andi(e)stirnschlag

Kleinlichkeiten


Eine archivierte Kolumne von  AndreasG

Donnerstag, 22. April 2010, 03:03
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sinnig

Seit Jahrtausenden denken Menschen über sich selber nach, entwickeln Theorien und Religionen, streiten sich, führen Kriege und starten sogar Hetzjagden auf Andersdenkende. Dabei geht es “nur“ um ein ganz privates und individuelles Thema: um den Sinn des Lebens.
Fragt man mal ein wenig herum, so ist die Auswahl an Antworten recht überschaubar. Da sind schwammige Aussagen wie: “Spaß ist es“ oder “ein gutes Leben müssen wir führen“ – oder angestaubte Wortspiele wie: “arbeiten um zu leben und nicht leben um zu arbeiten“ – oder religiöse Bekenntnisse wie: “ein sündenfreies Leben führen“ – oder es wird auf das Gewissen verwiesen, eine Belohnung nach dem Tod angedeutet oder eine esoterische Lösung genannt. Immer geht es darum, dass die Menschheit eine Sonderstellung hat, etwas Besonderes ist oder eine Chance hat, die außergewöhnlich ist.
Darauf angesprochen kommt aber auch nicht die riesige Auswahl an Möglichkeiten. Vielmehr heißt es dann, der Mensch habe Bewusstsein, könne etwas empfinden, das anderen Lebewesen unmöglich sei oder es gäbe “einfach mehr“ als unser Verstand erfassen könne. Nur in seltenen Fällen fällt das Schlagwort Bio-Roboter oder der Spruch “wir sind auch nur Tiere“.
Stattdessen kommen in der Regel schnell noch die klassischen Floskeln und Argumente. Nur der Mensch könne lieben, zum Beispiel. Oder: “nur der Mensch hat ein Empfinden für Gerechtigkeit“, “nur der Mensch kann seine Umgebung bewusst erfassen“, “das menschliche Gehirn ist die komplexeste Struktur im Universum“ und natürlich: “nur der Mensch ist in der Lage über sich nachzudenken“.
Das Problem bei der Angelegenheit ist allerdings, dass sich hier rund 99 % der Menschen auf den halbgaren Ergüssen anderer Leute ausruhen. Da wird der mystisch empfundene Begriff “Liebe“ verwendet, obwohl längst klar sein sollte, dass es sich hierbei um biochemische Abläufe im Körper handelt, die nicht sehr romantisch oder geheimnisvoll sind. Mit einfachsten Gaben bestimmter Hormone (Oxytocin, Vasopressin …) kann bei Tieren artuntypisches Verhalten ausgelöst, Mutterinstinkt ein- oder ausgeschaltet oder Treue gesteuert werden. Zwar verbieten sich entsprechende Versuche beim Menschen (zumindest offiziell), doch ist es kein Geheimnis, dass es im Menschen ziemlich ähnlich funktioniert. Hier ist der Begriff “komplex“ nur die Umschreibung für: „wir kennen noch nicht alle Reaktionen“.
Zum Thema Gerechtigkeitsempfinden auszuholen ist … na ja … Wer die Augen nicht völlig geschlossen hat sieht die egozentrische Wahrnehmung von Gerechtigkeiten. Ähnlich wie bei den Begriffen “Leistung“, “Erfolg“ und “Schicksal“ ist die Brille der Menschen völlig verschmiert und lässt nur das zu, was ins Schema und ins Konzept passt. Glück, Zufall, gute Beziehungen, Erbe (auch geistiges), Schönung, Dramatisierung … alles kann ausgeblendet werden.
Wundert es da, dass jemand, der von den 168 Stunden einer Woche etwa 56 verschläft, mindestens 45 auf der Arbeit verbringt, mehr als 10 unterwegs ist und ansonsten jeden Tag isst, der Körperpflege nachkommt, auf der Toilette sitzt, fern sieht, Hausarbeit macht und andere alltägliche “Pflichten“ erfüllt von einem bewussten Erfassen der Umwelt spricht? Wie bewusst mag dieses Erfassen denn wohl sein, wenn mindestens 95 % des Lebens der Routine gewidmet sind? Die komplexeste Struktur des Universums dient primär der Erhaltung des Lebens und nicht der Erfassung.
Gaukelt sie uns darum Individualität und freien Willen vor?
Sind wir also doch Bio-Roboter? Sind wir so programmiert, dass wir eine andere Erkenntnis als das eigene Entscheiden und Lenken gar nicht zulassen? Überhören wir deshalb alle Fakten, die uns aus unserem Traumschlaf wecken könnten? – Die Matrix lässt grüßen (soweit sich jemand die Mühe macht die Fünfminutenbotschaft zwischen den Actionszenen heraus zu filtern).

Wenn es um den Menschen geht, ist der Mensch befangen. Auch ich.



Andreas Gahmann

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