andi(e)stirnschlag

Kleinlichkeiten


Eine archivierte Kolumne von  AndreasG

Donnerstag, 03. Juni 2010, 06:57
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Bumm

Die deutsche Sprache kennt in vielen Fällen sehr differenzierte Wörter für Begriffe, die nah beieinander liegen oder leicht zu verwechseln sind. Nehmen wir etwa “intelligent“, “gebildet“, “klug“, “pfiffig“, “(bauern-) schlau“, “listig“, “aufgeweckt“, “überlegt“, “gerissen“, “lernfähig“ oder etwas in dieser Richtung. Im ersten Moment mögen die Wörter wie Synonyme erscheinen, aber nach kurzem Nachdenken wird klar, dass sie unterschiedliche Begrifflichkeiten beschreiben.
Was gar nicht so unwichtig ist: sie schließen sich nicht gegenseitig ein.
Ein listiger Mensch muss nicht lernfähig oder pfiffig sein, nicht einmal klug. Kluge Menschen sind nicht notgedrungen aufgeweckt oder gebildet. Und gebildete Menschen müssen nicht überlegt oder schlau sein. Wer einmal durch eine Universität gelaufen ist …
Vieles ist Blendwerk oder Erwartungshaltung und Vorurteil des Gegenübers. Manchmal ist es auch nur stark eingefärbte Interpretation oder ein Spiegelbild einer Massenmeinung, die ungeprüft übernommen wird. So gelten Erfolg, Titel oder gewählte Sprache oft als Indiz für eine Mischung der oben genannten Begriffe. – Fatal dabei ist, dass auch andere positiv belegte Eigenschaften automatisch damit verknüpft werden. Aber das kennen wir ja auch von anderen Situationen.
Schwierig wird es bei der Intelligenz, die keine klare Facette beschreibt und in der Bedeutung je nach Gebrauch wechseln kann. Mal gilt sie als Umschreibung der Bildung, mal werden mathematisch-sprachliche Fähigkeiten gemeint (etwa in den populären IQ-Tests) und oft sind Aufgewecktheit oder Schläue angesprochen. In Verbindung mit gewissen Floskeln geht das auch in Richtung analytisches Nachdenken („Das musst Du doch gemerkt haben, Du bist doch intelligent!“) oder meint die Fähigkeit Zusammenhänge zu erkennen.
Verglichen mit der Bildung steht die Intelligenz allerdings noch recht gut da. Bildung bezeichnet nämlich Fachbildung bis Allgemeinbildung und stützt sich je nach Benutzer auf einen Kanon, “unumstößliche“ Wahrheiten oder verbreitete Fehlinformationen. So kann mit dem Begriff grundsätzlich die Fachidiotie verbunden sein, die Kenntnis vorbestimmter Bücher, das Vermögen Fremdsprachen zu sprechen oder was auch immer. Jeder hat da seine eigene Definition im Kopf und die muss nicht positiv sein.
Mir fielen diese Gedanken nicht zum Thema Horst Köhler ein (obwohl dazu auch einiges unter “eigene Definition im Kopf“ passen würde), sondern beim Neuauftritt von Harald Lesch im öffentlich-rechtlichen Fernsehen (speziell ZDF), den ich mir interessiert angeschaut habe.
Medien neigen ja immer dazu Fachleute gießkannenartig zu benutzen und ihre unbestreitbaren Kenntnisse in einem Bereich zu verallgemeinern. Hoimer von Ditfurth, Joachim Bublath oder Ranga Yogeshwar haben es schon vorgemacht: Ob Mediziner, Physiker, (Wissenschafts-) Journalist oder was auch immer. Schnell galten sie als kompetent für die gesamte Naturwissenschaft, für die Randbereiche und andere wissenschaftliche Bezirke. So zielt auch der Astrophysiker Lesch in die Fußstapfen der Alleswisser: er referiert unterhaltsam über philosophische, religiöse, geologische, biologische und chemische Themen.
Allerdings hat er beim Thema “Supervulkane“ ein wenig über das Ziel hinaus geschossen und eine anthropologische Theorie ausführlich in den Äther geblasen, die nicht nur ziemlich neu ist, sondern auch ziemlich umstritten. Kaum ein Wort über die fragliche Indizienlage, über gegenteilige Theorien und widersprechende Fakten (sprich: den wackeligen Stand der Theorie). Stattdessen ziemlich viel Begeisterung.
Das kennen wir von Ditfurth und Bublath, die im Laufe ihrer Fernsehkarriere einen Haufen Unsinn und eigene Meinung unter dem Deckmäntelchen der wissenschaftlichen Seriosität verbreitet haben … seltsamerweise meist in fachfremden Gebieten und mit dem Brustton der Überzeugung. Das zeugte nicht von Überlegtheit, Klugheit oder Bildung, sondern von … nennen wir es einfach: medienwirksame Bauernschlauheit, um es so positiv wie möglich auszudrücken.
Als Vorbild taugen diese beiden Ex-Wissenschaftsmoderatoren wenig, denn sie haben nicht begriffen, dass der Zug in Richtung Ranga Yogeshwar fährt, der Zweifel und Gegenargument nicht nur zulässt, sondern sie auch einbaut.
Na ja … vielleicht war es ja ein leschker … ähm: leichter … Ausrutscher.


[exturl=]Sendung vom 30. Mai 2010[/exturl]

Nur für Interessierte die (kritische) Zusammenfassung: Harald Lesch stellte die Theorie vor, dass die Explosion des Vulkans Toba vor 74.000 Jahren die Menschheit fast ausrottete und sie so zusammenschrumpfte, dass der “genetische Flaschenhals“ bei den wenigen Überlebenden zu der extremen Verwandtschaft der heutigen Menschen führte. Was auch bedeuten würde: den heutigen Menschen schuf.
Die starken klimatischen Auswirkungen des Toba-Vulkans sind kaum von der Hand zu weisen und sind gut belegt, doch die Fundstücke der damaligen Menschen (-arten) weisen keine signifikanten Lücken auf, auch wenn die Schöpfer der Theorie das zu beweisen versuchen. Allein der Umstand, dass die Neandertaler erst vor 24.000 bis 30.000 Jahren ausstarben und nicht vor 74.000 Jahren, spricht nicht gerade für diese Theorie. Auch ein großes Artensterben bei Tier- und Pflanzenarten konnte nicht festgestellt werden.
Das heißt nicht, dass die Grundidee der Theorie Quatsch ist, sondern, dass das Ganze vorerst als Arbeitshypothese gewertet werden sollte, die einer näheren Ausformung bedarf. Und anders sollte ein verantwortungsvoller Wissenschaftler das auch nicht präsentieren, finde ich.




Andreas Gahmann

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Kommentare zu diesem Kolumnenbeitrag


 Lala (03.06.10)
Hallo AndreasG,

mit Interesse gelesen und meine Begeisterung für Herrn Lesch, die ich aus nächtlichen Sitzungen vor Alpha Centauri auf BR entwickelt habe, muss ich wohl einbremsen und wieder kritischer hinschauen. Und das lohnt sich immer bzw. sollte man immer.

Gruß
Lala

 Lala (03.06.10)
Hallo Jack,

dachte ich mir doch, das Du darauf anspielst. Vor zwei Jahren hätte ich abgewunken, heute gebe ich Dir recht. Die Argumaentation ist naiv - aber es tut weh, sich eingestehen zu müssen, dass es nichts gibt, was nicht korrumpierbar wäre.

Gruß

Lala
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