andi(e)stirnschlag

Kleinlichkeiten


Eine archivierte Kolumne von  AndreasG

Mittwoch, 06. Januar 2010, 23:13
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hand(y)zahm

Noch vor einigen Jahren wurde jeder krumm angeschaut, der sich dahingehend outete, dass er/sie nicht zu den Handybesitzern in Deutschland gehöre. Im besten Fall zählte derjenige zu den Exoten oder bekam das Etikett “zukünftiger Handybesitzer“ verpasst. Häufiger war die Bezeichnung altmodisch (mit dem Unterton „ewiggestrig“) oder uncool, was bis zum lang gezogenem “seltsaaam“ – in allen Nuancen, die in diesem Wort versteckt sein können – reichen konnte.
Inzwischen sieht das anders aus. Das Handy gehört zum Muss und hat darin längst den Führerschein und den Fernseher überholt. Selbst ein fehlender Computer wird eher akzeptiert als ein nicht vorhandenes Mobiltelefon (wobei dieser Name nicht sehr verbreitet ist und vom Verfasser nur benutzt wird, um nicht ständig Handy schreiben zu müssen).
Glücklich können sich die Nichthandybesitzer fühlen, die in einem Beruf stehen, der die ständige Erreichbarkeit (noch?) nicht einfordert. Ansonsten haben schon viele Chefs die Handynummern ihrer Mitarbeiter und nutzen sie auch. Bei MitschülerInnen, Kommilitonen oder Arbeitskollegen sieht das ähnlich aus, auch wenn es phasenweise noch cool sein kann das Telefon zu Hause “vergessen“ zu haben, damit Mutti nicht anrufen kann.
Für Benutzer der Deutschen Bahn ist es undenkbar ohne Handy mit lästigem Klingelton in einen Zug einzusteigen. Zumindest auf die Ohrstöpsel und das demonstrative Zeigen des mobilen Multifunktionsdingsbums kann nicht verzichtet werden.
Auch der Einkauf ist ohne grenzdebiles Telefongeschnatter kaum noch denkbar. Ob nun der Rentner, der bei seiner Frau nachfragt, ob er auch einen anderen Joghurt mitbringen darf oder die älteren Damen in der Kassenschlange, die noch wichtige Dinge mit ihren Freundinnen (wahlweise: Kinder, Enkel, Ehemänner, Nachbarinnen …) zu bereden haben. Ohne Handy läuft da auch in der älteren Generation gar nichts mehr.
Auf dem Parkplatz, im Auto, beim Spaziergang im Park, beim Gassigehen mit dem Hund, im Lokal, an der Pommesbude, beim Schlendern durch die Fußgängerzone … überall wird gequatscht oder gesimst was die Kiste hergibt.
So habe ich mir vor zwei Jahren auch so ein Ding angeschafft, das inzwischen nicht nur vollkommen veraltet und uncool ist (uncool war es vor zwei Jahren schon … aber es will einfach nicht zum Kult werden), sondern auch gerne einen leeren Akku hat. Mein Anbieter nervt mich längst nicht mehr, dass ein Vertrags-Handy viel günstiger sei (da helfen nämlich keine Rechentricks) und meine Bekannten haben sich daran gewöhnt, dass Gespräche mit mir kurz und bündig sein müssen.
Dennoch scheint es so zu sein, dass ich auf dem falschen Gleis stehe. Handy? Okay. - Leeres Handy? Auch okay. - Vergessen das Handy aufzuladen? Wird schmunzelnd hingenommen. - Wiederholt vergessen das Handy aufzuladen? Erntet ein Seufzen und Schulterzucken.
Aber was ist, wenn jemand eine handysicher Wohnung hat? Wenn keine Anrufe ankommen, sobald das Mistding nicht in der Nähe des Fensters liegt? Wenn erst Stunden später die SMS des Anbieters durchkommt und mitteilt, dass jemand angerufen hat?
Erst gestern hörte ich ein lang gezogenes “seltsaaam“, als ich von den abschirmenden Eigenschaften meiner Wohnung erzählte. Da half es auch nicht zu erwähnen, dass mein Handy in der U-Bahn streikt und Tunnel nicht sehr mag. Allein der Umstand eine Wohnung zu haben, in der das Mobilfunknetz nicht reibungslos funktionieren könnte, löste schon ein Naserümpfen aus.
Nicht mehr lange und ich werde krumm angeschaut. Und dann?



Andreas Gahmann

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Kommentare zu diesem Kolumnenbeitrag


 Anifarap (07.01.10)
Dann hast du deine Ruhe. ;)

Lieben Gruß,

Esther
wortverdreher (36)
(07.01.10)
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