andi(e)stirnschlag

Kleinlichkeiten


Eine archivierte Kolumne von  AndreasG

Donnerstag, 25. Februar 2010, 00:47
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Beweislast

In Eigentumsfragen haben wir in Deutschland eine Rechtstradition, die bis weit ins Mittelalter zurück reicht. Damals waren Körperverletzungen weitaus unwichtiger als Eigentumsdelikte, was tief in dem damaligen Bewusstsein verankert war und aus heutiger Sicht kaum verständlich ist. Immerhin hat sich die Gesellschaft und die religiöse Einstellung gewandelt. Wer heute behaupten würde, dass es im irdischen Jammertal nur auf die Reinheit der Seele ankäme und diese durch körperliche Qualen geläutert werden könnte, bekäme vermutlich ziemlich häufig ein “Häh?“ zu hören.
Aber selbst diejenigen, die sich in dieses Weltbild hineindenken könnten, wären davon sicherlich nicht sehr angetan oder würden demjenigen den Weg ins nächste Sado-Maso-Studio weisen.
Was sich aber aus der damaligen Zeit gerettet hat, ist die unterschiedliche Bewertung von Straftaten. So werden in der Regel Diebstähle höher bestraft als Körperverletzungen und nur eine Kombination von beidem wird als Steigerung angesehen.
Eindeutig scheint dabei die Beweislast verteilt zu sein. Nach einer Strafanzeige werden beide Seiten aufgefordert Stellung zu beziehen und ihre Beweise auf den Tisch zu legen. Hat einer keine Beweise, so spricht das klar gegen ihn. Noch eindeutiger ist das bei Urkundenfälschungen und Betrug, denn hier gilt schon ziemlich lange der Indizienbeweis als bindend. Er kann nur in Einzelfällen durch Zeugenaussagen unterminiert werden.
Setze ich also meine Unterschrift unter einen Vertrag, so ist das Geschäft bindend (abgesehen vom Widerspruchsrecht) und schiebt mir jemand einen gefälschten Vertrag unter, so ist das zumindest Urkundenfälschung. Eine Ausnahme stellen nur die mündlichen Geschäfte dar, die trotzdem allen Regeln des Vertragsrechts unterliegen.

Was aber, wenn einem einfach Geld vom Konto abgebucht wird und ein Brief ins Haus flattert, der von einem angeblich abgeschlossenem Vertrag faselt?
Manche Leute bekommen täglich mehrere Briefe mit Gewinnversprechen, wahnsinnigen Sonderangeboten und anderer plumper Werbung. So mancher fällt auch darauf herein und bestellt etwas oder unterschreibt einen Vertrag. Aber ich spreche hier von einer viel perfideren Methode: der Empfänger wird als Neukunde begrüßt und gleichzeitig wird schon Geld vom Konto abgebucht. Dabei hat es vorher nie einen Kontakt gegeben. Stattdessen ist der Empfänger das Opfer eines Weiterverkaufs seiner persönlichen Daten (mit Bankverbindung) geworden.
Und was nun?

Verbraucherschutzmitarbeiterin: „Das Geld sofort zurückbuchen.“
Sohn des Opfers: „Klar, schon geschehen. Und dann?“
Verbraucherschutzmitarbeiterin: „Einen schriftlichen Widerspruch einlegen.“
Sohn des Opfers: „Ist passiert. Einschreiben mit Rückantwort.“
Verbraucherschutzmitarbeiterin: „Wir haben hier passende Briefe, die als Vorlage dienen können oder wir formulieren das für sie.“
Sohn des Opfers: „Ja, schön. Aber mein Vater hat mit dieser Firma noch nie Kontakt gehabt. Oder besser: mit diesen Firmen. Es ist im letzten Jahr mehr als zehn Mal passiert.“
Verbraucherschutzmitarbeiterin: „Das Vorgehen ist da immer gleich.“
Sohn des Opfers: „Aber warum lässt die Bank überhaupt eine Abbuchung zu? Es liegt doch keine Unterschrift vor.“
Verbraucherschutzmitarbeiterin: „Die Lastschrift kommt von einer anderen Bank und da geht ihre Bank davon aus, dass alles korrekt ist.“
Sohn des Opfers: „Und wieso prüft die andere Bank das nicht? Ich kann doch auch nicht von irgendjemandem Geld vom Konto abbuchen, nur weil ich zufällig die Kontonummer kenne.“
Verbraucherschutzmitarbeiterin: „Das dient der Vereinfachung des Zahlungsverkehrs. Heute kann einfach nicht mehr jede Kontobewegung geprüft werden. Das müssen die Kontobesitzer eigenverantwortlich tun und gegebenenfalls das Geld zurück holen.“
Sohn des Opfers: „Dann gehen die Kosten also direkt auf den Kunden über, der die Lauferei und die Portokosten hat? Das ist eine tolle Kosteneinsparung.“
Verbraucherschutzmitarbeiterin: „So häufig kommt das ja nicht vor.“
Sohn des Opfers: „Bestimmt nur bei Menschen, die das achtzigste Lebensjahr überschritten haben und bei denen man hofft, dass sie nichts mehr mitbekommen.“
Verbraucherschutzmitarbeiterin: „Es gibt auch andere Geschädigte. Wenn eine Kontonummer erst mal im Handel ist …“
Sohn des Opfers: „Und was kann man sonst noch tun?“
Verbraucherschutzmitarbeiterin: „Wie meinen Sie das?“
Sohn des Opfers: „Verklagen, anzeigen oder so. Das ist versuchter Diebstahl oder Betrug.“
Verbraucherschutzmitarbeiterin: „Dafür müssen Sie beweisen, dass der Andere kein Recht hatte Geld abzubuchen.“
Sohn des Opfers: „Wie bitte? Ich muss beweisen, dass er kein Recht hatte? Müsste es nicht heißen, dass er beweisen muss, dass er das Recht hatte? Etwa durch einen Vertrag mit Unterschrift.“
Verbraucherschutzmitarbeiterin: „Der Vertrag kann ja auch am Telefon geschlossen worden sein und dort wurde ihm die Kontonummer gegeben.“
Sohn des Opfers: „Na toll.“

Ist es nicht schön, dass manchmal niemand Schuld hat und die Polizei deswegen auch nicht aktiv werden muss?


Andreas Gahmann



Strafgesetzbuch § 242: Diebstahl
(1) Wer eine fremde bewegliche Sache einem anderen in der Absicht wegnimmt, die Sache sich oder einem Dritten rechtswidrig zuzueignen, wird mit Freiheitsstrafe bis zu fünf Jahren
oder mit Geldstrafe bestraft.
(2) Der Versuch ist strafbar.

Strafgesetzbuch § 263: Betrug
(1) Wer in der Absicht, sich oder einem Dritten einen rechtswidrigen Vermögensvorteil zu verschaffen, das Vermögen eines anderen dadurch beschädigt, daß er durch Vorspiegelung falscher oder durch Entstellung oder Unterdrückung wahrer Tatsachen einen Irrtum erregt oder unterhält, wird mit Freiheitsstrafe bis zu fünf Jahren oder mit Geldstrafe bestraft.
(2) Der Versuch ist strafbar.

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Kommentare zu diesem Kolumnenbeitrag

wortverdreher (36)
(25.02.10)
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