andi(e)stirnschlag

Kleinlichkeiten


Eine archivierte Kolumne von  AndreasG

Donnerstag, 03. Dezember 2009, 02:07
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Weihnachtsmythen

Wenn es um das Brauchtum innerhalb der Weihnachtszeit geht, belächeln die meisten Menschen jede nähere Beschäftigung mit dem Thema. Nur wenige sind dabei so verkrustet, dass es ihnen um die mögliche Widerlegung ihrer Ansichten geht. In der Regel ist es eher ein gutmütiges Belächeln, das mehr in die Richtung zielt, dass der geringe Wahrheitsgehalt doch eh jedem Menschen bekannt sein müsste.
Aber …

… wenn das Thema dann doch vertieft wird …

… bleiben gar nicht mehr so viele übrig, die weiterhin ihre freundlich distanzierte Haltung beibehalten. Manchmal können sogar Streitereien entstehen, weil jeder seine Ansicht für die allgemein bekannte und eindeutig wahre Sichtweise hält.

Nehmen wir etwa den Nikolaus, der in den nächsten Tag wieder fällig ist. Was ist da so im Umlauf?
- der war Bischof und verteilte sein ererbtes Vermögen an die Armen
- der trug doch diesen roten Mantel und teilte … ähm … oder war das St.Martin?
- ein Bischof in der Frühzeit des Christentums, der einige Wunder bewirkte … keine Ahnung welche.
- kam der nicht aus der Türkei?
- das reale Vorbild für den Weihnachtsmann, weil der als Bischof gut zu Kindern war
- ein Bischof, klar, darum auch diese Bischofskrücke und die Mütze
- der hat nichts mit dem Weihnachtsmann zu tun, weil der doch von Coca-Cola erfunden wurde

Es wird deutlich, dass der Nikolaus etwas nebulös ist. Daran ändert sich auch nach einer Recherche nicht viel, denn besonders viele Berichte finden sich nicht über ihn. Zumindest finden sich über weniger populäre Heilige nicht unbedingt weniger Legenden, Zeitzeugenberichte und Wundermeldungen:
Nikolaus war nicht der einzige, der sein geerbtes Vermögen an die Armen verteilt haben soll, gut zu Kindern waren auch viele, Geschenkeverteilen ist/war kein Monopol, die Bekehrung von Ungläubigen gehört zum Job der Heiligen und Wunderwirken gilt noch immer als Eingangsvoraussetzung, um überhaupt Heiliger werden zu können. Abgesehen davon kann von einem Bischof ja wohl eh etwas mehr “Eigenleistung“ erwartet werden. Wie also hat es dieser Nikolaus geschafft dutzendfacher Schutzheiliger (von: Händler (Hanse), Bäcker, Fischer, Seefahrer, Brückenbauer, Metzger, Küfer, Weinhändler, der Alten, der Kinder, der Pilger, der Reisenden …) und die populärste Vorweihnachtsfigur zu werden?

Historisch gesichert scheint, dass früher zum Nikolaustag die Geschenke verteilt wurden. An den Weihnachtstagen selber gab es nur noch Kleinig- und Süßigkeiten. – Im Zuge der Reformation – und dem damit verbundenen Sturz der Heiligen – verschob sich die Schenkerei. Dabei kam das Christkind als Verteiler ins Spiel, der Nikolaus musste seinen Arbeitstag um achtzehn Tage nach hinten verschieben oder ein grün gekleideter Weihnachtsmann ersetzte ihn (insoweit hat Coca-Cola gar nicht soviel erfunden, sondern nur eine der Ideen übernommen und ausgebaut).
Schon früh scheint Nikolaus verehrt worden zu sein, was die Legenden über ihn nur unvollständig erklären können. Die damalige Zeit war reich an Wundertaten und Wundertätigen. Nahrungsvermehrung, die Rettung von Verlorenen und das Märtyrertum finden sich bei vielen Heiligenlegenden. Wobei nicht unerwähnt bleiben sollte, dass der Bischof Nikolaus von Myra zwar (als Märtyrer) gefoltert, nicht aber getötet wurde.
Die Stadt Myra war auch nie mehr als ein lokales Zentrum, was eine starke Verbreitung erklären könnte. Aber ein Zufall kann es kaum sein (etwa die zufällige Nähe zu Weihnachten), denn schon vor Coca-Cola hatte sich Nikolaus als Geschenkebringer etabliert und eine große Popularität erkämpft.
Es bleibt mysteriös, obwohl so viel zu finden ist. Jeder Tag des Jahres hat mehrere Heilige, zu denen es oft lange Geschichten und blutig triefende Sterbelegenden gibt. Aber ausgerechnet ein verarmter Händlersohn aus einem abgelegenen Kaff kurz vor dem Nirgendwo (was damals so ziemlich alles außerhalb des ehemaligen römischen Reiches war) schaffte den Aufstieg zu einer Ikone der Weihnachtszeit. Kein Wunder, dass sich dazu jeder eine eigene Erklärung zusammenbastelt.



Andreas Gahmann

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