andi(e)stirnschlag

Kleinlichkeiten


Eine archivierte Kolumne von  AndreasG

Donnerstag, 20. Mai 2010, 05:15
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so ein Mist

Alle Körperausscheidungen haben einen schlechten Ruf, was einigen von ihnen eine große Beliebtheit für bildhafte Vergleiche verschafft hat. Besonders die Stoffwechselendprodukte gehören dazu, während Talg, Schweiß und die anderen Ausscheidungen eher ein tabuisiertes Schattendasein führen, das noch nicht einmal für Schimpfwörter oder Flüche taugen will.
Genau genommen spricht sogar einiges dafür, dass das Tabu so stark ist, dass nur gegen die “Fäkalienfraktion“ absichtlich (und meist plakativ) verstoßen wird. Es wäre sicherlich eine interessante Sache, bei einer der häufigen Meinungs- und Wissensbefragungen in deutschen Innenstädten – oder gar in einem Quiz – dazu aufzufordern Körperausscheidungen aufzuzählen. Vermutlich kämen die meisten Menschen nur auf fünf oder sechs Antworten, die mit Verlegenheit und leuchtend roten Ohren einhergehen. Ob Tränen bei den Antworten wären? Oder Ohrenschmalz?

Die so genannten Stoffwechselendprodukte wären mit Sicherheit dabei und von einem verlegenen Lächeln oder Kichern begleitet. und eher im Straßenjargon oder in Kindersprache. „Kot und Urin,“ wären es kaum, die genannt würden, dafür die Kraftausdrücke „Scheiße und Pisse“ oder „Aa und Pipi“, um das Gesagte abzuschwächen.
Überhaupt neigen wir dazu, diese Tabubegriffe nicht direkt auszusprechen. Wir sagen auch nicht Diarrhö für Durchfall, obwohl Durchfall noch einen neutraleren Klang hat als Dünnpfiff oder Flitzekacke. Genau so wenig machen wir uns die lebenswichtige Bedeutung der Verdauung und der Endprodukte bewusst oder verwenden sie innerhalb der bildhaften Vergleiche. Wenn wir Mist oder Scheißdreck sagen, dann meinen wir das vollkommen abwertend als nutzlos, belästigend, ärgerlich und sogar verseucht.
Einen Unterschied zwischen “frisch“ und “verdorben“ machen wir nicht, auch wenn das bei dem Ausgangsprodukt der Verdauung – dem Essen und Trinken – durchaus üblich ist. Im Gegenteil: frischer Kot und Urin gelten als besonders fies. Carmen Thomas konnte mit ihrer Urinkampagne nichts an der grundsätzlichen Einstellung der Menschen ändern. Höchstens mit ironischem Unterton ist noch vom Mittelstrahl zu hören.
Bei der wirtschaftlichen Nutzung sieht das anders aus. Hier ist der Wert des Sammelns, Ablagerns, Siebens und Trocknens durchaus bekannt. Sogar eine Qualitätstrennung ist hier zu finden, die streng nach den “Produzenten“ sortiert: Frischer Pferdemist für die Champignonzucht oder “abgekühlt“ (“frostgegart“) fürs Gemüse, abgelagerter Kuhmist (darum Misthaufen) fürs Gemüse, gereifter Hühnermist für Blumen und Gemüse (der frische Hühnermist gilt als zu scharf), frischer Elefantenmist für Rosen … die Liste ist ziemlich lang und enthält natürlich auch Gülle.
Abgefüllt in Säcken gibt es Guano von Fledermäusen, Pinguinen oder Kormoranen (wobei Guano meist auf Kalkstein gereifter Kot ist, was ihn fast zu Kunstdünger macht) und Pellets aus Kuhmist. Manch ein Gärtner schwört auf Kaninchenmist für Tomaten oder getrockneten Hundekot als Kalklieferant, Selbstversorger kompostieren “Menschenmist“ und nicht nur in der Wüste gilt getrockneter Kamelmist als guter Brennstoff.
In der Natur geht die Verwertung sehr viel weiter. Immerhin stecken in den festen Endprodukten unverdaute Nährstoffe, ausgeschiedene Mineralien und sogar Vitamine. So kann die Scheiße problemlos zur Kinderstube (siehe Mistkäfer, Fliegen u.a.), Lebensmittel oder Nahrungsergänzungsmittel werden. Selbst wichtige Enzyme oder Abwehrstoffe werden durch den Verzehr von Elterntieren auf ihre Kinder übertragen.

Auch als bildhafter Vergleich stellt sich die Frage:
Was ist Scheiße? – Eine Ansammlung des Unverdauten? Müll? Giftstoffentsorger? Krankheitsüberträger? Produkt der Verdauung? Dünger? Brennstoff? Wertstoffträger? Unnützes? Oder das, was unterm Schuh klebt und stinkt?


Andreas Gahmann

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Kommentare zu diesem Kolumnenbeitrag


 Dieter_Rotmund (20.05.10)
Hossa, AndreasG, Deine mit Abstand beste Kolumne, die ich je von Dir gelesen habe: Prima Mischung aus Infos, Witz und ein bisschen Polemik, sprachlich sehr flüssig, nur die Mittelstrahl-Kampagne von Carmen Thomas (wer ist das?) ist mit unbekannt. Aber ansonsten: Klasse! Kein Scheiß'!
(Schade, dass man Kolumnentexte nicht mit einer Empfehlung versehen kann!)

 AlmaMarieSchneider (20.05.10)
Eine tolle Kolumne!

In der Regel ist es ja so, daß man für "Mist" in jeder Form viel bezahlen muß. Frischer Mist stinkt dann auch noch zum Himmel und ist erst einmal Gras (Tomaten usw.) darüber gewachsen, zählen andere Werte. Vielleicht spricht deshalb niemand darüber
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