüngeren Frau.
„Mach sie endlich tot, das ist doch ekelhaft.“
„Aber Mutti! – Die ist ganz lieb und krabbelt nur ein Bisschen.“
„Die ist bestimmt krank, Tollwut oder so. Mach sie jetzt endlich tot.“
Einer dieser blöden Besserwisser kommt hinzu, geht in die Hocke und lässt das Tier auf ein Blatt Papier kriechen. In seinem Kopf zerplatzt gerade die Idee einer Metapher …
„Passen Sie mit der Wespe auf! Die ist bestimmt gefährlich.“
„Ja, sie hat bestimmt die Schweinegrippe.“
„Genau. Oder irgend eine andere Krankheit.“
„Ja, ich entsorge die Hummelkönigin darum auch fachmännisch.“
„Zerquetschen sie sie. Mit einer Schaufel oder so.“
„Etwas in der Art. Ja.“
Ohne nachzuschauen ob das Tier einen Ringelschwanz hat, wird es an einer schattigen Stelle in eine Hecke gesetzt. Der blöde Besserwisser geht danach einfach weg.

Schade, dass sich im Leben so wenige Erlebnisse finden, die für Analogien geeignet sind.



Andreas Gahmann

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