andi(e)stirnschlag

Kleinlichkeiten


Eine archivierte Kolumne von  AndreasG

Donnerstag, 04. März 2010, 00:30
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Diskussion in Forum

Im Forum brodelte wieder einmal die Diskussion um die Demokratiefrage hoch. Wie zu erwarten, entzündete sich gleich an einigen Wörtern/Begriffen ein zäher Streit, denn es ist ein sehr emotionales Thema. Jeder beschreibt seine komplexe Weltsicht mit klar definierten Begriffen, vergisst jedoch, die Definitionen mitzuliefern. Warum auch? Die Definitionen sind doch völlig klar, sachlich und nachvollziehbar …
Leider ist diese Einstellung der vielleicht häufigste Grund für Missverständnisse: Jeder Mensch hat seine eigenen Wortdefinitionen. Benutzen wir also die gleichen Wörter, so kommt bei jedem eine unterschiedliche Bedeutung an. Da helfen auch nicht die beiden beliebtesten Vorschläge, wie das Missverständnis vermieden werden kann.
Nr. 1: man kann das Wort nachschlagen und seine genaue Bedeutung erfassen
Nr. 2: man muss die übliche Bedeutung annehmen, also die Bedeutung, die allgemein verstanden wird
Beide Ansätze kränkeln, denn sie vergessen, dass Wörter und Begriffe sofort im Gehirn aufgenommen und individuell bewertet werden. Da muss jemand schon sehr viel Kontrolle über seine Emotionen haben, damit diese Bewertung noch einmal kritisch hinterfragt werden kann. Zudem spielen die Diskutierer gerne mit Schlagwörtern, die in besonders starken Maße emotional belegt sind, was die Sache nicht einfacher macht.
Und, nicht zu vergessen: die angeblich so klaren Wortdefinitionen und allgemeinen Bedeutungen entpuppen sich bei genauerem Hinsehen fast immer als nebulös, mehrdeutig oder völlig daneben.

Dabei müssen wir gar nicht bis zu den kritischen Wörtern gehen, etwa Volk, Autobahn, Nation, Gerechtigkeit oder Liebe. Es reichen schon recht simple Begriffe, um die Unterschiede zu zeigen. Nehmen wir etwa das hübsch sachliche Wörtchen “Regal“.
Jeder weiß, was ein Regal ist, soweit wir das Wort nehmen, das “Regale“ als Pluralform hat (im Gegensatz zu “Regalien“) und ein Möbelstück meint. Jeder weiß auch, dass es unterschiedliche Regalformen gibt, die eine schlichte Definition zusammenhält.
Hochregal, Kellerregal, Bücherregal, Wandregal oder Holzregal sind nur einige wenige Beispiele für die Klassifizierungsmöglichkeiten eines Regals. Hier wird nach Bauart, Aufstellungsort, Inhalt, Material und Größe unterschieden, doch die Beschreibung muss mehrere Sätze beinhalten, wenn wir wollen, dass unser Gegenüber möglichst genau das Regal vor Augen hat, das wir uns vorstellen. Verwenden wir das Wort aber nur so, kann jeder das Regalbild im Kopf haben, das er/sie spontan damit verbindet (etwas, das nach den eigenen Erfahrungen assoziiert wird).
Seltsamerweise schadet das in der Regel gar nicht und führt auch nicht zu Missverständnissen, obwohl doch etwas völlig Unterschiedliches verstanden werden kann. Das liegt wiederum daran, dass wir neutrale Begriffe in einem allgemeinen Zusammenhang auch allgemein bewerten (also keine detaillierte Vorstellung haben) und in einem persönlichen Zusammenhang meist auch ein konkretes Vorwissen besitzen. Hier funktioniert die Sprache nämlich wie ein Code.
Diese Codierung führt bei Diskussionen wiederum zu Schwierigkeiten. Sobald ein Thema nämlich den allgemeinen Laberbereich verlässt und tiefer in die Materie eintaucht, werden die emotionalen Assoziationen bedient und die persönliche Definition abgerufen. Geachtet wird vielleicht noch auf die umrahmenden Formulierungen, die sonstige Wortwahl und/oder die Häufung besonders bewerteter Begriffe, aber das führt alles in die gleiche Sackgasse: ins Missverständnis.
So kann dann ein Wort wie “Volk“ der Kristallisationspunkt für einen Streit werden und es spielt keine Rolle, was eigentlich gemeint war. Auch eine Erklärung oder Aufklärung verpufft, solange das Wort immer wieder verwendet wird.
Es ist die Natur des Menschen, die das Problem darstellt. Der Mensch ist nicht für große Volksmengen konzipiert, sondern für kleine Gruppen bis maximal 500 Mitglieder. Innerhalb einer solchen Gruppe entwickelt sich ein gemeinsames Sprachgefühl, ein gemeinsamer Code. Das kennen wir von Familien und Freunden, wo oft recht simple Aussagen ausreichen, um komplexe Sachverhalte zu beschreiben oder Kommandos zu geben („Gib mir mal das Dings“). Das kennen wir aber auch von Berufsgruppen, die über die Arbeit einen vergleichbaren Code benutzen und kein bewusstes Empfinden dafür haben, dass die “Gruppe“ vielleicht größer als 500 Personen ist. Das kennen wir aber auch von Vereinen und anderen Gemeinschaften: es dauert eine Weile, bis man sich an die Sprache gewöhnt hat und die Welt erkennt, die sich hinter jedem Wort und hinter jeder Formulierung auftun kann.

Oder um bei dem Beispiel zu bleiben:
Sprache ist wie ein Regal von Ikea. Die Bauanleitung ist kompliziert und so schrauben wir ohne Bauanleitung zusammen, was wir meinen gekauft zu haben; - oft genug passt es auch irgendwie. Und wenn nicht, dann ist der Hersteller der Bösewicht, weil er nicht alles mitgeliefert hat (was sogar der Fall sein kann) oder die falschen Teile in die Packung legte (was auch passiert).
Und um bei dem Bild zu bleiben: vieles von dem, was solide und haltbar erscheint, entpuppt sich letztlich als Pressspan … oder Press-Spam?



Andreas Gahmann

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Kommentare zu diesem Kolumnenbeitrag


 Dart (04.03.10)
Ich wusste zwar nicht, dass wir so hohe Wellen geschlagen haben, dass wie dazu sogar mit einer Kolumne "geehrt" werden, aber sie gefällt mir. Im Grunde hast du recht, jeder versteht das, was er aufgrund von Bildung, Erziehung und Umfeld damit assoziiert. Da kann man sich bei vermeintlichen (nicht immer, manchmal muss jemand einfach belehrt werden) Missverständnissen schon mal ganz schön in die Haare kriegen.
wortverdreher (36)
(04.03.10)
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 Matthias_B (06.03.10)


" Viele (auch bei KV) wollen intelligent, kultiviert und abgeklärt daherkommen und drehen bei der ersten kontroversen Diskussion völlig durch. Verunglimpfen Namen, teilen Beschuldigungen aus."

(Subjektiv empfunden:) Treffend und auch ein bisschen witzig umrissen.
Ebenso angemerkt: Politisch bedeutet wertend, Positionierung wird als unbedingt dazugehörend erachtet.
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